nd-aktuell.de / 02.06.2021 / Politik / Seite 14

Immer auf die Kleinen

Holz, Gummi, Stahl - viele Rohstoffe und Vorprodukte sind plötzlich knapp. Dies trifft nicht alle Unternehmen

Hermannus Pfeiffer

Den Anfang machte Ford. Anfang Mai kündigte der Autohersteller an, seine Produktion im Kölner Werk in den kommenden Monaten runterzufahren. Grund dafür ist nicht etwa eine fehlende Nachfrage, sondern der Mangel an Chips und anderen Elektronikbauteilen, von denen Hunderte in einem modernen Pkw verbaut werden. Unter Materialmangel leidet aber nicht allein die für die bundesdeutsche Wirtschaft als tonangebend geltende Automobilindustrie.

Mangelware ist auch Holz. Zwar werden offenbar so viele Bäume wie noch nie in deutschen Wäldern geschlagen, aber die hohe Nachfrage aus dem Ausland und die Bereitschaft nordamerikanischer und chinesischer Unternehmen, höhere Preise zu zahlen, haben den hiesigen Baustoffmarkt halb leer gefegt. »Wir können dem Kunden weder einen konkreten Preis noch eine ungefähre Zeit für die Umsetzung benennen«, sagt Toralf Köhn, Chef des Unternehmens Holzmarkt Köhn in Wandlitz, gegenüber »nd«. »Wir bekommen keine verbindlichen Lieferzeiten mehr vom Lieferanten benannt, da gar nicht abzuschätzen ist, wann diese die nächste Lieferung erwarten können.« Und die Preise stiegen mitunter täglich, klagt Köhn, dessen Zimmerei individuelle Carports und Holzhäuser produziert. »Die Fixkosten und die Lohnkosten aber laufen weiter.«

Handwerk und Gewerbe mangelt es noch an weiteren Vorprodukten. Zwei Hamburger Firmen, in jeder arbeiten um die 100 Beschäftigte, die Kühlaggregate und Bedachungen herstellen, berichten von fehlenden Dämmstoffen. Selbst Standardprodukte wie Kabeldurchführungen gingen zur Neige. Andere Bauteile, die sonst sofort erhältlich waren, haben jetzt Lieferzeiten von mehreren Wochen. Bestellungen bei Zulieferern etwa in Polen klappen ebenso wenig wie bei Großhändlern in Hamburg, die derzeit nicht genügend Ware aus Asien erhalten.

Eine Firma aus Baden-Württemberg wiederum meldet, dass Granulat fehle, aus dem kleine Bauteile gegossen werden. Andere Mittelständler beklagen, dass die Preise für Polymere, Kautschuk oder Stahl förmlich explodiert seien. Selbst bestimmte Schraubentypen sind rar. Die Folgen auch hier: Die vertraglich mit den eigenen Kunden festgelegten Preise decken die Kosten nicht, Aufträge bleiben wegen des Mangels notgedrungen unerledigt. Vielerorts droht erneut Kurzarbeit oder wurde bereits verhängt.

Die Lieferengpässe treffen vor allem Teile des Handwerks und des Mittelstandes. Großunternehmen verfügen dagegen über starke Verhandlungsmacht und langfristige Rahmenverträge mit ihren Zulieferern und diese mit ihren. So klagt die Autoindustrie zwar über zu wenige Chips, erhält aber beispielsweise genügend Reifen, weil Branchenriesen wie Continental oder Michelin den globalen Kautschukmarkt beherrschen.

Der geradezu flächendeckende Mangel an Werkstoffen und Vorprodukten in Deutschland überrascht selbst Ökonomen. Schließlich produziert die »Werkbank der Welt«, China, nach nur kurzer Coronap-Pause Anfang 2020 schon lange wieder in Volllast. Auch in vielen Industriestaaten wie Deutschland ist der Konjunkturmotor eigentlich schon wieder angesprungen.

Die Lieferengpässe haben viele Gründe, und diese können von Branche zu Branche, von Firma zu Firma verschieden sein. Der Chipmangel in Teilen der Autoindustrie ist offensichtlich selbst verschuldet. Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie hatte man die Bestellungen heruntergefahren, weil ein langer Einbruch der Nachfrage erwartet worden war. Doch die Autokonjunktur sprang schnell wieder an, und die Chiphersteller, die ihrerseits über Lieferengpässe bei Halbleitern klagen, können nun nicht sofort ausreichend nach Europa liefern. Außerdem war schon zuvor die Nachfrage auf den Heimatmärkten in Südostasien, aber auch in den USA angesprungen. Diese hatten dadurch quasi Vorkaufsrecht. Klagen aus diesen Regionen der Erde sind kaum zu vernehmen.

Aber hierzulande wiederholt sich der »Klopapiereffekt« aus der Frühphase der Pandemie nun bei Kunststoffen, Bauteilen und Schrauben: Wer etwas ergattern kann, kauft auf Vorrat; das sorgt andernorts für leere Regale. In Europa fehlt nach Verbandsangaben nun ein Fünftel des benötigten Plastiks - auch eine Folge zu geringer Vorratshaltung. Die kostengünstige Reduzierung auf wenige Lieferanten und die sogenannte Just-in-Time-Produktion, in der Teile erst kurz vor ihrer Verarbeitung angeliefert werden, haben die interkontinentalen Lieferketten überstrapaziert.

Weitere Branchen, die wie Möbel-, Sportartikel- oder Digitalklaviere- von Corona-Einschränkungen sogar profitierten, sind nun einfach überfordert, die rasant gestiegene Nachfrage zu bedienen. Die Kaskade beginnt auch hier bei den Herstellern kleinster Bauteile. Der Boom der Onlinehändler hat etwa Pappe verknappt. Und die einseitige Ost-West-Ausrichtung des Welthandels hat zu einem millionenfachen Mangel an Containern in Asien geführt, die gerade in Europa oder Nordamerika angekommen sind. Zu Pleiten und Pannen gesellte sich dann auch noch Pech: Fabriken, deren Bau sich verzögert hat, abgebrannte Computerzentralen oder die tagelange Blockade des Suezkanals durch den Containerriesen »Ever Given«.

In vielen Vorstandsetagen wird bereits laut darüber nachgedacht, Vorratslager wieder auszubauen, die Zahl der Zulieferer zu erhöhen und Produktionsstätten zurück nach Europa zu holen. Das allerdings dauert und ist kostspielig, wodurch letztlich Effizienz und Profitspannen sinken. Ob wirklich viele Konzerne bereit sein werden, die internationale Arbeitsteilung zurückzufahren, bleibt daher abzuwarten.

Ohnehin trifft der Mangel nicht alle gleich. Im deutschen Hochbau, wo größere Unternehmen dominieren, berichteten im Mai 56 Prozent der Firmen, sie hätten keine Probleme, rechtzeitig Baustoffe zu beschaffen. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Ifo-Institutes ist die Kapazitätsauslastung der Branche daher »hoch«. Die Industrie- und Handelskammern erwarten zudem, dass im zweiten Halbjahr, aller Materialprobleme zum Trotz, die Konjunktur anziehen wird. Auch die meisten deutschen Autokonzerne fahren trotz Chip-Engpässen schon wieder auf der Gewinnerstraße.