Grenzen sprengen

Ron Mael über die Entstehung des in Cannes preisgekrönten Filmmusicals »Annette«

  • Olaf Neumann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ron Mael, Ihr gemeinsam mit Ihrem Bruder Russel produziertes Filmmusical »Annette« wurde gerade bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Was war Ihr Erfolgsrezept? Orientierung an den großen Broadway-Musicals?

Nein, im Gegenteil. Wir haben versucht, alle Musicalklischees zu vermeiden. Als wir uns mit Leos Carax vor acht Jahren das erste Mal trafen, sprachen wir zunächst einmal über die Sinnhaftigkeit eines Filmmusicals. Wir waren uns schnell einig, dass die Charaktere aufrichtig sein müssten. Und selbst die dramatischsten Lieder sollten in einer Art Plauderton gesungen werden. Wir wollten auch keine üblichen Tanzszenen.

Ron Mael

Die in Los Angelos lebenden Brüder Ron und Russell Mael sind seit 50 Jahren das Duo Sparks. Sie schrieben die Songs und die Musik zum jüngst in Cannes preisgekrönten Filmmusical des französischen Regisseurs Leos Carax, ab dem 20. August bei Amazon zu sehen, ab Herbst in den Kinos, ebenso wie die Band-Dokumentation »The Sparks Brothers«. Das Album »Annette« (Sony Classical) ist bereits auf dem Markt. Mit Ron Mael, 74, sprach Olaf Neumann.

Hatten Sie von Anfang an geplant, die Grenzen des Genres zu sprengen oder passierte das eher zufällig?

Wir haben nicht den Plan gefasst, das Genre zu sprengen, wohl aber Grenzen. Tatsächlich mögen wir traditionelle Musicals, aber als Duo Sparks streben wir nach einem moderneren Kontext. »Annette« sollte ursprünglich ein reines Musikalbum werden, das eine Geschichte erzählt und von uns live präsentiert wird. Carax hatte schon mal einen Song von uns in seinem Film »Holy Motors« verwendet. Als wir ihm dann unsere »Annette«-Aufnahmen vorgespielt haben, war er begeistert. Was uns natürlich freute.

»Annette« hat die Filmfestspiele von Cannes eröffnet und kam bereits am darauffolgenden Tag in die französischen Kinos. Das Musical spielt im heutigen Los Angeles und erzählt von einem Stand-up-Comedian und einer international erfolgreichen Opernsängerin, ein nach außen hin glückliches und glamouröses Paar, dessen Leben mit der Geburt ihrer Tochter Annette komplett auf den Kopf gestellt wird. Das Mädchen verfügt über eine besondere Gabe. Wie kamen Sie auf die Idee? Flossen hier eigene Erfahrungen ein?

Eher nicht. Mein Bruder Russel und ich stammen aus einer Mittelschichtfamilie. Unser Vater war Grafiker, Mutter Bibliothekarin. Wir hatten nie den Ehrgeiz, professionelle Musiker zu werden, auch nicht während unserer Studienzeit. Wir haben zunächst nur aus Spaß Musik gemacht, bis wir dann nichts anderes mehr taten.

Sie und Ihr Bruder haben an der Universität von Kalifornien Filmkurse belegt. Wollten Sie Filmemacher werden?

Russel war anfangs sehr am Medium Film interessiert, während ich einen Abschluss in Grafikdesign anpeilte. Unter amerikanischen Studierenden galten damals, in den 60er Jahren, britische, französische, schwedische und deutsche Filme, etwa von Ingmar Bergman, Rainer Werner Fassbinder oder Werner Herzog als cool. Deren Werke waren so anders als die Hollywoodproduktionen und überaus inspirierend. Auch heute ist europäische Kunst sehr präsent in Los Angeles.

Warum hat Carax Szenen, die in Los Angeles spielen, in Städten wie Bonn, Köln, Düsseldorf und Münster gedreht?

Das hatte einerseits etwas mit der Filmförderung zu tun. Andererseits wollte er keine mondänen Aufnahmen, was ich sehr reizvoll finde. Es gibt aber auch etliche Szenen, die in Los Angeles gedreht wurden.

Adam Driver und Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard singen Ihre Songs. Haben Sie ihnen Tipps gegeben, wie diese zu interpretieren seien?

Das war nicht nötig, beide sind nicht nur großartige Schauspieler, die einigermaßen gut singen können. Nein, sie waren perfekt vorbereitet, haben unsere Songs perfekt intoniert. Mit Adam haben wir schon vor ein paar Jahren in Los Angeles über das Projekt gesprochen. Es war für uns toll, mit einem Protagonisten aus den »Star Wars«-Filmen arbeiten zu dürfen - wobei wir versuchten, möglichst cool zu bleiben. Das gilt übrigens auch für Marion Cotillard, eine über Frankreich hinaus beliebte und verehrte Schauspielerin. Wir hätten mit der Wahl der Hauptdarsteller nicht glücklicher sein können.

Zeitgleich zu »Annette« entstand der Dokumentarfilm »The Sparks Brothers« von Edgar Wright, der in Deutschland am 7. Oktober in die Kinos kommt. Doppelte Ehre für Sie - nach Jahren schwindender öffentlicher Aufmerksamkeit? Hatten Sie manchmal das Gefühl, in der Welt der Popmusik zu wenig wertgeschätzt zu werden?

Wir haben stets versucht, uns von Enttäuschungen nicht lähmen zu lassen. Das Schlimmste wäre gewesen, wenn wir in Verbitterung und Resignation gefallen wären. Man muss immer vorwärts schauen, weitermachen und sich bemühen, etwas Neues zu kreieren, was noch beeindruckender als die vorherigen Erfolge ist. Wir sind Wright für seine Dokumentation über uns sehr dankbar, vor allem, weil er viele Musiker, Schriftsteller und Komödianten zu Wort kommen lässt, die unsere Musik wertschätzen.

Waren Sie überrascht, dass Ringo Starr, Flea, Beck, Björk, New Order oder Steve Jones von den Sex Pistols offen bekunden, von Ihnen, dem Duo Sparks, beeinflusst worden zu sein?

Oh ja. Von vielen wussten wir gar nicht, dass sie uns überhaupt wahrgenommen haben oder wahrnehmen. Nun aus ihrem Munde zu hören, was wir ihnen bedeutet haben oder noch bedeuten, welchen Einfluss wir auf die moderne Popmusik hatten, war schon sehr besonders, hat uns sehr gefreut.

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