nd-aktuell.de / 11.10.2021 / Sport / Seite 16

Volleys jubeln nach Schockmoment

Berliner Volleyballmeister gewinnt auch die zweite Bundesligapartie, obwohl sich ihr bester Spieler den Daumen ausrenkt

Oliver Kern

Benjamin Patch[1] blockte den Lüneburger Angriff und drehte ab, so wie es der US-Volleyballer in Diensten der Berliner Volleys[2] nach einer gelungenen Aktion oft macht. Doch der von ihm geblockte Ball hatte nicht den erhofften Punkt gebracht. Die Lüneburger kratzten ihn vom Boden hoch und griffen erneut an. Die Fans riefen Patch zu, sich doch schleunigst wieder ans Netz zu begeben, bis sie merkten, dass er gar nicht jubelte und der Ball gerade das Letzte war, das ihn interessierte.

»Ich bin total ausgeflippt, denn ich hatte noch nie gesehen, dass mein Daumen die Form eines S annehmen kann«, sagte Patch eine halbe Stunde später. Da war das Gelenk seines nun bandagierten linken Daumens wieder eingerenkt und der Schock überwunden – bei ihm und beim Berliner Publikum, denn ohne Patch würde dem deutschen Meister einer der wichtigsten Spieler fehlen.

Bis zu diesem Moment am Samstagabend hatten die BR Volleys ihre zweite Bundesligapartie der Saison dominiert, waren druckvoller und stabiler aufgetreten als beim wackligen Auftaktsieg gegen Giesen. 25:20 und 25:22 hatten die Gastgeber die ersten beiden Sätze gewonnen, weil sie in den entscheidenden Endphasen immer fehlerlos agierten und mit Patch einen Spieler in den eigenen Reihen haben, der auch die schwersten Aufgaben lösen kann.

Die Bank wird langsam leer

Als der dritte Satz dann aber mit jenem schmerzhaften Block begann, war plötzlich alle Selbstsicherheit dahin. »Ich dachte, oh Mist. Vielleicht ist der Finger rausgerutscht«, sagte Ruben Schott. Schnell stand es 1:4. Den Rückstand holten die Berliner erst auf, als Schott mit drei Assen zum 10:10 ausglich. Auch Kaweh Niroomand[3] gab zu, ihm sei im erstem Moment »das Herz in die Hose gefallen. Das hätte uns noch gefehlt, dass auch unser bester Angreifer ausfällt«, sagte der Manager der Berliner, die derzeit auf die Stammkräfte Anton Brehme[4] und Samuel Tuia verzichten müssen. Auch Tuias französischer Landsmann Timothée Carle ist gerade erst ins Training zurückgekehrt, und irgendwann wird selbst die stark besetzte Bank eines deutschen Meisters leer.

Immerhin: Auf Patchs Position des Diagonalangreifers hatten die Volleys noch einen. Sie halten große Stücke auf den 21-jährigen Tschechen Marek Šotola, der auch schon über Erfahrung in der Champions League verfügt. Doch zu seinen ersten Angriffen vor Berliner Publikum wäre er sicher gern in einer anderen Situation angelaufen. Von acht Versuchen fand nur einer sein Ziel, gleich dreimal wurde Šotola geblockt, sodass er beim Stand von 22:21 wieder ausgewechselt wurde. »Ich hatte dem Coach gesagt, es geht wieder, und ich will spielen«, berichtete Patch von der grotesken Situation nur wenige Minuten nachdem er schmerzverzerrt auf dem Parkett gelegen hatte, während ihm Teamarzt Oliver Miltner erst das Gelenk richtete und es dann dick mit Tape umwickelte. Die Berliner gewannen auch Satz Nummer drei und damit das Match.

Der Dauerrivale wartet

Viel wichtiger als die Tabellenführung schien aber, dass Patch wieder lächelte. »Das war ein bisschen gruselig, aber jetzt ist alles gut. Vielleicht tut es morgen noch mal weh, aber langfristig sollte das kein Problem sein«, so Patch. Fans, Mitspieler und Klubführung werden das gern vernommen haben, schließlich steht schon am kommenden Samstag das Spitzenspiel beim Dauerrivalen VfB Friedrichshafen[5] an. »Ich würde sogar mit einem gebrochenen Fuß spielen. Und das ist doch nur ein Finger.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1150482.hinaus-aus-der-enge.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157201.volleyball-supercup-der-blick-geht-nach-europa.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1150041.corona-test-ein-spiel-zur-reanimation.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1150887.berlin-volleys-lange-party-und-noch-laengere-vertraege.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1147583.linus-weber-talent-ohne-grenzen-aber-mit-plan.html