Mach mich nicht an, Macker!

Im Berliner Club »about blank« diskutiert die Hip-Hop-Szene über strukturelle Probleme mit Sexismus und Rassismus auf Musikveranstaltungen

  • Linda Peikert
  • Lesedauer: 6 Min.

»Doch Musik ist Politik, danke, dass es Rap gibt, denn zu guter Musik nickt der Kopf schon im Beat«, rappt Finna, in rosa Licht getaucht. Die Besucher*innen im Garten des Clubs »about blank« unweit des S-Bahnhofs Ostkreuz in Berlin-Friedrichshain räumen an diesem Donnerstagabend Stück für Stück die Bierbänke von der Tanzfläche. Einige wippen zum Beat, andere tanzen. Immer wieder werden Mittelfinger gegen Sexismus in die Höhe gestreckt.

Es entsteht eine Stimmung, in der sämtliche Frustration über patriarchale Strukturen und Sexismus weggetanzt werden kann. »Ist es komisch, direkt nach dieser Diskussion zu feiern? Ich finde es eigentlich empowernd, uns den Rap zurückzuholen und jetzt gemeinsam Spaß zu haben«, ruft Finna ins Publikum. Es wird gejubelt an diesem ersten Veranstaltungstag von »Rap am Ostkreuz«, einem zweitägigen Hip-Hop-Festival im »about blank«.

Rap-Szene befindet sich im Wandel

Im Zuge der aktuellen sogenannten Deutschrap-MeToo-Debatte ist die Szene gerade im Wandel. Zwei Künstlerinnen hatten aus nicht bekannten, aber mutmaßlich politischen Gründen abgesagt. Die Veranstalter*innen des Musiklabels Audiolith haben sich deshalb entschlossen, auf »business as usual«, also Normalbetrieb, zu verzichten. Stattdessen wollen sie den Raum für eine längst überfällige Diskussion freigeben: Über Sexismus und Deutschrap wird erst auf dem Podium, dann in großer Gruppe diskutiert. Mit dabei waren die zwei Initiatorinnen von Deutschrap-MeToo, die anonym bleiben möchten, dazu Molly von Audiolith und die beiden Rapper Amewu und Megaloh. Moderiert wird die Debatte von Runa, die schon auf großen deutschen Hip-Hop-Events gearbeitet hat und daher die Strukturen hinter der Bühne bestens kennt. Gemeinsam suchen sie nun nach Lösungen für die strukturellen Probleme.

Wie kann man verhindern, dass - nicht zuletzt minderjährige - Frauen im Backstagebereich von Künstlern belästigt oder sexuell missbraucht werden? Wer hat ein Auge darauf, dass Konsens herrscht? Wer könnte ein*e Ansprechpartner*in sein, wenn sich jemand unwohl oder bedrängt fühlt? Und wie kann man dem Hierarchiegefälle von Fan zu Rap-Star entgegenwirken?

An Ideen, wie man den Problemen beikommen kann, mangelt es nicht. So werden bessere Awareness-Strukturen gefordert, das heißt, Strukturen, die auf Diskriminierung und Herrschaftsverhältnisse aufmerksam machen und Menschen, die Grenzüberschreitungen erlebt haben, in ihrem Umgang damit unterstützen. Zudem, so ein weiterer Ansatz, brauche es eine Frauenquote in der Musikbranche - auch hinter der Bühne - und darüber hinaus Bildungsarbeit und Sensibilisierung für patriarchale Machtgefälle.

Aber was ist eigentlich mit frauen- und menschenverachtenden Songtexten? Sollten die bei dieser Debatte nicht auch mehr in den Mittelpunkt rücken? Zwar werden nur die wenigsten Hörer*innen den Text wörtlich nehmen, aber trotzdem verbreiten viele Deutschrap-Lyrics eine misogyne Stimmung.

Sexismus gegen Männer gibt es nicht

»Und was ist mit Female-Rap, in dem Gewaltfantasien gegenüber Männern thematisiert wird?«, fragt eine junge Frau aus dem Publikum. Sie fände das nämlich irgendwie empowernd, also selbstermächtigend, und wäre sich unsicher, ob das in Ordnung sei. Ein einstimmiges »Ja« kommt vom Podium. »Es kann keinen Sexismus gegen Männer geben, solange wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, in der FLINTA strukturell diskriminiert werden«, ergänzt ein*e weitere Teilnehmer*in der Runde mit Blick auf die Situation von Frauen, Lesben, inter, nichtbinären, trans und agender-Personen, kurz: FLINTA.

