Steine auf dem Weg zum Dialog

Spaniens Rechnungshof verhängt millionenschwere Kautionen gegen katalanische Politiker und Beamte

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

Spaniens sozialdemokratischer Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte vor wenigen Tagen die neue Marschroute im Katalonienkonflikt ausgegeben: »In der Vergangenheit war Bestrafung nützlich, nun ist Begnadigung nützlich.« Dabei hat Sánchez offensichtlich die Rechnung ohne den spanischen Rechnungshof gemacht. Just vor Sánchez’ erstem Aufeinandertreffen mit seinem katalanischen Konterpart Pere Aragonès von der Republikanischen Linken (ERC) am späten Dienstag in Madrid verlangte der Rechnungshof, dass 34 Politiker und Beamte aus Katalonien in wenigen Tagen hohe Kautionen für eine eventuelle Verurteilung hinterlegen sollen.

Vorgeworfen wird ihnen, den Unabhängigkeitsprozess durch Veruntreuung von Steuermitteln vorangetrieben zu haben. Dabei geht es vor allem um Tätigkeiten der katalanischen Auslandsvertretungen. Die sollen zwischen 2011 und 2017 insgesamt 5,4 Millionen Euro aufgewendet haben, um außerhalb Spaniens für die Unabhängigkeit Kataloniens zu werben.

Insgesamt 41 Betroffene waren am Dienstag vor den Rechnungshof in Madrid geladen. Der fordert hohe Kautionen, noch bevor ein Urteil von einem Gericht gesprochen wurde. Sichergestellt werden soll mit dem ungewöhnlichen Vorgang, dass die Summen nach einer Verurteilung bezahlt werden können. Können die Betroffenen die Beträge in wenigen Tagen nicht aufbringen, sollen ihre Vermögen gepfändet werden.

Die Höchstsumme von gut 3,6 Millionen Euro soll Albert Royo aufbringen, der Ex-Generalsekretär des öffentlich-privaten Zweckverbands zur Außendarstellung Kataloniens »Diplocat«. Oriol Junqueras, der ERC-Vorsitzende, der erst in der vergangenen Woche nach einer Begnadigung wie acht Mitstreiter für die Unabhängigkeit das Gefängnis verlassen durfte, und der im Exil weilende Ex-Regierungschef Carles Puigdemont, sollen fast zwei Millionen Euro zahlen.

Eine der Besonderheiten ist, dass fast 40 Millionen Euro hinterlegt werden sollen. Begründet wird das mit einer gesamtschuldnerischen Haftung. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Anwälte nur drei Stunden Zeit hatten, um die 500 Seiten starke Begründung zu lesen. Sie bekamen nur zehn Minuten, um Einsprüche zu formulieren, wie der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye sagte. Er spricht von einem »willkürlich, parteiisch, illegal und zudem verfassungswidrigen« Vorgang. Der katalanische Ex-Präsident Artur Mas, der 2,8 Millionen Euro hinterlegen soll, spricht von »Verfolgung« und einem Versuch, die ökonomische Existenz der Beschuldigten zu zerstören.

Der Vorgang trifft national und international auf massive Kritik. Eine Gruppe von mehr als 50 renommierten Wirtschaftswissenschaftlern, darunter 33 Nobelpreisträgern aus aller Welt haben einen Artikel in der Tageszeitung »El País« unterzeichnet. Sie stellen sich solidarisch an die Seite ihres Kollegen Andreu Mas-Colell, der 2,8 Millionen Euro aufbringen soll. Sie sind »zutiefst besorgt« über die Vorwürfe gegen »einen der bekanntesten und angesehensten« Ökonomen Spaniens.

Dieser sei »ein Vorbild für alle spanischen Wissenschaftler im Ausland«. Sie beklagen vage Vorwürfe und können nicht erkennen, dass sie auf Mas-Colell zuträfen. Der lehrte auch an renommierten US-Universitäten wie Harvard und Berkeley, leitete den Europäischen Forschungsrat und war bis 2015 Wirtschaftsminister Kataloniens. Paul Romer, der den Artikel mit ausgearbeitet hat, twitterte, er sei »schockiert«. Der Wirtschaftsnobelpreisträger sprach von »Politik mit anderen Mitteln.«

Chefredakteurin Ana Pardo de Vera weist in einem Artikel in der Zeitung »Público« darauf hin, dass sogar der Oberste Gerichtshof und das Verfassungsgericht schon vor Jahren die »gefährliche Politisierung« des Rechnungshofs kritisiert haben.

Freiheit für neun Katalanen. Spanien will mit Begnadigung von
Unabhängigkeitsaktivisten befrieden

Vor dem ersten Treffen zwischen Sánchez und Aragonès hatte auch der spanische Infrastrukturminister José Luis Ábalos das Vorgehen des Rechnungshofs als »Steine auf dem Weg« zu einem Dialog kritisiert. Sánchez traf sich am Dienstag nach Redaktionsschluss im Rahmen allgemeiner Konsultationen mit Aragonès, aber seine Regierung nennt weiter keinen Termin für offizielle Verhandlungen zur Konfliktlösung, die schon vor eineinhalb Jahren hätten beginnen sollen.

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