Durch die Musik zur Geduld

Plattenbau

  • Christopher Strunz
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt mehrere Prinzipien, nach denen die Band Iceburn vorgeht: Sie spielen Heavy und Doom Metal; dabei improvisieren sie, das heißt auch, sie gehen kollektiv vor; in ihrer Musik, vor allem aber textlich versuchen sie eine seltsame Anknüpfung an antike Vorstellungen. Diese Beschwörung von Mythen wird durch ihre Musik in einen modernen, gegenwärtigen Zusammenhang gestellt. In Zeiten der Pandemie ist das vielleicht eine ganz schöne, auch beruhigende Vorstellung.

Wenn man an einer Apotheke oder einer Arztpraxis vorbeifährt, sieht man über dem Eingang häufig die Abbildung einer Schlange, die sich um einen Stab windet. Dieses Zeichen geht zurück auf den griechischen Gott der Heilkunst, Asklepios. »Asclepius«, so heißt auch das neue Album von Iceburn.

Vielleicht ist dieser Titel herrschaftskritisch zu deuten. Schließlich wird ja Washington D. C. nicht nur mit dem alten Rom verglichen; der einfach ungerechte Charakter der Klassengesellschaft in den USA zeigte sich zuletzt auch deutlich während der Amtszeit von Donald Trump, als Menschen sich im Fernsehen über die Gesundheitspolitik der Regierung beschwerten. Aber wer kennt schon einen gewissen »Asclepius« und weiß, wie der mit unseren Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken zusammenhängt?

Wenn man von den Melvins kommt, wird man vielleicht die Musik von Iceburn gleich mögen. Man kennt’s ja: Metal, Punk und Hardcore. Und auch hier ist Improvisation im Spiel. Iceburn wurden in den frühen 90er Jahren in Salt Lake City, Utah, gegründet. Die Melvins stammen aus der Gegend um Seattle, Washington, und waren später in San Francisco und schließlich L. A., Kalifornien, zu Hause. Iceburn haben seit 1992 einige Alben veröffentlicht, angefangen mit »Firon«, anschließend »Hephaestus« und »Poetry of Fire«. Immer auf kleinen und unabhängigen Labels, seit einiger Zeit bei Southern Lord Records, einem international etwas bekannter gewordenen Label für Heavy Metal, Doom und Drone, bei dem Bands wie Boris, Earth, Lair of the Minotaur und Sunn O))) ihre Musik herausgebracht haben. Die letzte Albumveröffentlichung liegt bei Iceburn allerdings schon 20 Jahre zurück.

Iceburn spielen und improvisieren auf ihrem neuen Album so, dass ihre zwei Songs, jeweils etwas länger als eine Viertelstunde, durchgehend angenehm hörbar bleiben. Das heißt, man bekommt mit »Healing the Ouroboros« und »Dahlia Rides the Firebird« zwar nur zwei neue Songs zu hören, darf aber trotzdem über eine halbe Stunde lang im Bann der Musik stehen. Genau das zu erreichen, scheint der avantgardistische Anspruch der Band zu sein. Sie stellen eine Art eigene Frequenz her, die künstlich weit über die gewohnten kurzen Einheiten der Kulturindustrie wie bei den Drei-Minuten-Songs im Radio und im Internet hinausgeht.

Das nervt natürlich auch bei der Band um den Gitarristen Gentry Densley, weil einem dafür die Geduld fehlt oder man sie nur für Livemusik aufbringen würde. Aber sich ganz auf ihr Zusammenspiel konzentrierend, stellt diese Band auf »Asclepius« extra jene Wellenlänge her, die einfach Geduld beim Hören erfordert.

Vielleicht gelingt es ja wie in dem Song, einem mythischen Ouroboros - eine Schlange, die sich in ihren eigenen Schwanz beißt, und ein alchemistisches Symbol für einen geschlossenen Kreislauf -, durch Musik zu heilen. Und vielleicht reitet eine Dahlia demnächst wieder auf dem schönen Feuervogel wie in dem zweiten Titel. Hören kann man das schon jetzt.

Iceburn: »Asclepius« (Southern Lord Records)

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