Rapperin Finna performt direkt nach dieser - auch belastenden - Diskussion. Sie fängt die Stimmung gut auf. Finna erzählt, dass sie eine übergriffige Situation aus ihrem Leben in einem A-capella-Song verarbeitet hat und ihren Aggressionen darin freien Lauf lassen konnte. Mit fester Stimme, dann wieder mit hörbarer Verunsicherung performt sie den Track fast schon wie eine Sequenz eines Theaterstücks. Sie rappt darüber, wie sie sich gegen einen sexistisch agierenden, übergriffigen Mackertypen mit Worten und Gewalt wehrt. Der Applaus will nicht enden. Der Song passt wie maßgeschneidert auf den Abend.

Solidarität mit Betroffenen ist wichtig

»Das Publikum war großartig, es hat so viel Spaß gemacht«, sagt Finna am Tag darauf zu »nd«. »Es war auch genau der richtige Abend für meine Inhalte.« Um die Probleme mit Sexismus und Diskriminierung mehr in den Vordergrund zu rücken, habe sie 2015 überhaupt erst angefangen zu rappen. Das zu thematisieren, sei damals noch viel schwieriger gewesen als heute. »Endlich stößt man nicht mehr auf taube Ohren. Durch Deutschrap-MeToo entsteht endlich eine öffentliche Debatte«, sagt sie.

Finna ist es wichtig, sich in der aktuellen Situation mit den Betroffenen zu solidarisieren und fordert das auch von ihren männlichen Kollegen. »Alle sollten jetzt ihre Privilegien nutzen - und wenn man ein Sprachrohr hat oder bekommt, auch das.« Sie sagt, dass Schluss damit sein müsse, dass die männlichen Rapper sich wegducken und schweigen. Vielmehr seien auch sie jetzt an der Reihe, ihr eigenes Verhalten der vergangenen Jahre zu reflektieren. »Es ist eine Zeit des Zuhörens, aber auch des Positionierens«, ergänzt die Rapperin. »Es darf halt einfach nicht so bleiben, wie es ist.«

Auch sie fordert mehr Frauen in der Musikbranche allgemein, um etwas grundlegend verändern zu können. Bei Labels, bei Künstleragenturen, im Backstage: Überall bräuchte es mehr Frauen, vor allem aber in hohen Positionen, die dann auch aktiv etwas strukturell verändern können.

Nahostkonflikt am Ostkreuz

Im und um das »about blank« findet derzeit noch eine weitere Debatte statt: Das queere Kollektiv Buttons hatte eine regelmäßige Veranstaltungsreihe in dem Club. Wegen politischer Differenzen hat sich Buttons nun vom »about blank« getrennt. In einer langen, über die sozialen Medien verbreiteten Stellungnahme begründen sie ihre Entscheidung: Insbesondere werfen sie dem »about blank« dabei seine antideutsche Einstellung vor, zudem werde der Club von weißen Deutschen kontrolliert. Sie hätten lange versucht, hieran etwas von innen heraus zu verändern, nun würde es für sie so nicht mehr weitergehen. Gegenüber »nd« will man sich nicht näher zu den Vorwürfen äußern. Für das »about blank« haben die Attacken von Buttons bereits konkrete Folgen gezeitigt: Zwei weitere queere Veranstaltungen wurden abgesagt.

Eli, Sprecherin des »about blank«, vermutet, dass eine ebenfalls über die sozialen Medien verbreitete Positionierung des Clubs Mitte Mai die Trennung mit ausgelöst haben könnte. Das »about blank« hatte einen Post gegen jeden - also auch linken - Antisemitismus veröffentlicht, eine Kritik an der Dämonisierung von Israel inklusive. »Unser Wunsch war es immer, uns nicht in den Nahostkonflikt einzumischen, aber aufzuzeigen, dass Antisemitismus in Deutschland halt immer noch ein Problem ist«, sagt Eli.

»Wir vom ›about blank‹ setzen uns nun zusammen und überlegen: Was haben wir übersehen? Wo haben wir nicht genug zugehört? Was können wir in die Zukunft mitnehmen?«, erzählt Eli weiter und ergänzt: »Wir wollen nicht, dass es zu einer weiteren Polarisierung kommt.« Das Clubkollektiv müsste nun in Ruhe darüber nachdenken, um zu sehen, wie es danach weitergehe. Einige andere linke und queere Kollektive hätten sich schon beim ihnen gemeldet, einige hätten Trost gespendet und andere Interesse angemeldet, selbst Veranstaltungen durchzuführen.

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