nd-aktuell.de / 07.09.2021 / Politik / Seite 6

Neue Not für Arbeitslose in den USA

Ein Extra-Arbeitslosengeld endet – obwohl die Coronakrise in den USA noch nicht vorbei ist

Moritz Wichmann

Man könnte es als grausame Ironie bezeichnen, die gleichzeitig noch einmal besonders den »american exceptionalism«, die amerikanische Einzigartigkeit zeigt – in diesem Fall im schlechten Sinn. Am Montag wurde die Zahlung des Coronakrisen-Arbeitslosengeldes für 7,5 Millionen Pandemie-Arbeitslose in den USA eingestellt. Ausgerechnet am »Tag der Arbeit«, der anders als in vielen Ländern weltweit sowie anders als in Deutschland in den USA nicht am 1. Mai, sondern am ersten Montag im September[1] »gefeiert« wird. Doch für viele Pandemie-Arbeitslose in den Vereinigten Staaten brechen harte Zeiten an.

Anders als in vielen westlichen Industriestaaten gibt es kein zentralstaatlich bereitgestelltes Arbeitslosengeld, stattdessen sind die Bundesstaaten zuständig. Dort sind die Gelder für Beschäftigungslose in den letzten Jahren immer weiter gekürzt worden und gleichzeitig die Anforderungen immer höher geschraubt worden – dem marktliberalen Mantra folgend, dass zu großzügige Hilfe Arbeitslose von der Jobsuche abhält. In der Pandemie baute der US-Kongress deswegen in Windeseile einen Pop-up-Sozialstaat[2] auf, der nun wieder zurückgefahren wird – inklusive eines zusätzlichen Bundesarbeitslosengelds von erst 600 und später 300 Dollar pro Woche.

In den letzten Monaten hatten sich progressive Demokraten-Abgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez immer wieder dafür eingesetzt, die Gelder länger zu zahlen. Konservative Demokraten wie West Virginias Senator Joe Manchin[3] wiederum hatten ihre Zustimmung zur Verabschiedung des Coronakrisen-Hilfspakets im März[4] davon abhängig gemacht, dass die Hilfen Anfang September auslaufen – mit der Behauptung, sie würden durch neues Wirtschaftswachstum unnötig gemacht. US-Präsident Joe Biden wiederum hatte geplant, die Pandemie im Spätsommer nach einer erfolgreichen Impfkampagne[5] hinter sich lassen zu können.

Doch nun ist das Land dank der Deltavariante seit vielen Wochen in einer vierten Welle mit sich bereits abzeichnenden Auswirkungen auf die konsumdominierte US-Wirtschaft: Erneut gestiegene Ansteckungsangst lässt die Umsätze in mehreren Branchen wieder sinken, die zuvor kräftig anspringende Wirtschaft und der »Post-Corona-Boom« scheinen zu stottern. Nur 235 000 neue statt der von Analysten erwarteten über 700 000 Jobs wurden in den USA im August geschaffen, wie am Freitag bekannt wurde.

Seit Beginn der Pandemie sind zwar viele Jobs bereits wieder neu entstanden, es fehlen aber immer noch rund 5,3 Millionen. Das sind viel mehr als zum Ende der Extra-Bundesarbeitslosengelder nach der letzten Finanzkrise 2013, wo noch 1,3 Millionen Jobs nicht »zurückgewonnen« waren, wie der Think Tank Century Foundation[6] in einer Analyse schreibt. Das Weiße Haus[7] appelliert an die Bundesstaaten, die Gelder, wenn nötig, mit anderen zuvor bereitgestellten Bundesmitteln weiter zu zahlen. Doch das wird nur in einer Handvoll Staaten umgesetzt.

Rund die Hälfte der US-Bundesstaaten – die republikanisch regierten – hatten das Bundesarbeitslosengeld bereits in den letzten Monaten[8] auslaufen lassen, viele davon im Juni. Die nun vorliegenden Daten zeigen: Anders als von marktliberalen Politikern behauptet, hielt das Bundesarbeitslosengeld niemanden von der Arbeitssuche ab. Es gab keine nennenswerten Unterschiede bei den »Jobgewinnen« zwischen Republikaner-Staaten und demokratisch regierten, die das Krisenarbeitslosengeld noch zahlten.

Einen deutlichen Effekt gab es jedoch bei den Konsumausgaben: Sie sanken laut »Washington Post«[9] um durchschnittlich 150 Dollar pro Person – das Ende der Sozialleistung brachte also nur neue Not. Das wird vermutlich ab Montag auch in den letzten Staaten passieren, in denen das Bundesarbeitslosgengeld endet. Betroffen werden laut Century Foundation überproportional Afroamerikaner*innen, aber auch Mütter und Pflegende sein, die sich dann das Essen vom Munde absparen müssen. In einigen Staaten liegen die Arbeitslosengelder nur bei etwa 100 bis 200 Dollar pro Woche – an vielen Orten zu wenig für Miete, Essen und weitere nötige Ausgaben wie die Fahrt zu Vorstellungsgesprächen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1117695.keine-tradition.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1149949.sozialdemokratisierung-der-usa-pop-up-sozialstaat.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147193.der-koenig-von-west-virginia-und-der-vorsitzende-sanders.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148640.coronakrise-in-den-usa-go-big-or-go-home.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154011.impfkampagne-in-den-usa-probleme-auf-der-zielgeraden.html
  6. https://tcf.org/content/report/7-5-million-workers-face-devastating-unemployment-benefits-cliff-labor-day/?session=1
  7. https://www.nytimes.com/2021/09/02/business/economy/federal-unemployment-benefit-cutoff.html
  8. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155384.armut-in-den-usa-bye-bye-corona-arbeitslosengeld.html
  9. https://twitter.com/JStein_WaPo/status/1434543079235670020