nd-aktuell.de / 31.08.2007 / Kommentare
Kinderfürsorge und Arbeit mit Erziehungsgehalt
Peter Tholey
Peter Tholey wurde 1957 im Nordsaarland geboren. Er studierte Musik und Germanistik für Lehramt an Gymnasien in Karlsruhe. Heute arbeitet er in der Marktforschung für wissenschaftlich-technische Datenbanken und als freier Multimedia-Autor. Von Juli 2006 bis zur Parteineugründung war er Mitglied des WASG-Landesvorstandes Baden-Württemberg. Er ist Mitbegründer der Arbeitsgruppe »Familienpolitik« SüdWest der LINKEN, gebildet von Arbeitsgruppen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.
Von den 50ern bis in die späten 80er Jahre hinein erlebte Deutschland eine Phase sozialer Homogenität. Die gesellschaftlichen Schichten waren durchlässig - ein Schlüssel dafür war das insgesamt hohe Bildungsniveau. Eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, war mit einem Gewinn an gesellschaftlichem Ansehen verbunden. Inzwischen ist unser Land wieder zu einer Klassengesellschaft geworden. Im gesellschaftlichen Mittelstand grassiert die Angst vor Verarmung und sozialem Abstieg. Immer mehr Kinder und deren Eltern leben an und unter der Armutsgrenze, inzwischen gelten in Deutschland Kinder als Hauptarmutsrisiko. Die Mittelschicht kann nur noch durch weitgehenden Verzicht auf Kinder ihre soziale Stellung und ihren Lebensstandard sichern. Die aktuelle Politik versucht dann, diese Gruppe mit einem gehaltsabhängigen Elterngeld und Steuergeschenken zum Kinderkriegen zu bewegen. Dabei wird aber vorausgesetzt, dass beide Eltern berufstätig sind und ihre Kinder betreuen lassen. Auch die Unterschicht - dazu gehören alle Menschen, die kein eigenes Einkommen haben oder keines, welches die Existenz tatsächlich sichert - soll ihre Kinder möglichst früh abgeben, um dem Arbeitsmarkt schnell wieder als billige Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen. Schon zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gab es Kinderverwahranstalten, zu denen die Kinder gebracht wurden, damit die Arbeitskraft ihrer Väter in den Bergwerken und ihrer Mütter in den Webereien maximal ausgebeutet werden konnte. Die aktuelle neoliberale Familienpolitik folgt genau dieser Tradition. Väter und Mütter werden entweder als gebildete Spezialisten in den Produktionsprozess eingegliedert oder als Minderqualifizierte dem Niedriglohnbereich zugeführt - in beiden Fällen erhöht sich das Arbeitskräfteangebot und die Löhne sinken. Da Kinder dabei eher hinderlich sind, werden sie abgeschoben - oder gar nicht erst zur Welt gebracht. Kinder brauchen verlässliche Beziehungen, sonst droht ihnen emotionale Verwahrlosung mit den bekannten Folgeerscheinungen. Neoliberale Familienpolitik ignoriert jedoch die Bedürfnisse der Kinder nach Schutz und Geborgenheit und verletzt so ihre Menschenwürde. Darüber hinaus missachtet sie die Eltern in ihrem Wunsch, das Leben in der Familie selbstbestimmt führen zu können. Familien tragen in existenzieller Weise zum Aufbau der Gesellschaft bei. Die Leistung, die die Eltern über Jahrzehnte hinweg erbringen, sollte daher angemessen entlohnt werden. Vorstellbar wäre ein Erziehungsgehalt in den ersten drei Jahren von brutto 1600 Euro, bis zur Einschulung von 1200 Euro und bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres von 700 Euro pro Monat und Kind. Zusammen mit der Freistellung des Existenzminimums der Familie von Steuern würde so eine wirkliche Wahlfreiheit zwischen Familienarbeit und anderen Formen der Existenzsicherung geschaffen. Würden die Eltern dann qualifizierte Fremdbetreuung in Anspruch nehmen, stünden ihnen durch das Erziehungsgehalt die nötigen Mittel dafür zur Verfügung. Eine Verbesserung der Betreuungsqualität wäre die unmittelbare Folge davon. Die gerechte Aufteilung der Aufgaben innerhalb der Familie unterliegt der elterlichen Autonomie. Würden beide Eltern etwa 20 Stunden in der Woche in ihrem Beruf arbeiten, so hätten sie genug Zeit für eine angemessene Zuwendung und Fürsorge für ihre Kinder. Ihnen würde gleichzeitig der Kontakt zur Berufswelt erhalten, so dass ein späterer Vollwiedereinstieg leichter machbar würde. Erst ein sozialversicherungspflichtiges Erziehungsgehalt ermöglicht dies ohne Einbußen in der Lebensqualität. Damit sich auch die Väter mehr an der Erziehung der Kinder beteiligen können, sind verstärkt Teilzeitstellen für Männer und ein Rechtsanspruch darauf zu schaffen. Der besondere arbeitsrechtliche Schutz von Müttern ist auf die gesamte Erziehungszeit auszudehnen und durch einen entsprechenden Kündigungsschutz für Väter zu ergänzen. Durch ein Erziehungsgehalt würde endlich auch die Erziehungsarbeit von Vätern als vollwertige Arbeit anerkannt - dies sorgt dann für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Die Reform des Steuer- und Rentenrechts ist überfällig. In Deutschland bleiben heute mehr als 40 Prozent aller Ehen dauerhaft kinderlos, etwa die Hälfte aller Kinder kommt außerhalb ehelicher Lebensgemeinschaften zur Welt. Die steuerlichen Privilegien der bürgerlichen Ehe, die offensichtlich immer seltener Kinder als Lebensmittelpunkt hat, lassen sich kaum noch rechtfertigen. Steuerlich entlastet sollten stattdessen alle Lebensgemeinschaften mit Kindern sein. In Deutschland wird knapp die Hälfte aller Ehen geschieden. Von Trennungen ehelicher und nichtehelicher Lebensgemeinschaften sind jährlich mehr als 300 000 Kinder betroffen. Kinder sind auf langfristige Bindungen angewiesen und haben ein unabdingbares Recht auf die Fürsorge und Erziehung durch ihre biologischen Eltern, selbst nach deren Trennung und Scheidung. Aufgrund der immer noch an einem längst überholten Familienbild ausgerichteten Familienrechtspraxis müssen sich jedes Jahr etwa 40 000 Väter ihr Recht auf Kontakt zum gemeinsamen Kind vor Gericht erstreiten. Oberstes Ziel von Familienpolitik sollte der Schutz der natürlichen Eltern-Kind-Beziehung sein und die Gleichstellung beider Elternteile. Durch die Einführung eines sozialversicherungspflichtigen Erziehungsgehalts käme Hilfe und Unterstützung genau an der Stelle an, an der sie am dringendsten gebraucht wird - nämlich bei den Familien selbst. In der politischen Auseinandersetzung ist die Positionierung zum Erziehungsgehalt ein zuverlässiger Indikator dafür, wie ernst es mit der Unterstützung von Familien wirklich gemeint ist. Es werden auch sehr genau die Stellen sichtbar, wo in ideologischer Verblendung Handlangerdienste für eine familienfeindliche, neoliberale Politik erbracht werden. Da hilft dann nur beharrliche Aufklärung und eine breite familienpolitische Diskussion.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/115385.kinderfuersorge-und-arbeit-mit-erziehungsgehalt.html