Mit der Axt auf die Bühne

Der Dramatiker Thomas Köck lädt zur Zertrümmerung von Richard Wagner ins Berliner Ensemble

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.

Eines der prominentesten Themen der zeitgenössischen Dramenliteratur ist die Literatur selbst. Nicht mehr nur das Regietheater allein zertrümmert heute die Goethes und Schillers, auch viele zeitgenössische Autoren arbeiten sich an kanonischen Stücken ab. Man kann dabei drei Vorgehensweisen unterscheiden. Erstens: das Überschreiben oder Neudichten, häufig einhergehend mit einer Aktualisierung, die das kanonische Stück in die Jetztzeit übertragen soll. Zweitens: der Widerspruch; das neue Stück ist dann eine Art Antwort auf die Fragen, die das alte aus heutiger Sicht offenlässt. Drittens: das Durchstreichen, womit wir bei »wagner - der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped eschenwood)« wären, dem neuen Text des österreichischen Autors Thomas Köck. In der Ankündigung erscheint der Titel durchgestrichen. Das Stück wurde am vergangenen Donnerstag am Berliner Ensemble uraufgeführt, womit das ehrwürdige Haus am Schiffbauerdamm - nach einigen Freiluftspektakeln im Hof - nun auch wieder für Publikum geöffnet ist.

Köck spricht im Programmheft davon, er habe Richard Wagner gecancelt, und stellt klar, was für ihn offenbar der geeignete Umgang mit dem Werk ist: es nur als Störfall vorkommen lassen, letztlich bedauern, dass es jemals in die Kulturgeschichte, hier insbesondere die deutsche, eingehen konnte. Nicht eben subtil geht der Autor dabei vor, verlegt er die Handlung doch in die Psychiatrie. Wotan, bei Wagner der Göttervater, ist hier der Oberarzt. Auf Anweisung von Siegfrieds Ziehvater Mime und von Hagen, dem Manager des Krankenhauses, soll er bei Siegfried eine Lobotomie vornehmen, um all die schlimmen Erinnerungen an eine von Missbrauch geprägte Kindheit zu tilgen. Versteht man Siegfried hier als Repräsentanten der Menschheit, darf man diesen gewalttätigen Akt als Gnade begreifen. Besser ein hohler Kopf als einer, der vollgestopft ist mit teutschem Wahn.

Der Mythos wird von dem Dramatiker also pathologisiert. Alle sind sie hier irre oder irregeleitet von den Kräften, die Thomas Köck in Wagners Opernzyklus »Der Ring des Nibelungen« am Werk sieht: Kapitalismus, Antisemitismus, Nationalismus, Sexismus. Der verfluchte »Ring« lässt sich mit Köck doppeldeutig verstehen. Der »Ring« treibt nicht nur die Handlung, er schreibt selbst Geschichte, indem er die Geschichten von starken Männern und schwachen Frauen, von Gewalt und Gier forterzählt. Er hält all das wach.

All diese Kräfte, so darf man Köck verstehen, wirken fort, halten die Gegenwart umklammert und sorgen letztlich für stabile Ausbeutungsverhältnisse: »wie man mit diesen klassikern / andauernd und immer wieder nur / diese welt diese wirklich fürchterliche / vom nationalismus verseuchte welt / und ihre unerträglichen mythen / beim sektempfang restauriert«. Wagner canceln - das bedeutet, Bezüge herzustellen zwischen Alberichs Darstellung und antisemitischen Parolen, zwischen dem Feiern von Heldentum und Despotie, zwischen Schuld und Schulden. Es geht also auch darum, das Fortleben der Mythen in der Gegenwart aufzuzeigen. In einem zweiten Schritt hieße es, die Mythen zu entmachten. Denn sobald so ein Mythos als solcher erkannt und enttarnt ist, gibt es zumindest die Möglichkeit, sich von ihm zu distanzieren und damit seine Wirkmacht zu verneinen.

