nd-aktuell.de / 16.07.2021 / Politik / Seite 3

Sirenen in der Nacht

Die Unwetter verursachten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz schwere Zerstörungen

Sebastian Weiermann, Wuppertal

Es ist 0.40 Uhr in der Nacht zu Donnerstag, als in Wuppertal die Sirenen losgehen. Die ganze Stadt wird vor dem gewarnt, was da kommen soll. Der Krisenstab der Stadt rechnet mit einer schweren Überflutung. Dass mit dem Wetter etwas nicht stimmt, hatte sich abgezeichnet. Schon am Montag gab der Deutsche Wetterdienst eine Warnung für große Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz heraus. Starkregen, örtlich bis zu 200 Liter pro Quadratmeter, wurde erwartet. In Hagen oder Wuppertal - Städte,die besonders vom Unwetter betroffen waren - gab es in den letzten Jahren um die 1000 Liter Niederschlag pro Quadratmeter im ganzen Jahr.

Was der starke Regen anrichtete, zeigte sich als erstes in Hagen. Schon am Mittwochmorgen waren ganze Ortsteile überschwemmt. Kleine Bäche hatten sich in reißende Flüsse verwandelt. Straßen, Autos, Hauswände wurden weggespült. Das gleiche Bild etwas später im nahegelegenen Sauerland. In Altena starben zwei Feuerwehrmänner im Einsatz.

In Wuppertal war zu diesem Zeitpunkt noch nicht viel vom Unwetter zu spüren. Ja, es regnete. Es regnete viel. Aber das sind die Menschen in der Stadt gewöhnt. Über Wuppertal gibt es den Witz, dass man den Sommer daran erkennen könne, dass der Regen warm und nicht kalt sei. Auch deswegen nahmen viele Menschen die Warnungen wohl auf die leichte Schulter. Doch es gab schon am Mittag deutliche Warnzeichen. Die Wupper stieg langsam an und hatte sich braun gefärbt. Das Problem für die 350 000 Einwohner Stadt: Die Wuppertalsperre und die Bever, die die den Zufluss der Wupper regulieren, drohten überzulaufen. Der Ruhrverband, der die Talsperren unterhält, hatte zwar seit Tagen Wasser aus den Talsperren abgelassen. Diese liefen in der Nacht zum Donnerstag aber trotzdem über. Die Stadt Wuppertal warnte daraufhin vor Überflutungen, deren Ausmaß nicht abzuschätzen sei, und rief die Bewohner des Tals dazu auf, Erdgeschosswohnungen zu verlassen und bei Nachbarn in höheren Stockwerken unterzukommen oder sich in eine der Notunterkünfte zu begeben.

In der Nacht begann dann das große Zittern. Kommt die Flut, wie stark wird sie sein, welche Schäden wird sie anrichten? Während Feuerwehr und Hilfsorganisationen Unterführungen und Brücken im Tal absperrten, tauschten sich zahlreiche Wuppertaler*innen in sozialen Netzwerken über die aktuelle Situation aus. Anwohner der Wupper berichteten von Leichtsinnigen, die auf Brücken standen, um das Wasser zu fotografieren. Andere erzählten, dass bei ihnen der Strom ausgefallen ist. Eine Vorsichtsmaßnahme, wie sich herausstellte. Die allerdings auch Radio Wuppertal betraf. Der Lokalsender berichtete die ganze Nacht live; als mitten in der Nacht das Webradio ausfiel, konnte das Radio nur noch über UKW empfangen werden. Die Moderator*innen erzählten, dass sie im Dunkeln sitzen, kein Internet mehr haben und nur noch mit ihrem Notstromaggregat senden können.

Im Internet zeigten die Wuppertaler*innen und viele andere Menschen aber auch ein beeindruckendes Maß an Selbstorganisation. Nachdem angemerkt wurde, dass die Stadt Wuppertal nur auf Deutsch über das Unwetter informierte, fingen Menschen an, die Meldungen in zahlreiche Sprachen zu übersetzen. Im Lauf der Nacht kam sogar noch eine Gebärdensprachdolmetscherin hinzu. Die Stadt griff das Engagement dankend auf und verbreitete die Übersetzungen weiter.

In den frühen Morgenstunden wurde dann klar, eine Flutwelle wird Wuppertal nicht treffen. Der Pegel der Wupper stand zwar auch Donnerstagnachmittag noch gefährlich hoch, aber es war nicht zur absoluten Katastrophe gekommen. Vollgelaufene Keller, Gebiete ohne Stromversorgung und ein evakuierter Vorort sind die vorläufige Bilanz.

Ganz anders erging es zahlreichen Orten in der Eifel und in der Region Aachen. In Teilen von Eschweiler etwa musste die Wasserversorgung eingestellt werden. Der Braunkohletagebau Inden wurde überflutet, ein Mitarbeiter wird vermisst. In der Eifel ist die Situation noch schlimmer. Die Ahr und zahlreiche Nebenflüsse sind über die Ufer getreten. Im kleinen Dörfchen Schuld wurden mehrere Häuser von den Wassermassen zerstört. 30 Menschen wurden dort am Donnerstagnachmittag noch vermisst. In anderen Orten mussten sich Menschen auf ihre Hausdächer flüchten. Sie konnten teilweise nur aus der Luft gerettet werden, weil die Strömung zu stark für den Einsatz von Booten war. Im Kreis Ahrweiler wurden 100 Häuser zerstört.

Am Donnerstagnachmittag drohten Überschwemmungen in Trier. Dort musste unter anderem ein Krankenhaus evakuiert werden. In Rheinland-Pfalz starben mindestens 5 Menschen im Zusammenhang mit den Überflutungen. In Nordrhein-Westfalen sind 15 Tote zu beklagen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sprach von einer »noch nie erlebten Katastrophe«. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet machte sich in Altena und Hagen ein Bild von der Situation. Er erklärte, dass das Land die Kommunen finanziell unterstützen werde. Eine ähnliche Ankündigung gab es von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen kritisierten die Landesregierung. Die SPD bemängelte das Fehlen eines landesweiten Krisenstabes. Die Grünen appellierten, Städte krisenfest zu machen sei »kein nice to have, sondern ein must have«.

Das genaue Ausmaß der Schäden und die Zahl der Todesopfer dieses Unwetters waren am Donnerstagnachmittag noch nicht bekannt. Hoffnungsvoll stimmt, dass es am Donnerstag keine Unwetterwarnungen in den betroffenen Gebieten mehr gab.