Die Tour wird wieder volkstümlich

An diesem Wochenende starten die Radprofis zur Frankreichrundfahrt. Dabei freuen sie sich auf mehr Fans an der Strecke als im Vorjahr

  • Tom Mustroph, Brest
  • Lesedauer: 5 Min.

Ohne Abstand, aber mit Maske - so begannen die offiziellen Feierlichkeiten beim Grand Depart der 108. Tour de France in Brest. Die weiß gekleideten Eleven der traditionsreichen Marineschule standen hübsch Spalier für die Fahrer der 23 Teams, die bei der klassischen Teampräsentation allesamt brav maskiert auf die Bühne vor ein handverlesenes Publikum rollten. Auch dort behielten die Fahrer die Masken auf. Es war ein symbolisches Zeichen der Vorsicht. Denn seit einer Woche wurde die Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen in der Startregion Bretagne abgeschafft. Die Inzidenzzahlen erlauben dies, sie lagen am Donnerstag bei 15,9 Neuinfizierten pro 100 000 Personen. Wer wollte, konnte also wieder Mund und Nase zeigen.

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Christian Prudhomme, Direktor der Tour de France, machte über den Radiosender France Info allerdings klar: »Am Rand der Strecke herrscht Maskenpflicht. Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Es ist wichtig, die Fahrer zu schützen und auch sich selbst als Zuschauer.« Prudhomme hatte auch zum Abstandhalten aufgefordert. Dem kamen die Zuschauer außerhalb des abgesteckten Bereichs der Teampräsentation nicht in jedem Fall nach. Maskiert waren aber die meisten ihrer Gesichter.

Auch diese Tour de France findet also unter Pandemiebedingungen statt. Die Situation ist jedoch weniger angespannt als noch im vergangenen Jahr, als die »Große Schleife« erstmals in ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte in den Herbst verlegt worden war. Sie leitet wieder die Sommersaison ein. Und natürlich hoffen Hoteliers und Gastronomen auf einen Boom durch die Tour nach der verkorksten 2020er Saison. »Viele Hotels waren schon früh durch die Teams und deren Tross ausgebucht. Aber Brest hat weitere Kapazitäten«, sagte Olivier Henne, Sprecher des Tourismusbüros der Stadt, dem »nd«. »Die ganze Branche hofft auf einen großen Publikumszuspruch vor allem in der ersten Tourwoche. Erfahrungen aus vergangenen Jahren zeigen, dass ein Großteil der Besucher, die durch die Tour angezogen werden, zum ersten Mal in die Region kommen, danach aber Lust haben, erneut zu kommen«, strich Henne die Bedeutung des Rennens als Tourismusmotor heraus.

Diese Belastungsprobe muss die Tour in diesem Jahr bestehen: Tourismusmotor für die Gastgeberregionen sein - schließlich zahlte die Bretagne dem Tourveranstalter ASO 3,6 Millionen Euro dafür, Startort zu sein -, andererseits aber nicht zum Pandemiekatalysator zu werden.

Sorge bereitet vor allem die Verbreitung der stärker ansteckenden Deltavariante des Virus. 77 Prozent der Neuinfektionen in der Region (368 von insgesamt 478) führen die Gesundheitsbehörden bereits auf diese in Großbritannien grassierende Virusform zurück. Internationale Gäste könnten diese Zahlen weiter hochtreiben. Insgesamt sind mittlerweile aber auch 53 Prozent aller Bretonen mindestens mit der ersten Dosis geimpft, knapp 30 Prozent sogar mit beiden.

Das lässt dann auch die Regionalbehörden entspannter in den Grand Depart gehen. »Wir werden sicher nicht hinter jeden Zuschauer einen Gendarmen stellen«, meinte Brests Unterpräfekt Ivan Bouchier. Geplant ist, den Zugang zu abgesperrten Bereichen an Start und Ziel sowie in den Bergen nur jenen Personen zu gestatten, die entweder negativ getestet, voll geimpft oder genesen sind.

Die Fahrer freuen sich über die Rückkehr der Fans. »Ich bin richtig glücklich, dass nach dem schweren Jahr 2020 in dieser Saison wieder mehr Fans an der Strecke stehen. Das haben wir bereits beim Giro d’Italia erlebt. Und es wird an solch ikonischen Anstiegen wie dem Mont Ventoux auch jetzt bei der Tour der Fall sein«, sagte Peter Sagan dem »nd«. Der dreifache Weltmeister und siebenmalige Gewinner des grünen Punktetrikots bei der Tour betonte: »Wir Profis fahren doch für das Publikum, und ihr Zuspruch spornt uns an. Mal sehen, ob ich Gelegenheit finde, während der Fahrt wieder ein Exemplar meines Buches zu signieren«, erinnerte der Slowake lachend an eine groteske Szene beim Anstieg zum Tourmalet 2019, als ihm ein Fan, an seiner Seite laufend, Buch und Stift herüberreichte.

Sagans Teamkollege bei Bora-hansgrohe, der deutsche Kletterspezialist Emanuel Buchmann, war da etwas verhaltener. Eine volle Normalisierung sehe er bei dieser Tour »noch nicht. Aber ich gehe davon aus, dass schon wieder mehr Leute an der Strecke sein werden. Dann ist hoffentlich im nächsten Jahr wieder alles so, wie es früher war«, meinte der Ravensburger.

Für die Profis hat sich im Ablauf wenig geändert im Vergleich zu 2020. »Die Hygieneregeln des Weltverbands UCI blieben unverändert. Je ein Test sieben Tage und drei Tage vor dem Rennen ist vorgeschrieben. Wir müssen in der Teamblase bleiben«, erzählte der Berliner Profi Roger Kluge. Drei weitere obligatorische Tests gibt es während des Rennens, einen beim Zeitfahren der 5. Etappe, die anderen beiden an den Ruhetagen. Und auch die Zwei-Fälle-Regel bleibt erhalten: Bei zwei positiven Tests im Team - egal ob vom Fahrer, Masseur oder Koch - muss der gesamte Rennstall abreisen.

Dass die Ergebnisse nicht immer zuverlässig sind, musste im letzten Jahr Tourchef Prudhomme selbst erleben. Nach einem positiven Test verließ er 2020 die Tour. Der Test stellte sich später als falsch-positiv heraus. Prudhomme kam zurück, zog sich allerdings im November tatsächlich eine Covid-Infektion zu - mit einem schwereren Verlauf, wie sein Arbeitgeber ASO bestätigte. Prudhomme weiß also, wovor er warnt.

Für den Tourchef ist es eine Rundfahrt im Niemandsland zwischen der Geistertour des vergangenen Jahres und dem Normalzustand davor. »Es ist noch nicht die Zeit für Selfies mit den Stars und der Bitte um Autogramme. Aber die Tour wird wieder volkstümlicher, der Enthusiasmus kehrt zurück«, sagte er.

Für die deutschen Profis ist Selfie-Alarm ohnehin nicht zu erwarten. Drei der vier gegenwärtig besten deutschen Radler bleiben der Tour fern. Maximilian Schachmann konzentriert sich auf Olympia, Klettertalent Lennard Kämna nimmt krankheitsbedingt eine Auszeit, der beste Sprinter Pascal Ackermann (alle Bora) wurde offiziell wegen Formschwäche nicht nominiert. Allein Emanuel Buchmann, Viertplatzierter der Tour 2019, könnte bei einzelnen Bergetappen ein Glanzlicht setzen.

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