nd-aktuell.de / 15.06.2021 / Politik / Seite 6

Dritte Welle: Corona-Explosion in Russland

Die Pandemie hat das größte Land der Erde wieder im Griff. Auch in Sibirien steigen die Fallzahlen

Birger Schütz

Keine Maskenpflicht mehr und nur noch freiwillige Hygieneauflagen: Anfang des Jahres hob Russland seine nicht besonders strengen Corona-Auflagen auf. Der lang ersehnte Alltag schien in die Städte zurückzukehren.

Nun kam die Quittung für die frühe Öffnung - das Land verzeichnet einen Rekordzuwachs bei Corona-Neuinfektionen. Allein am Sonntag steckten sich insgesamt 13.721 Menschen in 84 russischen Regionen mit dem Virus an. Dies meldete der Corona-Krisenstab aus Moskau am Montag per Telegram. Es handelt sich um den höchsten Tageszuwachs seit vergangenem Dezember. Erstmals seit drei Monaten infizierten sich zudem wiedermehr als 10.000 Menschen an einem Tag.

Die höchsten Zuwächse verzeichnete mit 6590 neuen Coronafällen die russische Hauptstadt. Im umgebenden Moskauer Gebiet waren es 1043 Neuansteckungen. Unter den Infizierten sind inzwischen vermehrt Jugendliche und junge Erwachsene. Der Anteil der Patienten im Alter zwischen 18 und 35 Jahren liege bei etwa einem Drittel, hieß es aus dem Moskauer Rathaus.

Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Experten kritisieren, die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor verlasse sich bei der Statistik zu sehr auf die Summe der durchgeführten Schnell- und Selbsttests. In Wirklichkeit seien die Coronazahlen in der Hauptstadt höher. Dafür sprächen Indizien. So sei die Zahl der mit Covid-19 in Krankenhäuser eingewiesenen Moskauer seit der letzten Maiwoche um 66 Prozent gestiegen - auf 1650 Patienten. Auch seien seit Beginn des Monats 30 Prozent mehr Menschen auf künstliche Beatmung angewiesen. In Moskau seien dies gegenwärtig 498 Infizierte, schreibt das Internetportal Meduza.

Moskaus Bürgermeister zieht Notbremse

Bürgermeister Sergej Sobjanin, der bereits im vergangenen Jahr immer wieder vor hohen Fallzahlen warnte, zog angesichts der alarmierenden Entwicklung nun die Notbremse und ordnete eine arbeitsfreie Woche an. Außerdem müssen in der Zwölf-Millionen-Metropole Gastrobereiche und Spielzimmer in Einkaufszentren sowie Fuhrgeschäfte in öffentlichen Parks den Betrieb vorübergehend einstellen. Restaurants, Cafés und Nachtclubs dürfen in der Zeit zwischen 23 und 6 Uhr keine Gäste mehr empfangen. Die Einschränkungen zielen auf das Freizeitverhalten jüngerer Patienten. Sobjanin setzt aber nicht nur auf Verbote. Um die nicht nur in Moskau niedrige Bereitschaft zu einer Impfung zu heben, werden bis Mitte Juli unter Erstimpfern jede Woche fünf Autos verlost.

Nach Moskau ist St. Petersburg die am stärksten von Covid betroffene russische Stadt. In der Ostseemetropole, welche derzeit als Gastgeber der Fußball-EM 2021 Tausende ausländische Gäste erwartet, wurden am Sonntag 865 Neuinfektionen nachgewiesen. Der wegen seines laxen Umganges mit Corona oft kritisierte Petersburger Gouverneur Alexander Beglow verhängte am Montag Restriktionen. So soll in den Fanzonen kein Essen mehr verkauft werden. Bei Massenveranstaltungen gelten zudem Besucherobergrenzen zwischen 50 und 75 Prozent. Davon betroffen ist auch der EM-Austragungsort Gazprom-Arena: Mit 30 000 Sitzen darf nur die Hälfte der Stadionplätze genutzt werden. Nach Moskauer Vorbild müssen Restaurants ihren Betrieb zwischen 2 und 6 Uhr nachts einschränken. Allerdings treten die Beschränkungen erst am Donnerstag in Kraft - nach dem zweiten Spiel der russischen Nationalauswahl gegen Finnland. Eine Maskenpflicht bei öffentlichen Veranstaltungen gilt dagegen seit Montag.

Auch abseits der beiden größten russischen Städte verschärft sich die Corona-Situation. So patrouillieren an den Zufahrtsstraßen des 300 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Iwanowo-Gebiets seit dem Wochenende Polizisten. Die Beamten erlauben die Einreise nur Autofahrern mit Corona-Impfung oder Antikörpernachweis. Ungeimpfte müssen zwei Wochen in Quarantäne. Zuvor kam es in der Region mit 61 täglichen Neuansteckungen zu Höchstwerten.

In der vergangenen Woche meldeten auch drei sibirische Regionen einen alarmierenden Anstieg der Coronafälle. In der am Baikalsee gelegene Republik Burjatien - 6000 Kilometer östlich von Moskau - sind nach Medienberichten bereits 91 Prozent der Krankenhausbetten belegt. Die Region soll bei der Infektionsrate nach Moskau und St. Petersburg bereits an dritter Stelle stehen. Im westsibirischen Nowosibirsk, mit 1,5 Millionen Einwohnern Russlands drittgrößte Stadt, steigen die Infektionsraten wöchentlich um bis zu 15 Prozent. In der Krasnojarsker Region, flächenmäßig das größte Gebiet der russischen Föderation, gibt es bis zu 50 Neuansteckungen pro Tag.