nd-aktuell.de / 19.06.2021 / Reise / Seite 30

Landausflüge für Strandflüchter

Bei Sonne drängt es viele an die Küsten Schleswig-Holsteins. Wem es dort zu voll wird, der sollte mal Pause machen im unbekannteren Binnenland: Sechs Tipps von Glückstadt bis zur Arche Warder

Tinga Horny

Schleswig-Holstein war bereits im letzten Jahr wegen der Pandemie bei Urlaubern hochbegehrt. Fällt der Sommer in diesem Jahr gut aus, dann werden die Strände des kleinen Landes zwischen den Meeren erneut sehr voll sein. Wer in so einem Fall eine Unterbrechung vom ständigen Gedränge braucht, der findet im Hinterland reizvolle Abwechslung.

Freilichtmuseum Molfsee: So lebten die Urgroßeltern

Zu erleben, wie unsere Vorfahren noch vor wenigen Generationen gelebt haben, ist immer interessant. Die meisten kamen ja vom Land, aber Bauernhof ist nicht gleich Bauernhof. Immer richtet sich die Architektur nach dem lokalen Klima und der Art der Landwirtschaft, Unterschiede gibt es von Region zu Region. In Molfsee vor den Toren Kiels wurden 60 Gebäude ab dem 16. Jahrhundert auf rund 40 Hektar Grund wiederaufgebaut. Bei den meisten handelt es sich um Hofanlagen, aber es sind auch Wind- und Wassermühlen, eine Apotheke sowie das Torhaus einer Gutsanlage zu sehen. Und seit diesem Frühjahr gibt es sogar einen Bau aus dem 21. Jahrhundert: Markant mit rostroter Stahlpatina verkleidet besteht das »Jahr100haus« aus dem Serviceflügel mit Shop und Café sowie dem gegenüberliegenden Trakt mit Ausstellungsfläche und Verwaltung.

Friedrichstadt: Holland ist so nah

Ein ehrgeiziger Herzog hat 1621 eine der hübschesten Städte in Nordfriesland gegründet. Friedrich III. träumte von einer nach ihm benannten Handelsmetropole im Marschland zwischen Treene und Eider. Für die Trockenlegung des Gebiets holte er sich erfahrene Wasserbauer aus den Niederlanden, vorzugsweise verfolgte Protestanten (Remonstranten). So entstand Friedrichstadt, das zwar nie in die erste Liga der Weltstädte aufstieg, dafür aber für seine Religionsfreiheit weithin bekannt wurde. Heute begeistert der Ort wegen der niederländischen Backsteinarchitektur und den Grachten. Besonders die historischen Häuser in den stilleren Gassen sind einen Bummel wert. Dort prangen über den Eingängen oft noch die sogenannten Hausmarken, bunt gefasste Reliefs der Erbauer. Prächtig präsentiert sich auch der Marktplatz und in den Seitenstraßen gibt es kleine Läden und Ateliers zu entdecken. Wer keine Lust aufs Laufen hat, der genießt das Städtchen bei einer Bootsfahrt auf den Grachten.

Hüttener Berge: Höhe ist nicht alles

Weniger bekannt als die Holsteinische Schweiz mit dem Bungsberg, der mit 168 Metern höchsten Erhebung des Landes, sind die Hüttener Berge westlich der besuchenswerten Kleinstadt Eckernförde. Dort misst der höchste Hügelrücken, der Scheelsberg, gerade mal 105,8 Meter. Aber Höhe wird überbewertet. Bis zur Ostsee kann man bei gutem Wetter beispielsweise von dem nur 98 Meter hohen Aschberg blicken, der auch wegen des sieben Meter hohen Bismarck-Standbilds bekannt ist. Die sanft gewellte Umgebung hat die letzte Eiszeit geformt, und Menschen haben daraus die typische Knicklandschaft entwickelt, also Felder, die von Wallhecken umsäumt werden. Diese Knicks halten Wind ab, schützen vor Erosion und sind ein Hort für Pflanzen sowie Tiere. Der Naturpark ist mit 21967 Hektar der kleinste der sechs Naturparks in Schleswig-Holstein. Das hat den Vorteil, dass alle 20 Rundwanderwege und sechs Radrouten besonders familienfreundlich sind.

Arche Warder: Schwein gesehen, Schwein gehabt

Eine schwimmende Rettungsarche gibt es nicht, aber die Arche Warder ist ein Zoo, der aus dem Rahmen fällt: Zu erleben gibt es bedrohte Nutztierarten. Besucher begeben sich auf die spannenden Spuren von Wildtieren, die der Mensch einst domestizierte. Schließlich stammt der Hund vom Wolf, das Schwein vom Wildschwein, das Rind vom Auerochsen ab. Aus rund 35 Wildtierarten entwickelten sich durch Zucht Zehntausende von unterschiedlichen Tierrassen. Auf rund 40 Hektar liegt die Arche Warder mitten in Holstein im Naturpark Westensee. Zu erleben gibt es bedrohte Ur-Rassen wie zum Beispiel das Chinesische Maskenschwein, das Rotbunte Husumer Schwein und das kroatische Turopolje Schwein, das gerne im Wasser gründelt und deswegen schwimmen und sogar tauchen kann. Beliebt ist die Arche im Sommer bei Kindern, die dann tageweise als »Tierpfleger« unter professioneller Anleitung beim Striegeln, Hufe auskratzen und Füttern mithelfen dürfen.

Glückstadt: Festung mit Ambitionen

Der dänische König Christian IV. ließ 1615 rund 50 Kilometer elbabwärts von Hamburg Glückstadt errichten. Er wollte eine Festung für seine weiteren Eroberungspläne Richtung Süden haben und zugleich der Hansestadt Hamburg einen gehörigen Teil des internationalen Handels abknöpfen. Aus dem Anspruch, Kastell und Stadt in einem zu sein, ergab sich Glückstadts bundesweit einmaliger Grundriss. Ein Sechseck, von dessen Marktmitte Radialstraßen jeweils in 250 Metern Entfernung zu den Bastionen führen. Zwei Ringstraßen verbanden die vom Zentrum ausgehenden Wege. Weil die Stadt aber jederzeit verteidigungsbereit sein musste, durften sämtliche Gebäude weder Erker oder Balkone haben, damit niemand in Deckung gehen konnte. Nicht alles wurde den Plänen entsprechend umgesetzt. Dennoch entdecken Besucher schnell die besonderen baulichen Eigenheiten dieser Stadt. Zugleich rühmt sich Glückstadt, den besten Matjes landesweit herzustellen.

Nord-Ostsee-Kanal: Fast 100 Kilometer Freizeitspaß

Mit jährlich rund 30 000 Schiffen gehört der 98,6 Kilometer lange Kanal zu den meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Zugleich ist er inzwischen ein beliebtes Freizeitrevier. Wer große Pötte mag, kann sie besonders gut an den großen Schleusen in Brunsbüttel oder Kiel-Holtenau beobachten. Wer gerne mit dem Schiff fährt, der nimmt ein Ausflugsboot oder setzt mit einer der 14 Fähren über. Die Fähren sind dank einer kaiserlichen Verordnung bis heute umsonst, denn mit dem 1895 fertiggestellten Kanal wurden das Land sowie seine Bewohner voneinander getrennt. Kaiser Wilhelm I. bestimmte daher, dass die Überquerung des Kanals die Einheimischen nichts kosten dürfe. Abschnittsweise kann man auch länger entlang des Kanals wandern. Besonders beliebt sind jedoch Radtouren an der Wasserstraße sowie im Hinterland.