nd-aktuell.de / 30.08.2021 / Politik / Seite 2

Baskischer Grenzfluss Bidasoa wird zur tödlichen Falle

Angesichts verschärfter Kontrollen an der Grenze nehmen Migranten auf dem Weg nach Frankreich die gefährliche Route im Norden Spaniens und riskieren dabei ihr Leben

Ralf Streck, San Sebastián

Ein grauer Wolkenschleier liegt an diesem Sommermontag über der spanischen Grenzstadt Irun in der Autonomen Region Baskenland. Auch der Himmel scheint zu weinen, während sich auf dem Rathausplatz Hunderte Menschen versammeln, um Abdulaye Kulibaly zu gedenken. Viele Tränen fließen angesichts des sinnlosen Tods des jungen Mannes, der nur 18 Jahre alt wurde. Am Vortag hatte Kulibaly im »Europa ohne Grenzen« an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich sein Leben verloren.

Diese Grenze zerschneidet hier auch für die Basken schmerzlich ihr Land und seit über 18 Monaten wird sie von Frankreich wieder stark kontrolliert. Bevor Kulibaly versuchte, durch den Grenzfluss Bidasoa im Osten von Irun zu waten und dabei ertrank, hatte er mehrfach vergeblich versucht, über eine der Brücken auf die französische Seite zu gelangen.

Es waren die Helfer des Netzwerks Irungo Harrera Sarea, die am 9. August zu einer Kundgebung aufgerufen hatten, um gegen den bereits dritten Todesfall an der Grenze in den vergangenen Monaten zu protestieren. Sie erinnerten dabei auch an Yaya Karamoko. Der 28-Jährige, der aus der Elfenbeinküste stammte, war Ende Mai das erste Opfer, das der gefährliche Weg über den Fluss gefordert hatte. Bereits im April hatte sich ein ebenfalls 28-jähriger Mann aus Eritrea am Flussufer erhängt - vermutlich aus Verzweiflung über seine aussichtslose Lage. »Das ist eine immer grausamere Grenze«, resümiert auf der Kundgebung Iruns sozialdemokratischer Bürgermeister, José Antonio Santano.

Gemeinsam mit Kotte Ecenarro, seinem Amtskollegen aus dem französischen Hendaye, fordert Santano eine Abkehr von einer Politik, die »Menschen aus Verzweiflung dazu bringt, ihr Leben zu riskieren«. Verantwortlich dafür machen sie rassistische Kriterien: »Die Kontrollen richten gegen eine konkrete Gruppe«, sagt Santano und meint damit Schwarzafrikaner.

Schon 2018 hatte Frankreich begonnen, Migranten an der Grenze abzufangen. Seitdem laufen sie hier in Irun auf dem Weg nach Norden auf. »Manchmal sind es nur wenige, bisweilen kommen auch mehre Dutzend zum Treffpunkt«, berichtet die Netzwerk-Aktivistin Garbiñe Imaz dem »nd«. Täglich von 10 bis 12 Uhr kümmern sich die Helfer um die Menschen, klären sie über die Situation auf und warnen vor dem Fluss. Der ist ein scheinbar einfaches, tatsächlich aber tückisches Hindernis mit gefährlichen Strömungen.

Ihr Ziel erreichen die französischen Behörden nicht: »Wir wissen, dass es viele über die Grenze schaffen«, stellt Iruns Bürgermeister fest. Der Nichtschwimmer Kulibaly allerdings schaffte es nicht. Das Waisenkind war mehr als zwei Jahre durch die Wüste unterwegs gewesen, bis Kulibaly mit einem Flüchtlingsboot auf die Kanarischen Inseln gelangt war. Nun wollte er endlich zu seinem Onkel im 500 Kilometer entfernten Nantes gelangen. Zuvor hatte er sein Glück mit Schleusern versucht, die hier ihre trüben Geschäfte machen. Nur bis nach Hendaye hatten sie ihn gebracht, wo er der französischen Polizei in die Hände lief, die ihn zurück nach Irun brachte. Doch dort konnte er nicht noch einmal beim Roten Kreuz übernachten, da dies nur für drei Nächte möglich ist.

Vorbeikommende Radfahrer hätten es fast noch geschafft, Kulibaly zu retten. Dessen 16-jähriger Begleiter hatte um Hilfe gerufen. Sie stürzten sich in den Fluss, konnten Kulibaly aber der Strömung nicht mehr entreißen. Kulibalys Weggefährte gelangte bei der gefährlichen Aktion tatsächlich auf französischen Boden. Vor dem Eintreffen der Polizei verschwand er eilig.

Leid und Verzweiflung[1] - Der Aktivist Gari Garaialde macht die französische Politik für Tragödien an der Grenze in Irun verantwortlich

Entsetzt über die Vorgänge an der Grenze ist auch der französische Ex-Polizist Tom Dubois. Fünf Jahre lang war er für die Grenzbrigade tätig, war selbst beteiligt an »Rückführungen«, die oft illegal gewesen seien. Dubois lebt in Hendaye und hat schon mehrere Menschen aus dem Fluss gerettet. Frankreichs Vorgehen nennt er inhuman. Der 28-Jährige wirft Präsident Emmanuel Macron vor, mit der Politik der »geschlossenen Grenzen« die Konzepte der rechtsextremen politischen Konkurrentin Marine Le Pen zu exekutieren. Die Begründungen mit Terrorismusgefahr oder Corona-Pandemie sieht er als reine Vorwände: »Wir wissen, dass es dabei um Einwanderung geht.« Man würde die Migranten dazu treiben, das Ertrinken zu riskieren. Ohne eine Alternative würden es immer wieder Menschen auf gefährlichen Wegen versuchen.

»Als ich zur Polizei ging, dachte ich, ich würde Menschen helfen.« Doch dort habe er gemerkt, dass er für staatliche Willkür benutzt wurde, berichtet Dubois desillusioniert. Daher habe er sich zum Ungehorsam entschieden. Es mache keinen Sinn, in Europa Menschen die Wege zu versperren.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156072.franzoesische-fluechtingspolitik-leid-und-verzweiflung.html