nd-aktuell.de / 08.11.2021 / Brandenburg / Seite 11

Im kalten Landkrieg mit der Justiz

Eine Familie aus Elbe-Elster verirrte sich in die Parallelwelt der Reichsbürger

Andreas Fritsche, Wehrhain

Früher hatte Familie Heyde aus Wehrhain (Elbe-Elster) eine Spedition. Sohn Lars verdiente sich sein Studium als Lkw-Fahrer. Daher die Garagen, die zum Anwesen der Familie am Ortseingang gehören. Darin stehen jetzt historische Traktoren, für die sich Lars Heyde begeistert. Wegen eines Verkehrsunfalls, für den die Familie nichts kann, drohte die Zwangsversteigerung des alten Bauernhofs, der 149 000 Euro wert ist. Das Amtsgericht Bad Liebenwerda hatte als Termin den 16. November festgesetzt. Dabei belief sich der Streitwert auf lediglich 852 Euro, der sich dann auf Forderungen an Mutter Sabine Heyde in Höhe von rund 3000 Euro summierte. Sie hat diesen Betrag inzwischen überwiesen. Weitere Kosten, die noch aus dem Rechtsstreit entstanden sind, würde sie auch bezahlen, um ihr Zuhause nicht zu verlieren. Damit müsste die Zwangsvollstreckung vom Tisch sein, wie die Gegenseite bereits schriftlich in Aussicht stellte, auch wenn noch keine offizielle Bestätigung über die Absage des Termins vom Gericht vorliege, wie Lars und Sabine Heyde sagen. Sie möchten die Geschichte, die so unglaublich klingt, trotzdem erzählen.

Am 20. Juni 2016 setzte ein Paketzusteller mit seinem Transporter zurück und drückte dabei versehentlich eins der Garagentore ein, brachte auch das Vordach zum Einknicken. Für den Schaden sollte die Haftpflichtversicherung des Paketdienstes aufkommen. Doch die leistete erst einmal nur eine Anzahlung. Lars Heyde holte Kostenvorschläge ein. Eine Tischlerei begutachtete den Schaden und erklärte, dieser lasse sich nicht ausbessern. Ein neues Holztor würde 3600 Euro kosten. Darum entschieden sich Mutter und Sohn für ein Rolltor aus Metall für 2900 Euro. Sie ließen es installieren, auch wenn die Kostenübernahme durch die Versicherung noch nicht geklärt war. Ihr Rechtsanwalt hatte ihnen gesagt, das dürften sie tun. Die Garage müsse ja gegen Diebstahl gesichert werden.

Jetzt meinte die Versicherung aber, das alte Tor hätte sich doch reparieren lassen. Das wäre angeblich billiger gewesen. Die Heydes klagten auf die volle Summe, verloren den Prozess und sollten danach die Anwälte der Gegenseite bezahlen. Das verletzte ihr Gerechtigkeitsempfinden. Sie weigerten sich. Aber Pech! Sie hatten keine Berufung eingelegt. Das Urteil war rechtskräftig.

In einem dicken Ordner sammelte Lars Heyde die Schriftstücke, die über Monate und Jahre hin und her gingen. Darin findet sich ein Brief seiner Mutter an das Amtsgericht Bad Liebenwerda, in dem sie unter Berufung auf die Haager Landkriegsordnung darlegt, ihr Eigentum dürfe nicht gepfändet werden.

Halt, stopp! Haager Landkriegsordnung? Das sind die Ausflüchte der Reichsbürger und Selbstverwalter. Eine Landkriegsordnung könnte ja nur gelten, wenn sich Deutschland formal noch im Zweiten Weltkrieg befindet und ein von Gegnern besetztes Gebiet ist. So steht es nicht drin bei Sabine Heyde. Aber so argumentieren die Reichsbürger. Man könnte leicht vermuten, dass bei der Justiz die Warnglocken läuteten. Immerhin haben einzelne Reichsbürger in der Vergangenheit Waffen gehortet und sind gewalttätig geworden, einer erschoss 2016 in Bayern einen Polizisten.

Das macht Beamte im Umgang mit Reichsbürgern vorsichtig. Das wäre eine Erklärung dafür, warum der Wert des Anwesens für die Zwangsversteigerung von außen geschätzt wurde und der Sachverständige keinen Einlass begehrte, um sich in den Gebäuden umzusehen. »Wir hätten ihn selbstverständlich reingelassen«, versichert Lars Heyde.

