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Bitte nicht lügen!

Schwarze Magie und schwarze Pisten: Erlebnisse auf der fast leeren Frankfurter Buchmesse

Man hörte wieder mehr Leute husten, auf den öffentlichen Plätzen und in der U-Bahn in Frankfurt am Main. War das Zufall, Einbildung oder die Macht von Corona? Der Inzidenzwert steigt wieder. Die Buchmesse sollte ein Modellversuch sein: Wie organisiert man eine Großveranstaltung in der Pandemie? Man begrenzt die Besucherzahlen, verbreitert die Messegänge und kontrolliert am Einlass sehr genau. Es gilt »3G«, was mit dem Personalausweis bewiesen werden muss. Auf der Messe laufen Teams und schauen, ob alle Besucher und Aussteller Masken tragen. Auch in den Kneipen und Restaurants prüft die Bedienung, ob man einen Impfausweis hat, ganz anders als in Berlin, wo draußen an der Tür »Nur 2G« steht und sich drinnen niemand drum schert.

Und wenn man dann von den stets etwas zu schnellen Laufbändern, die die Messehallen wie auf einem Flughafen miteinander verbinden, runterhüpft und durch die Ausstellungsfläche läuft, stellt man fest: ganz schön leer, das Ganze. Aber nicht unangenehm, nicht so ein Gedränge wie sonst. Viele Verlage sind gar nicht erst aufgetaucht. Die großen Häuser Diogenes oder Hoffmann und Campe fehlen, ebenso kleine linke Verlage wie Papyrossa. Die meiste Aufmerksamkeit bekommt ein rechtsradikaler Kleinverlag durch seine schlichte Anwesenheit, da seinetwegen zum Boykott der Messe aufgerufen wird. Dieses Jahr sind 2000 Aussteller vor Ort, sonst waren es knapp 8000. Normalerweise besuchen insgesamt 300 000 Menschen die Messe, dieses Jahr sind es höchstens 100 000. Der Parkplatz des Hotels, in dem ich wohne, ist leer.

Man sagt, wäre die Buchmesse ein zweites Mal abgesagt worden, hätte sie das kaum überlebt. Es gibt aber auch andere Probleme: Der Verleger Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag klagt über Papiermangel. Die eine oder andere Neuerscheinung ließe auf sich warten, weil die Druckereien zu wenig Papier hätten und auch keine Europaletten. »Aber der Kapitalismus wirds schon regeln, sagt Christian Lindner«, grinst Sundermeier.

Vielleicht so, wie er auch die Musikindustrie geregelt hat: Erst verdienten sich die Plattenfirmen in den 90er Jahren dumm und dämlich an der neu eingeführten CD, die dann ab 2000 immer weniger Leute kaufen wollten, weil es immer mehr Musik im Internet gab. So gesehen waren die 90er Jahre das letzte große wilde Jahrzehnt des Business, als die Plattenfirmen noch genug Geld hatten, um es zum Fenster rauszuwerfen und trotzdem reich blieben. Von dieser Zeit erzählt der Journalist Matthias Penzel in seinem Buch »Talk on the Wild Side« (Verlag Andreas Reiffer), das er im Frankfurter Kunstverein vorstellte. Darin versammelt er seine Interviews mit Rockmusikern, die damals »Sachen machen konnten, wie sie heute kaum mehr möglich sind«. Von heute aus betrachtet, habe »eine ebenso apokalyptische wie durchdrehende Stimmung« geherrscht. Vielleicht werden wir über die letzten Jahre vor der Pandemie einmal ähnlich sprechen? Schauder, Zitter, Fröstel.

Penzel interviewte Rob Halford von Judas Priest, David Lee Roth und auch den Noise-Musiker John Zorn. Angus Young bekannte ihm gegenüber, gerade das Einfache sei sehr schwer zu machen. Nicht nur der Kommunismus, wie Brecht sagte, sondern der redundante Party-Bubblegum-Hardrock mit den Riffs für die Luftgitarre von AC/DC eben auch. Mit Penzel auf der Bühne sprach Suse Michel, die Schlagzeugerin der immer noch existierenden 90er-Band The Slags. Sie meinte, wenn eine Plattenfirma eine neue Band fragt, was sie denn so besonders mache, dann wüssten 90 Prozent der Bands nicht, was sie sagen sollten.

