nd-aktuell.de / 16.06.2021 / Kultur / Seite 7

Nur eine Randnotiz

Die deutschen Medien finden den antimuslimischen Terroranschlag in London nicht so wichtig.

Ayesha Khan

Am vergangenen Wochenende setzte die muslimische Gemeinde von London, in der kanadischen Provinz Ontario, vier ihrer Mitglieder bei. Hunderte Menschen wohnten dem Janazah, dem islamischen Trauergebet und Begräbnis, bei. Die muslimischen Gemeinden stehen noch immer unter Schock. In Kanada wurde die Trauerfeier live im Fernsehen übertragen. Vor der Trauerfeier fanden nicht nur in London, sondern auch in großen Städten wie Toronto und Montreal, Trauermärsche statt, an denen sich Tausende Kanadier*innen beteiligten. Die Anteilnahme ist groß. Der Druck auf die kanadische Politik größer.

Am 6. Juni 2021 überfährt der Täter mit seinem Pick-up-Wagen die Familie beim abendlichen Spaziergang, als diese an einer Kreuzung steht. Salman Afzaal, seine Frau Madiha Afzaal, ihre 15-jährige Tochter Yumna und Talat Afzaal, die Großmutter, sterben. Der neunjährige Fayez überlebt schwer verletzt. Er ist jetzt eine Waise.

Während die deutsche Presse, noch etwas verhalten, von einem »mutmaßlich islamfeindlichen Terroranschlag« spricht, sind sich die Kanadier*innen einig: Die Familie Afzaal starb bei einem antimuslimisch rassistischen Terroranschlag. Der Begriff »Islamophobia« findet sich in jedem Statement und in jedem Bericht.

Auf »tagesschau.de« erscheinen drei Berichte. Sie werden veröffentlicht zwischen 23 Uhr und 7 Uhr morgens. Vom Anschlag bis zur Trauerfeier - eine schnelle Googlesuche liefert nur wenige Artikel und Zeitungsberichte auf Deutsch. Keine Twittertrends. Keine Solidaritätsbekundungen. Woran mag das liegen, frage ich mich. Sind es die Opfer? Eine pakistanisch-kanadische Einwandererfamilie ist für deutsche Medien und für das deutsche Verständnis schwer zu greifen. Mit einem Pick-up-Wagen überfahren? Klingt nach Unfall. »Da muss man erst einmal die Ermittlungen abwarten.«

Abendspaziergänge mit der Familie. Dem wohnt eine Symbolik inne, die man migrantischen und nichtweißen Menschen nicht erklären muss. Zum einen gibt einen sehr pragmatischen Grund für Abendspaziergänge: Ein schweres Abendessen, für die Verdauung und die Gewohnheit aus den Herkunftsländern, erst am Abend, wenn es abkühlt, nach draußen zu gehen. Zum anderen handelt es sich aber um eine Praxis, die, besonders im Westen, aus der Not entstanden ist. Wenn bestimmte Körper und Existenzen markiert und kriminalisiert sind, bleibt einem oft nur der Schutz der Abenddämmerung, um sich im Freien zu bewegen. Wenn bei Tageslicht, die Gefahr, Diskriminierung und Rassismus zu erleben, sich deplatziert zu fühlen, ausgegrenzt zu werden so hoch ist, dass man sich entscheidet, erst dann vor die Tür zu treten, wenn man auf dem Gehweg nicht die ausweichende und platzmachende Person ist.

Wenn die Deplatzierung und das Othering schon so internalisiert sind, dass wir lieber in Gebüsche verschwinden, als dass wir uns der Gefahr aussetzen, auf die Straße gedrängt zu werden oder sogar (verbale) Gewalt zu erleben. Der tägliche Abendspaziergang mit der Familie - das sind die kleinen Oasen, die Safer Spaces. Es sind diese Momente, in denen wir niemanden (aus der Dominanzgesellschaft) etwas wegnehmen, weil sie uns nicht sehen. Unbeschwerte Augenblicke, in denen wir uns in Sicherheit wähnen. Doch jetzt geschah London. Das verändert vieles. An unserem Verhalten und an Emotionen und Selbstverständnis.

Was bleibt, ist die Unsicherheit, die Angst und das Gefühl, dass die eigene Existenz entweder ungewollt ist und gefährdet ist. Und wenn sie ausgelöscht wird, ist sie nur eine Randnotiz um drei Uhr morgens.