Tablets als Briefbeschwerer

Alle 37 000 Berliner Lehrer werden mit eigenen Dienstrechnern ausgestattet

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit langem beklagen Lehrerinnen und Lehrer, dass sie alle Arbeiten im Homeoffice mit ihren privaten Rechnern stemmen müssen. Damit soll nun Schluss sein. Wie Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mitteilte, erhält jede Berliner Lehrkraft in den kommenden Wochen und Monaten ein eigenes Dienstgerät. Insgesamt sollen demnach rund 37 000 digitale Endgeräte verteilt werden. Die Auslieferung der ersten Charge mit über 10 000 sogenannten 2-in-1-Tablets - Tablets, die auch als Laptop verwendet werden können - wird nach Angaben der Bildungsverwaltung bis zu den Sommerferien abgeschlossen sein, alle anderen sollen im kommenden Schuljahr ausgegeben werden.

»Angesichts der Erfahrungen aus der Pandemie mit Wechselunterricht und schulisch angeleitetem Lernen zu Hause ist es nur folgerichtig, dass der Arbeitgeber den Lehrkräften nun auch ein digitales Dienstgerät zur Verfügung stellt«, erklärte Bildungssenatorin Scheeres, als sie am Freitag bei einem Fototermin (und damit gewohnt öffentlichkeitswirksam) an der Kreuzberger Lina-Morgenstern-Gemeinschaftsschule einen Schwung Tablets überreichte.

Finanziert wird die mehr als 30 Millionen Euro teure Großanschaffung zu gut zwei Dritteln aus Bundesmitteln, über den Digitalpakt Schule fließen hierfür laut Bildungsverwaltung rund 20 Millionen Euro. Der Rest stammt aus dem Landeshaushalt, wobei der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erst am vergangenen Mittwoch grünes Licht gab für die Bereitstellung von fast sieben Millionen Euro, mit denen unter anderem die Softwarelizenzen bezahlt werden sollen. Zudem soll ein Teil der Mittel verwendet werden, um »einen Pool an Geräten für das weitere pädagogische Personal, vornehmlich Erzieherinnen und Erzieher, aufzubauen«, wie es in der Beschlussempfehlung der Bildungsverwaltung heißt.

Kritik an Scheeres’ Spendierfreudigkeit kommt nun ausgerechnet von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). »Wir begrüßen zwar, dass es endlich Dienstgeräte für die Kollegen gibt«, sagt Berlins GEW-Chef Tom Erdmann zu »nd«. Das Problem sei aber, »dass die Beschäftigtenvertretungen mal wieder überhaupt nicht richtig eingebunden wurden, und die Erfahrung hat uns gezeigt, dass solche Aktionen dann in der Regel nie gut funktionieren«. Fragen zum Datenschutz seien ebenso ungeklärt wie solche zur Haftung, sollte das Gerät kaputtgehen. Auch brauche es zusätzliche Studientage zu Beginn des neuen Schuljahrs, damit die Lehrkräfte sich mit den Geräten und der Software vertraut machen können.

Auch Erdmanns Vorstandskollege Udo Mertens lässt kein gutes Haar an der seiner Ansicht nach überstürzten Verteilaktion der Bildungsverwaltung. »Es wäre sinnvoller gewesen, vor der Auslieferung und der Inbetriebnahme wichtige Verfahrensfragen zu klären«, moniert Gewerkschafter Mertens. Und: »Wir haben Rückmeldungen, dass viele Kolleginnen und Kollegen die neuen Endgeräte zurzeit als Briefbeschwerer benutzen.«

Die Unzufriedenheit der GEW ist insofern überraschend, als es gerade die Gewerkschaft war, die zuvor immer wieder das Fehlen entsprechender Dienstgeräte als unhaltbaren Zustand kritisiert hatte. In der Bildungsverwaltung ist man dann auch merklich irritiert. »Ehrlich, ich verstehe das nicht. Da werden seit Jahren von den Verbänden, darunter der Gewerkschaft, Dienstgeräte gefordert, dann geschieht das, und dann soll das auch wieder nichts sein«, sagt Scheeres’ Sprecher Martin Klesmann zu »nd«. Die Bedenken der GEW in Sachen Datenschutz oder Haftung hält Klesmann überdies für komplett unbegründet: »Natürlich gibt es Garantien, falls ein Gerät kaputtgehen sollte. Und selbstverständlich arbeiten wir an einer Dienstvereinbarung, mit der alle Fragen ausdrücklich beantwortet und restlos geklärt werden.«

Das Full-House-Prinzip - Die Schulen gehen in den Regelbetrieb, von Normalität kann keine Rede sein

Das sollte »ohne Frage zügig nachgeholt werden«, sagt Regina Kittler, Bildungsexpertin der Linksfraktion, zu »nd«. Auch dürfe man die Lehrkräfte mit der Technik nicht allein lassen. Sie erwarte hier eine »Fortbildungsoffensive«. Ansonsten rät Kittler, selbst langjähriges GEW-Mitglied und nicht selten scharfe Kritikerin von Senatorin Scheeres, aber zu etwas mehr Gelassenheit. »Jetzt kann man sich aufregen, das Glas sei halb leer. Man kann aber auch begrüßen, dass das Glas endlich mal halb voll ist. Und das Ding mit dem Briefbeschwerer - also ich bitte Sie!«

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