Am Schluss dieses insgesamt fast viereinhalbstündigen Abends, nach ihrer Flucht aus der Anstalt, läuft Brünnhilde durch eine Welt ohne Götter - und damit eine, deren Fortgang in ihren Händen liegt: »sie weiß noch nicht wohin sie weiß noch nicht einmal so richtig wo«. Der Mythos, so darf man annehmen, ist überwunden. Zumindest vorerst. Denn lange dürfte diese Zeit der unsicheren Freiheit nicht währen, fällt es doch schwer, sich eine Gesellschaft vorzustellen, die ohne Mythen überhaupt weiterhin Bestand hat.

Köck hat sicher auch nichts gegen all die Geschichten einzuwenden, die von Emanzipation oder liberalem Fortschritt handeln: etwa das pazifistische Ideal einer Welt ohne Waffen, die Beendigung des menschengemachten Klimawandels durch globale Anstrengung oder die relativ neue Erkenntnis, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt.

Auch das wären Beispiele für Ideen und Geschichten, für kollektive Geisteserzeugnisse, die Verbreitung fanden und finden und von deren Fortkommen die Zukunft und Beschaffenheit einer Gesellschaft mit abhängt. Und die auch - man erinnere sich an das Experiment »Real existierender Sozialismus« - gewisse Risiken mit sich bringen. So weit wie Köck den Begriff fasst, ist er also nicht gegen Mythen schlechthin, er ist nur gegen bestimmte. Mit seiner einfachen Rechnung »Mythos gleich böse« reduziert der Text aber bereitwillig Komplexität, um Platz für allerlei politische Aussagen und Anklagen unterzubringen: gegen den Verfassungsschutz, alte weiße Götter, das europäische Grenzregime und überhaupt gegen das ganze »scheißsystem«.

Mit Ersan Mondtag wird Köcks Stück von einem Regisseur inszeniert, der bislang nicht gerade mit Textkompetenz auf sich aufmerksam gemacht hat. Ihm sind große Bilder und prägnante Auftritte mehr wert, was auch zum einen oder anderen Missverständnis führt. Das Bühnenbild ist im wahrsten Sinne des Wortes einfach groß. Eine Nachkriegsküche nimmt die Bühne ein, allerdings in überdimensionierten Maßen. Das Ensemble klettert mühsam auf Stühle und Tische, kraxelt auf dem Herd herum, immer mal wieder verschwindet einer der Schauspieler im Ofen. Motive aus Märchen und Horrorfilmen bestimmen die Szenerie. Der Horror der Psychiatrie aus dem Stück verblasst dagegen allmählich.

Auch für die Schauspielerführung war offenbar nicht viel Probenzeit übrig. Das zehnköpfige Ensemble taumelt ein wenig fahrig durch die ohnehin verworrene Handlung. Corinna Kirchhoff hat ein paar schöne Momente als Gottvater, der eigentlich abtreten will, aber so ganz nicht von der Macht lassen kann. Wolfgang Michael gibt Wotan als Erda immer mal wieder schnoddrige Ratschläge. In der Umbaupause beschwert er sich, dass er vor den eisernen Vorhang treten muss, um die Unterbrechung zu überbrücken, nimmt die folgenden Lacher aber gerne mit.

Paul Zichner und Stefanie Reinsperger als Siegfried und Brünnhilde vertrauen bei ihren Liebes- und Gewaltszenen auf die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse. Siegfried wirkt neben ihr und in dieser Riesenwelt auf der Bühne zart und hilflos, wie ein kleiner Junge mit sehr bösen Träumen. Reinsperger wirft sich mit ihrer physischen Präsenz hinein, flirtet mit dem Publikum, steigt aus und verkündet das Ende des Theater-Streamings. Ihr Spiel gerät wie meistens etwas grob. Das passt zum Stück, zu dem großspurigen Gestus, nun aber mal endlich Schluss zu machen mit all dem Blödsinn von früher. Ein etwas feineres Besteck als die Axt hätte jedoch womöglich bessere Dienste erwiesen.

Nächste Vorstellungen am 18., 19. und 20.6.

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