Das Desaster mit den Modellierungen

HASSLIEBE: Warum die Politik sich nicht einseitig beraten lassen sollte

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 3 Min.

Merkwürdig still ist es um Melanie Brinkmann, Karl Lauterbach, Viola Priesemann und andere geworden, die das »Modellieren« als ihre Hauptbeschäftigung betrachten. Nur noch selten tauchen sie in Sondersendungen und Talkshows auf, wo sie 16 Monate lang Hiobsbotschaften und Horrorprognosen verkündeten. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hörte auf sie, Angela Merkel und Jens Spahn verließen sich auf ihr Fachwissen. Jetzt stellt sich heraus: Die hochgejubelten Expert*innen hatten mit ihren düsteren Zukunftsstatistiken keineswegs »immer recht«. Im Gegenteil zeigt gerade die dritte Welle des Virus, dass ihre Warnungen extrem daneben lagen.

Für den Mai 2021 hatte das RKI mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent eine Inzidenz von 400 bis 500 vorausgesagt. Der omnipräsente Lothar Wieler gab sich wie immer »sehr, sehr besorgt«. Besonders alarmistische Forscher extrapolierten gar Werte bis zu 2000 - statt dessen lag die Zahl Ende des Monats bei 35. Die gravierende Differenz von Prognose und Fakten lässt sich keineswegs mit dem stets angeführten »Präventionsparadox« erklären. Dem zufolge hätten erst die politischen Konsequenzen aus den ständigen Interventionen, also etwa die »Bundesnotbremse« mit Schulschließungen, Ausgangssperren und Kontaktverboten, zu einer Trendwende geführt.

Eine aktuelle Studie der Universität München kommt nun aber zu dem Ergebnis, dass diese These falsch ist. Die ständige Verlängerung des Lockdowns verbunden mit repressiver, die Grundrechte massiv einschränkender Politik hat nach Auffassung der Forschergruppe eher wenig Wirkung entfaltet. Viel entscheidender dürfte gewesen sein, dass endlich mehr Vakzine zur Verfügung standen und die Impfkampagne nach langer Verzögerung Fahrt aufnahm. Geholfen haben daneben auch Millionen täglich durchgeführter Tests, durch die sich Infektionsherde viel besser auffinden und damit eindämmen lassen als im vergangenen Jahr.

Der Politik ging es bei den dekretierten »Maßnahmen« stets auch um psychologische Einschüchterung, um die Aufrechterhaltung eines hohen Angstpegels in der Gesellschaft: Gerade zu Beginn der Pandemie hat sie gezielt Panik geschürt, wie ein im vergangenen Sommer bekannt gewordenes vertrauliches Strategiepapier des Bundesinnenministeriums exemplarisch belegt. Von »gewünschter Schockwirkung« und einem »Worst-Case-Szenario von über einer Million Toten im Jahre 2020 für Deutschland allein« schrieben damals die Verfasser.

Dabei verengt die rein naturwissenschaftliche Beratung den Blick und reklamiert eine fragwürdige Analysehoheit. Sie stellte sich von Anfang an in den Dienst der Angstmache und hat Politik viel zu stark einseitig beeinflusst. Die von Mathematik, Physik und Medizin geprägten Expertenteams verlieren nun aus gutem Grund die Meinungsführerschaft. Ihre steil ansteigenden Kurven, die zu vollkommen falschen Modellrechnungen geführt haben, sind auch ein Kommunikationsdesaster. Man sollte einzelnen Beteiligten keine Absicht unterstellen, doch manchen konnte es offenbar nicht schlimm genug kommen. Nur Schreckensszenarien garantierten ihnen Medienpräsenz.

Geringe Sterbezahlen und sinkende Inzidenzen hingegen sind schlecht für Kassandra-Rufe. Die eigene Bedeutung retten können jetzt nur noch neue Mutanten und die dafür angeblich unzureichenden Impfstoffe. Von unermüdlichen Warnologen wie dem Dauer-Twitterer Lauterbach (»Es droht die vierte Welle«) werden sie schon als neues Thema entdeckt und geradezu herbeigeredet.

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