Beteiligt und mitschuldig

Bericht des EU-Parlaments wirft Frontex Missachtung von Menschenrechten vor

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Schon länger gab es Berichte von Nichtregierungsorganisationen, Seenotrettern und Medien über die Verwicklungen der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Außengrenzen. Eine Prüfgruppe des EU-Parlaments hatte sich in den vergangenen vier Monaten mit den Anschuldigungen auseinandergesetzt. Am Donnerstag stellten die Abgeordneten von sieben Fraktionen nun ihr Papier vor - und kritisierten darin die Agentur Frontex und vor allem deren Chef Fabrice Leggeri scharf. Die Schlussfolgerung der Parlamentarier-Arbeitsgruppe lautete, »dass Frontex seine Verantwortung zum Schutz der Grundrechte an Europas Außengrenzen nicht wahrgenommen hat«. Die Organisation habe es versäumt, »Grundrechtsverletzungen anzusprechen und zu verhindern«.

Konkret ging es vielfach um die Frage, inwiefern Frontex in die illegalen Pushbacks der griechischen Küstenwache involviert war. Die Grenzschützer hatten in zahlreichen Fällen Geflüchtete in der Ägais gewaltsam zurückgedrängt oder auf dem Wasser auf Flößen ausgesetzt. Der EU-Bericht beschreibt, wie Leggeri das Wissen von Frontex über diese Menschenrechtsverletzungen systematisch verschwiegen und auch vertuscht hatte. Der Agenturchef habe demnach unter anderem diesbezügliche Stellungnahmen und Anfragen seiner Grundrechtsbeauftragten ignoriert, das Parlament bei verschiedenen Anlässen nicht oder nicht ausreichend informiert, Untersuchungen unterdrückt und Beweise vernichtet. Leggeri ließ laut dem Bericht beispielsweise Aufzeichnungen löschen, die Frontex von der Luft aus von einem Pushback der griechischen Küstenwache im April 2020 angefertigt hatte.

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»Der Bericht stellt klar fest, dass es an den EU-Außengrenzen Grundrechtsverletzungen gibt, einschließlich illegales Zurückdrängen von Migranten, sogenannte Push-Backs«, erklärte Cornelia Ernst, Linke-Abgeordnete und Mitglied der Frontex-Kontrollgruppe des EU-Parlaments. Das Papier räume auch ein, dass Frontex von diesen Grundrechtsverletzungen wusste und nicht gehandelt habe. In der Untersuchung sei zudem deutlich geworden, dass es eine systematische Weigerung des Exekutivdirektors gegeben habe, eigene Regelungen zu Grundrechten umzusetzen. »Leggeri muss sofort zurücktreten«, forderte Ernst.

Die Abgeordnete war selbst in Griechenland recherchieren und hatte nach eigenen Angaben mit traumatisierten Schutzsuchenden Kontakt. »Ich habe viele Menschen gesehen, die an dieser Politik kaputt gegangen sind«, so die Politikerin.

Bei der wesentlichen Frage, inwiefern Frontex auch direkt an den Menschenrechtsverletzungen in der Ägais beteiligt war, gibt es jedoch keine Einigkeit unter den Abgeordneten. Der Bericht ist somit ein Kompromiss. Direkte Belege für eine Verwicklung der EU-Grenzschützer in Pushbacks habe die Parlamentarier-Gruppe nicht gefunden, sagte entsprechend die Berichterstatterin der Arbeitsgruppe, die Niederländerin Tineke Strik von der Grünen-Fraktion am Donnerstag in Brüssel. Dies sei auch so im Bericht vermerkt wurden. »Diese Schlussfolgerung lehnen wir klar ab«, stellte dagegen die Linke-Abgeordnete Cornelia Ernst klar. Diese Formulierung sei eine politische Entscheidung gewesen, die von konservativen und rechten Kräften vorangetrieben worden sei. Ihr Ziel sei gewesen, Frontex zu schützen und die Verantwortung auf die Nationalstaaten abzuwälzen. Die rechten Kräften hätten so auch dafür gesorgt, dass man bestimmte Zeugenaussagen für den Bericht nicht gehört habe.

»Wir als Linke sind davon überzeugt, dass Frontex nicht nur von Menschenrechtsverletzungen wusste und nicht gehandelt hat, sondern auch beteiligt und mitschuldig ist an den Push-Backs«, betonte Ernst. Selbst wenn es keine Frontex-Beamten seien, die die Personen eigenhändig zurückdrängen, ermögliche die Agentur durch das Aufspüren der Boote, das Anrufen der griechischen Behörden und das anschließende Verlassen des Schauplatzes die Zurückdrängung von Schutzsuchenden. »Frontex ist ein Komplize.«

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