Gegen Goethe und die EU: Lukaschenko schlägt zurück

Der belarusische Präsident setzt die Mitgliedschaft in der Östlichen Partnerschaft aus und greift zu ungewöhnlichen Vergeltungsmaßnahmen

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Alexander Lukaschenko ist außer sich. »Ihr solltet uns nicht ersticken, sondern auf Händen tragen - Deutsche, Polen und die sogenannte Europäische Union«, ereiferte sich der belarusische Präsident Ende Juni über die EU-Ankündigung, ganze Wirtschaftszweige des osteuropäischen Landes wegen der Zwangslandung eines Ryanair-Flugzeuges mit Sanktionen zu belegen. Dabei habe Belarus Europa vor der braunen Pest des Faschismus gerettet, wetterte Lukaschenko auf einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Die Sanktionen seien eine kollektive Verschwörung des Westens. Dass sich gerade Deutschland an diesen beteilige, habe er nicht erwartet. »Herr Maas, wer sind Sie - gestern noch ein reuiger Deutscher und heute ein Erbe der Nazis?«

Genützt hat die Polemik dem Minsker Autokraten nichts: Nur zwei Tage nach Lukaschenkos wütendem Auftritt setzte die EU erstmals weitreichende Handelssanktionen gegen Belarus in Kraft.

Für Minsk kam der Schritt nicht unerwartet. Angesichts der breiten Verurteilung des Abfangmanövers gegen den Ryanair-Flieger stellte sich Lukaschenkos Apparat auf Strafmaßnahmen ein. Premierminister Roman Golowtschenko kündigte Gegenschritte an. »Wir werden die am besten geeigneten Reaktionsmaßnahmen auswählen, die wir ausgearbeitet haben.«

Am Montag vor zwei Wochen war es so weit: Lukaschenko setzte die Teilnahme am EU-Programm der Östlichen Partnerschaft aus. Dieses war im Jahr 2009 auf polnische und schwedische Initiative initiiert worden und soll sechs frühere Sowjetrepubliken an der östlichen EU-Außengrenze - Belarus, Moldawien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien und die Ukraine - politisch und wirtschaftlich stabilisieren. Einen Beitritt zur EU sieht das Programm nicht vor. Stattdessen unterstützt Brüssel marktwirtschaftliche Reformen, den Ausbau umweltfreundlicher Technologien und die Stärkung der öffentlichen Verwaltung mit Know-how und Geldern. Grundlage für die Zusammenarbeit sind Brüssel zufolge Fortschritte bei Menschenrechten und Demokratie.

Im Falle von Belarus sorgte die Aufnahme in die Östliche Partnerschaft für einen Neustart der angespannten Beziehungen zu Brüssel. Vor allem nach der sogenannten Normalisierung, als die EU unter dem Eindruck der Ukraine-Krise 2015 wichtige Sanktionen gegenüber Belarus aufhob, öffnete die Östliche Partnerschaft einen Kommunikationskanal zu Minsk. Allerdings interessierte Lukaschenko nur der wirtschaftliche Teil des Programms. EU-Projekte zur Stärkung des belarusischen Finanzsektors, Investitionen in die Eisenbahnstruktur und die Förderung mittelständischer Unternehmen hatten im Dialog mit der EU Vorrang vor demokratischen Standards. Dessen ungeachtet hatte das Festhalten an der Östlichen Partnerschaft auch für die EU Vorteile: Das Programm beinhaltet auch Vereinbarungen zur Sicherung der EU-Außengrenzen vor illegaler Migration.

Auf diesen Teil der Kooperation zielt nun Lukaschenkos Ausstieg aus der Östlichen Partnerschaft. »Ihr habt gegen uns einen hybriden Krieg entfesselt und fordert, dass wir euch verteidigen wie früher?«, höhnte der belarusische Präsident während seiner emotionalen Rede in Brest. Europa solle selbst zusehen, wie es Drogen und Migranten aufhalte. Belarus könne seinen Verpflichtungen wegen der Sanktionen nicht mehr nachkommen.

Unter den Folgen dieses Schrittes leidet vor allem das Nachbarland Litauen, über dessen Grenze zu Belarus nun so viele illegale Migranten wie nie zuvor strömen. Allein zwischen vergangenem Freitag und Montag waren es nach Angaben des litauischen Grenzschutzes 436 Menschen, die überwiegend aus dem Iran, Irak oder Afghanistan stammen. Im gesamten vergangenen Jahr fassten die litauischen Grenzschützer 81 Migranten beim Versuch des irregulären Grenzübertritts. Als Reaktion auf die steigenden Zahlen rief Vilnius den landesweiten Notstand aus. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex kündigte an, sich an der Überwachung der litauischen Grenze zu beteiligen - und entsandte in einem ersten Schritt sechs Beamte.

Am vergangenen Freitag zündete Lukaschenko die nächste Eskalationsstufe. Die Behörden hätten während einer groß angelegten Antiterroroperation angeblich »terroristische Schläferzellen« enttarnt, zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Belta. Die Terroristen stünden in Verbindung mit Deutschland, den USA, der Ukraine, Polen und Litauen, behauptete Lukaschenko. Ihr Ziel sei der gewaltsame Sturz der Regierung, aber auch die Ermordung des Journalisten Grigorij Asarenka vom belarusischen Staatsfernsehen sowie ein Angriff auf die russische Marine-Kommunikationsstation Wilejka in der Nähe von Minsk. Lukaschenko kündigte an, Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Vorwürfen zu konfrontierten. Darüber hinaus ließ der belarusische Präsident die Grenze zur Ukraine abriegeln. Die offizielle Begründung: Aus dem Nachbarland würden »große Mengen an Waffen« eingeschmuggelt. Am Abend zuvor forderte Lukaschenko das Goethe-Institut und den Deutschen Akademischen Austauschdienst auf, Belarus zu verlassen.

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