nd-aktuell.de / 09.06.2021 / Politik / Seite 5

Neuer Anlauf für Sachsenburg

Förderantrag für Gedenkstätte soll im Juli an den Bund gehen / Mögliche Eröffnung in drei Jahren

Hendrik Lasch

Die Villa hinter der großen Spinnerei am Ufer der Zschopau war »pfleglich zu behandeln«. So steht es in einem Vertrag, den der »sächsische Staat« am 28. April 1933 mit dem Unternehmen Textilia in Sachsenburg schloss. In dessen Fabrik errichteten die Behörden ein »Schutzhaftlager«, in dem das NS-Regime bis 1937 rund 7200 politische Gegner und anderweitig Missliebige inhaftierte und schikanierte. Es gilt als »Vorhölle« für spätere Lager wie Buchenwald und Sachsenhausen. In der Villa logierte der Lagerkommandant. Für die Räume sah der Vertrag, anders als für die Fabrik, sogar eine Miete vor: monatlich 25 Reichsmark für jede der beiden Etagen.

Die Kommandantenvilla ist ein wichtiger Ort im einstigen Konzentrationslager Sachsenburg und also auch in einer Gedenkstätte, die an dieses erinnern soll: Sie ist ein Ort, an dem die Täter wirkten. Allerdings ist sie in einem beklagenswerten Zustand; der Dachstuhl und alle Balken etwa sind vom Pilz zerfressen. Als die Stadt Frankenberg, zu der Sachsenburg heute gehört und die Trägerin der Gedenkstätte ist, sich 2018 um Fördermittel des Bundes bewarb, ging sie noch von einem Abriss des maroden Gebäudes aus. Die Bundesbeauftragte für Kultur jedoch wollte unter diesen Umständen kein Geld geben. Die befürchtete »unwiederbringliche Zerstörung von Zeugniswerten« war ein Grund, warum der Antrag abgelehnt wurde.

Nun soll erneut ein Antrag beim Bund gestellt werden. Derzeit läuft die finale Abstimmung, im Juni könnte er im Stadtrat diskutiert und im August über Sachsens Kulturministerium nach Berlin geschickt werden. Das sagte der Historiker Mykola Borovyk am Samstag beim alljährlichen »Sachsenburger Dialog«. Borovyk wurde im Januar 2020 von der Stadt als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt mit dem Ziel, den Förderantrag zu überarbeiten. Unterstützt wird er dabei von einem wissenschaftlichen und einem gesellschaftlichen Beirat.

Mit der neuen Struktur soll das jahrelange Trauerspiel um die geplante Gedenkstätte endlich zu einem guten Ende kommen. Borovyk sprach von einer »fast 30-jährigen Geschichte«, in der sich Ehrenamtliche um den historischen Ort bemühten: die NS-Opferorganisation VVN-BdA, eine eigens gegründete Lagerarbeitsgemeinschaft, die Schülerinitiative Klick um die Lehrerin Anna Schüller und die daraus entstandene Geschichtswerkstatt. Sie klagten aber über mangelnde Unterstützung durch die Sächsische Stiftung Gedenkstätten und fehlenden politischen Rückenwind. 2012 wurde bei der Novelle des Gedenkstättengesetzes zwar eine institutionelle Förderung für Sachsenburg festgeschrieben. Doch neun Jahre später gibt es noch immer keine Gedenkstätte mit Bildungsangeboten und Dauerausstellung in den authentischen Gebäuden. Statt dessen gab es Rückschläge wie den abgelehnten Antrag.

Für den neuen Vorstoß rechnet man sich bessere Chancen aus - nicht zuletzt, weil nun auch die Villa berücksichtigt wird. Vorschläge für deren Gestaltung und Einbeziehung in die Gedenkstätte wurden im Rahmen eines Ideenwettbewerbs gesammelt, zu dem nach Angaben Borovyks 62 Vorschläge eingingen, etliche auch aus dem Ausland. Anfang dieser Woche beriet eine Jury über die Entwürfe. Das Siegerprojekt soll ein »wesentlicher Teil des Gedenkstättenkonzepts« werden, erklärte das für die Gedenkstätten zuständige sächsische Kulturministerium unlängst. Dieser und alle anderen Entwürfe sollen demnächst in einem Kommunikations- und Dokumentationszentrum gezeigt werden, das in einem ehemaligen Lokal neben dem Areal der Spinnerei eingerichtet wurde und als Interimslösung die Zeit bis zur Eröffnung einer Dauerausstellung überbrücken soll. Das Zentrum sei fertig, habe aber wegen der Pandemiebeschränkungen bisher nicht eröffnet werden können, sagte Borovyk.

In Frankenberg hofft man, dass der um ein Konzept für die Villa ergänzte und auch in einigen anderen Punkten überarbeitete Antrag in Berlin positiv beschieden wird. Das Geld vom Bund würde dringend gebraucht. Borovyk beziffert die Kosten für die Einrichtung der Gedenkstätte auf mindestens drei Millionen Euro, die sich Bund und Freistaat je zur Hälfte teilen würden. Gerechtfertigt wäre eine Beteiligung des Bundes auf jeden Fall, sagt Borovyk. Der Historiker sieht das KZ Sachsenburg als Ort, an dem sich exemplarisch zeigen lasse, wie der schrittweise Übergang vom zunächst »improvisierten und regellosen Terror« der frühen NS-Diktatur zum »bürokratisch perfektionierten Gewaltsystem« erfolgte. In Sachsenburg wurde Personal für die späteren industriellen Lager ausgebildet, Verwaltungsabläufe perfektioniert und Foltermethoden erprobt. Das Lager, das bis 1937 bestand, erfülle damit eine »Scharnierfunktion« zwischen den verschiedenen Phasen der NS-Diktatur und habe heute »überregionale Bedeutung«, die Unterstützung des Bundes rechtfertigt.

Ob diese erfolgt, wird bis Ende des Jahres klar sein. Bei einem positiven Bescheid könne 2022 mit konkreten Planungen und Bauarbeiten begonnen werden. Diese würden, so schätzt Borovyk, etwa drei Jahre dauern, so dass 2024 oder 2025 endlich eine Gedenkstätte KZ Sachsenburg eröffnen könnte. Diese solle ein »lebendiger Ort der Bildungsarbeit« werden, hofft der Historiker: mit einer Ausstellung auf rund 460 Quadratmetern in der früheren Kommandantenvilla, mit Seminarräumen, einer Bibliothek und einem Archiv - und mit der Möglichkeit, im Rahmen von Führungen auch das Fabrikgebäude zu besichtigen, in das die Häftlinge gepfercht wurden. Dieses befindet sich heute in Privatbesitz; es gebe aber eine prinzipielle Übereinkunft mit dem Eigentümer, der weiter Zugang gewähren will. Viele historische Spuren gebe es aber nicht mehr, räumt Borovyk ein. Um so wichtiger scheint es, dass der Erhalt der Villa nun gesichert erscheint.