Tja, wie schafft man Magie? Otfried Preußlers Jugendroman »Krabat« handelt von schwarzer Magie und ist auch 50 Jahre nach Erscheinen ein magisch zu nennendes Leseerlebnis, weil er so gut geschrieben ist. Darüber unterhielten sich im Ratskeller die beiden Feuilletonredakteure Dierk Wolters (»Frankfurter Neue Presse«) und Tilman Spreckelsen (»Frankfurter Allgemeine Zeitung«), der zur Jubiläumsausgabe im Thienemann-Esslinger Verlag ein Nachwort geschrieben hat. Für ihn birgt das Buch »eine nahezu perfekte Prosa«, an der Preußler 15 Jahre gearbeitet habe. Aus Verzweiflung, diesen Stoff, der auf eine sorbische Sage zurückgeht, nicht bewältigen zu können, habe er sozusagen zwischendurch »Räuber Hotzenplotz« geschrieben. »Krabat« ist die Geschichte eines Zauberlehrlings, der sich gegen seinen Meister auflehnt, der nachts in einer Mühle Magie unterrichtet, in der tagsüber ganz normal Korn gemahlen wird. Für Spreckelsen geht es dabei um die Überwindung einer inneren Verwirrung. Der 1923 geborene ehemalige Wehrmachtoffizier Preußler habe »Krabat« als »den Roman seiner Generation« bezeichnet, als seine Verarbeitung des Faschismus, denn er transportiere die Botschaft, so sagte es Spreckelsen mit seiner weichen Stimme: »Du hast die Wahl, nein zu sagen«.

Geld verdienen mit Menschenfeindlichkeit -Weder Pandemie noch Literatur prägten die Buchmesse, sondern die Präsenz rechter Verlage

Genau das wollte der Journalist Hans Demmel nicht tun, als er in einem Selbstversuch für ein halbes Jahr ausschließlich rechtsradikale Medien im Internet konsumierte und sich weder Tageszeitung noch Tagesschau erlaubte. Darüber hat er im Antje Kunstmann Verlag das Buch »Anderswelt« geschrieben. Es sei keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern eine Art Reisebericht durch eine Parallelwelt gewesen, sagte er im Haus am Dom, als ihn Moritz Hürtgen, der Chefredakteur der »Titanic«, dazu befragte. Für Demmel gab es ab August 2020 nur »Compact«, »KenFM«, »Tichys Einblick«, »MMNews« und »Junge Freiheit«, als Website und auf Youtube. Sie nennen sich »alternative Medien« und haben diesen Begriff, der früher linksalternative Stadtzeitungen und Zeitschriften meinte, für die Rechten gekapert, wie sie auch Begriffe des historischen Faschismus modernisiert haben: Sprach Joseph Goebbels von »Systempresse«, die es zu überwinden gelte, sprechen sie heute von »Systemmedien«. Das Infektionsschutzgesetz nennen sie »Ermächtigungsgesetz«, als habe die Merkel-Regierung wie Hitler 1933 den Einparteienstaat ausgerufen.

Die Verunsicherung der Menschen in der Pandemie biete den Rechten eine gute Möglichkeit, als Freiheitskämpfer zu posieren, sagte Demmel, der die in seinem Buch zusammengetragenen Beispiele von politischer Manipulation und Paranoia vom Autor und Fernsehproduzenten Friedrich Küppersbusch hat faktenchecken lassen. Diese Medien mögen bizarr wirken, und doch sind sie gemacht von Profis wie dem ehemals Linksradikalen Jürgen Elsässer oder dem früheren Liberalen Roland Tichy. Die wissen, was sie tun - und der Algorithmus von Youtube hilft ihnen dabei. Sie triggern die Leute zum Weiterklicken in den Wahn. Wer sie auf Youtube verfolgt, dem werden schnell Filme über Kriege und Waffen angeboten, erzählt Demmel. Das ist die schwarze Magie des Internets, dessen Tech-Konzerne von Erregungsmomenten leben. Und Demmel war schnell »auf den schwarzen Pisten« unterwegs, wie es Moritz Hürtgen formulierte. Sie werden von »alten, bösen, weißen Männern« angelegt, meinte Demmel. In seinem »Reisebericht« tauche die erste Frau auf Seite 147 auf.

Demmel war Chefredakteur von Vox und US-Korrespondent von Sat.1, vielleicht nicht unbedingt das, was einem sofort beim Stichwort »Qualitätsmedien« einfallen würde, aber er weiß, wie man professionell arbeitet. Und dennoch, der monotone Konsum der rechten »alternativen Medien« stimmte ihn auf längere Sicht düster, fast depressiv. Er sagt: »Das ist kein Buch gegen die Meinungsfreiheit. Ich sage nur: Man soll nicht lügen. Das steht schon in der Bibel.«

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