Mit Drogen leben, durch Drogen sterben

Erinnerung an die 216 Todesopfer des vergangenen Jahres in der Hauptstadt

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Du fehlst«, war auf den am Mittwoch am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg aufgespannten schwarzen Transparenten zu lesen. Dazu zwei Zahlen: 1581 und 216.

1581 Drogenkonsument*innen sind im vergangenen Jahr in Deutschland gestorben, 216 in Berlin. Ihrer wurde am 21. Juli, dem Internationalen Gedenktag für solche Todesopfer, in 70 Städten gedacht. Ausgangspunkt des Gedenktags ist der Tod von Ingo Marten am 21. Juli 1994 in Gladbeck. Seine Mutter konnte mit Unterstützung der Stadt einen Gedenkort für ihren Sohn errichten. Darauf folgten ähnliche Initiativen in anderen Kommunen. Seit 1998 wird der Gedenktag dezentral am 21. Juli begangen.

In Berlin hat ein Bündnis, in dem solidarische Betroffene und Gruppen von Sozialarbeiter*innen kooperieren, am Kottbusser Tor an die 216 Drogentoten in der Hauptstadt erinnert. Zu Beginn hörte man aus Lautsprechern Reggaemusik, bevor dann verschiedene Redner*innen darauf hinwiesen, dass es mehr als eine Gedenkveranstaltung sei. Sie erinnerten daran, dass der Tod vieler dieser Menschen vermeidbar gewesen wäre. Kritisiert wurde die öffentliche Stigmatisierung der Drogenkonsument*innen, die sich bis in die Sprache erstreckt. So verwahrte sich ein Redner des Drogennotdienstes dagegen, dass in den Medien oft geschrieben wird, die Menschen seien ihrer Sucht erlegen. »Dabei sind sie an den gesellschaftlichen Bedingungen gestorben, die ihnen ein Leben mit Drogen nicht möglich macht«, sagte er.

Die Zahl der Drogentoten ist im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um 13 Prozent gestiegen und damit die höchste seit 2001. Daher sind die Initiativen auch besonders alarmiert. Jan-Felix Engel von der Berliner Aidshilfe, die zu den Mitorganisator*innen der Kundgebung gehört, erinnerte gegenüber »nd« daran, dass in der letzten Zeit ein Großteil der Ansteckungen mit Aids über Drogenbesteck und nicht mehr über sexuelle Kontakte verlaufe.

Alle Redner*innen betonten, dass das beste Mittel zu Senkung der Todeszahlen ein Ende der Stigmatisierung und Kriminalisierung von Drogennutzer*innen sei. Redner*innen forderten Reformen auch im Gesundheitswesen. Dort würden Drogennutzer*innen beispielsweise durch eine Kameraüberwachung von Urintests stigmatisiert. Partielle Verbesserungen für die Drogennutzer*innen gab es im vergangenen Jahr vor allem durch die Corona-Pandemie im Bereich der Substitution, wie die Behandlung von Heroingebraucher*innen mit weniger gesundheitsschädlichen Drogen bezeichnet wird. Deswegen wurde die Corona-Pandemie von einer Rednerin auch als Segen zugleich in Bezug auf die Substitution bezeichnet.

Mehrere Redner*innen betonten, dass es in Berlin unter Rot-Rot-Grün an verschiedenen Punkten Verbesserungen für die Drogennutzer*innen gegeben habe. So seien die zuständigen Fachstellen personell aufgestockt worden. Defizite gebe es weiterhin bei der Entkriminalisierung des Drogenkonsums. Auch der Umgang mit Drogennutzer*innen in den Berliner Gefängnissen steht weiterhin in der Kritik. Außerdem gebe es beim Drug-Tracking, also der Überprüfung der Drogen auf besonders gesundheitsschädliche Füllstoffe, auch in Berlin weiterhin Reformbedarf. Mehrere Redner*innen erwähnten den Termin der Bundestagswahlen am 26. September und erhofften sich von einer Niederlage der Unionsparteien größere Chancen für eine Entkriminalisierung von Drogenkonsument*innen. Der Gedenktag zeige, wie wichtig auch in diesem Bereich die Selbstorganisation der Betroffenen und der mit ihnen Verbündeten ist.

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