nd-aktuell.de / 07.10.2021 / Brandenburg / Seite 11

Verfassung wird geändert und gegendert

Kampf gegen Antisemitismus und Freundschaft zu Polen sollen Staatsziel sein

Wilfried Neiße, Potsdam

Die brandenburgische Landesverfassung steht vor gravierenden Änderungen, die von den Koalitionsfraktionen SPD, CDU und Grünen angestrebt und von der oppositionellen Linksfraktion unterstützt werden. Bei einer Fachanhörung im Hauptausschuss des Landtags am Mittwoch bezeichnete Rechtsprofessor Thorsten Ingo Schmidt als »Potpourri«, was sich im gemeinsamen Antrag dieser Fraktionen zur Verfassungsnovelle wiederfinde. Vorgesehen ist, den Kampf gegen Antisemitismus und die Freundschaft zu Polen in der Verfassung zu verankern, das Landtagspräsidium zu verändern und dem Verfassungstext eine geschlechtergerechte Sprache zu geben.

Zuerst bekam in der Anhörung der polnische Botschafter Andrzej Przyłębski das Wort, der es vorbehaltlos begrüßte, wenn der Freundschaft zu Polen Verfassungsrang verliehen werde. Besondere Bedeutung habe dies wegen der langen gemeinsamen Grenze. Das Volumen des Handels zwischen Polen und Brandenburg habe fünf Milliarden Euro im Jahr erreicht, rund 22 000 polnische Staatsbürger leben in Brandenburg. Der Bau der Tesla-Autofabrik werde ein neues Kapitel aufschlagen, zeigte sich der Botschafter sicher. Zweifellos werde Polen in erheblichem Umfang Fachkräfte stellen und Material für die Fabrik in Grünheide zuliefern.

Wenn die Landesverfassung künftig den Kampf gegen Antisemitismus und die Stärkung des jüdischen Lebens in Brandenburg als Staatsziele ausdrücklich vorsehe, dann sei das vor dem Hintergrund der Zunahme antisemitischer Vorfälle in Deutschland richtig, erklärte Daniel Botmann vom Zentralrat der Juden. Die Ausgrenzung von Juden gehöre heute schon wieder zur Realität in der Bundesrepublik. Botmann empfahl eine Anlehnung an die Landesverfassung von Sachsen-Anhalt, die der Wiederbelebung und Verbreitung von faschistischem Gedankengut den Kampf ansage. Auch in Bremen und Thüringen seien solche Bestrebungen eingeleitet, gleichwohl noch nicht umgesetzt. Botmann sprach sich dafür aus, die jüdischen Feiertage in der Verfassung zu achten, als Voraussetzung dafür, »dass man die Stärkung des jüdischen Lebens tatsächlich ernst meint«.
Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Rabbinerkollegs, unterstützte die Verfassungsinitiative ebenfalls und freute sich, dass ein vor 16 Monaten abgehaltenes Symposium »Mit der Verfassung gegen Antisemitismus« auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Es sei bedeutsam, dass der Kampf gegen andere Formen von Rassismus »nicht nachrangig« behandelt werde, so Homolka. Doch sei der Antisemitismus ein besonderes Phänomen, dem auch besondere Aufmerksamkeit zuteil werden müsse.

Landesrabbiner Ariel Krizon erinnerte, dass von sechs Millionen Polen, die im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen, die Hälfte Juden waren. Die Deutschen vernichteten damals die jüdische Bevölkerung Polens nahezu komplett, sagte Krizon. Es sei daher besonders wichtig, dass die Verfassung sowohl das Verhältnis zu den Juden als auch das zu Polen herausragend behandle. Jüdisches Leben könne nur gestärkt werden, indem die jüdische Kultur gestärkt werde, meinte Krizon. Er riet, dies in der Verfassung zu berücksichtigen. Als herausragende Vertreter jüdischer Geschichte nannte der Rabbiner Heinrich Heine, Hannah Arendt, Karl Marx und Marc Chagall.

Der frühere Präsident des Landesverfassungsgerichts, Jes Möller, lobte, die vorgesehene Änderung bezüglich des Kampfes gegen Antisemitismus sei eine echte Erweiterung der Verfassung und nicht bloß eine Klarstellung. Zu Recht habe Brandenburg in der Landesverfassung den Kampf gegen rassistische Bestrebungen aufgenommen, aber »Juden sind keine Rasse«, betonte Möller. Wenn die vier Landtagsfraktionen in ihrem Antrag für die Förderung des jüdischen Lebens plädieren, dann sei das aber interpretationsbedürftig. Würde man von Beibehaltung und Bewahrung der jüdischen Identität sprechen, dann wäre dies ein höherer Status und die Absicht besser erfasst. Möller würdigte auch den Wert des Begriffes »Freundschaft« zu Polen, weil dies der gemeinsamen Erfahrung beider Völker bei der Überwindung der Diktatur und der Gewinnung von Freiheit entsprechen würde.

Dagegen zeigt sich Professor Schmidt von der Universität Potsdam mit dem Begriff »Freundschaft« weniger zufrieden. Er sei doch eher dem Zwischenmenschlichen vorbehalten und es stehe dahin, ob die Verfassung etwas anordnen könne, was doch nur im persönlichem Bereich entstehen könne.

Jurist Möller nannte es »unbedenklich«, wenn der Landtag die Wahl des Landtagspräsidiums neu regelt. Vorbehaltlich der Annahme des Gesetzentwurfes wird künftig nicht mehr die stärkste Oppositionspartei ein Anrecht auf den Posten eines Vizepräsidenten haben – das ist derzeit die AfD –, sondern es soll die Formel gelten, dass die Opposition angemessen bei der Verteilung der Vizepräsidentenposten zu berücksichtigen sei. Wichtig sei eine Regelung, die sich an der raschen Herstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ausrichte, mahnte Möller. Aus diesem Grunde befürworte er die Vorschrift, dass der Präsident und mindestens ein Vizepräsident in der ersten Landtagssitzung nach der Wahl bestimmt werden müssten.

Der Abgeordnete Péter Vida (Freie Wähler) gab zu bedenken, dass sich Regierungsbildungen nach Wahlen mitunter lange hinziehen könnten und bei der ersten Sitzung unter Umständen noch niemand wissen könne, wer in der Opposition sitzen werde.
Das Ziel, die Verfassung in einer gendergerechten Sprache abzufassen, sei legitim und begrüßenswert, unterstrich Jes Möller. Aber der Text dürfe dadurch nicht unklarer werden. Den eingeführte Begriff Bürgerbewegung durch »politische Vereinigung« zu ersetzen, würde Möller »bedauern«. Doch gebe es heute schon Unstimmigkeiten im Text, die nicht erklärbar seien. So sei in der Verfassung die Wahl einer Ministerpräsidentin oder eines Ministerpräsidenten vorgesehen. Hingegen heiße es dann wieder, dass der Ministerpräsident Minister ernennt und entlässt. »Die Ministerpräsidentin ist hier nicht genannt.« Der Jurist empfahl ein »moderates Vorgehen«. Er sagte: »Von einer umfassenden, systematischen und ausnahmslosen Abänderung der Verfassung würde ich abraten.«