Der Ingenieur räumt ein: »Es kann sein, dass ich mich verrannt habe. Aber dann müsste mir mal jemand erklären, wo mein Denkfehler ist.« Wie ist er nur auf diese Schiene geraten? Dazu holt der 43-Jährige einen zweiten Aktenordner an den Küchentisch. 2016 bewarb er sich als Baudirektor in der niedersächsischen Stadt Nienburg/Weser. Telefonisch sei ihm die Auskunft erteilt worden, da es um eine Stelle als Beamter gehe, müsse er belegen, dass er deutscher Staatsbürger sei. Geburtsurkunde oder Personalausweis reichten dafür nicht aus. Es bedürfe eines Staatsangehörigkeitsnachweises. Der sei ihm jedoch bei der Ausländerbehörde in Herzberg verweigert worden. Wozu er den Nachweis überhaupt wolle? Die Bewerbung sei als Grund nicht akzeptiert worden, obwohl er nach den damaligen Vorschriften nicht einmal einen Grund gebraucht hätte, sagt Lars Heyde.

Kurzum meldete er sich für eine Weile zu Verwandten in Beilrode um und erhielt den Staatsangehörigkeitsausweis vom Kreis Nordsachsen. Für den gelben Schein musste er seine deutsche Abstammung väterlicherseits bis zum Urgroßvater nachweisen - ein Verfahren, das normalerweise gewählt wird, wenn zum Beispiel bei Spätaussiedlern Zweifel an ihrer Herkunft bestehen.

Martin Burmeister erläutert, dass Staatsangehörigkeitsausweise in Brandenburg nur ausgegeben werden, wenn ein berechtigtes Interesse daran glaubhaft gemacht wurde. Burmeister ist Sprecher von Innenminister Michael Stübgen (CDU). Er sagt: »Anlasslosen Anträgen auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, deren Bestehen sonst offensichtlich von niemandem angezweifelt wird, fehlt ein berechtigtes Interesse.«

Doch seit einigen Jahren sind die gelben Scheine in der Reichsbürgerszene beliebt. Außerdem wird Menschen vorgegaukelt, sie könnten, wenn sie ihren Personalausweis gegen einen solchen Schein eintauschen, Pfändungen und Zwangsversteigerungen verhindern. Sich auf die Haager Landkriegsordnung zu berufen, gehört zu den seltsamen Tipps, die dabei gegeben werden.

Ausgerechnet im »nd« hat Familie Heyde gelesen, dass das vielleicht klappen könnte. So hat sie jedenfalls einen Bericht aus dem Jahr 2015 verstanden, bei dem es um Hans-Peter Kuhnert aus Markgarfpieske[1] (Oder-Spree) ging. Der Rentner hatte einen jahrelangen Streit mit dem Wasser- und Abwasserzweckverband Fürstenwalde und Umland über die Grundgebühr für einen Wasserzähler, den er gar nicht besaß. Denn nachdem er seine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte, wurde sein Anschluss gekappt, die Wasseruhr ausgebaut. Wegen des in Brandenburg geltenden Anschluss- und Benutzungszwangs für das Trinkwassernetz sollte er die Grundgebühr aber weiter entrichten, während er sich auf seinem Grundstück mit Wasser aus dem Brunnen behalf. 2015 waren mit Mahngebühren und Gerichtskosten 70 000 Euro Schulden aufgelaufen. Kuhnert holte sich den gelben Schein, um die Zwangsversteigerung seines Hauses irgendwie zu verhindern. Er rutschte in die Reichsbürgerszene ab. Lars Heyde beteuert indes, er sei kein Reichsbürger. Er hat sich kundig gemacht. Diese Leute lehnen die Bundesrepublik ab. Davon bei ihm keine Spur. Er habe sich doch für den öffentlichen Dienst beworben, wollte Staatsdiener werden. Die Stelle des Baudirektors hat er übrigens nicht bekommen. Aber er gab seinen Personalausweis ab. Warum, das kann er nicht schlüssig erklären. Seine Mutter hat sich dann auch den Staatsangehörigkeitsausweis geholt. Als Kind von Vertriebenen glaubt sie, für den Fall der Fälle einen echten Beweis ihrer Staatsangehörigkeit zu benötigen, da der Personalausweis ja wohl nicht dafür ausreiche und ihre Herkunft angezweifelt werden könnte.

Wer setzt sich nun mit Leuten wie Familie Heyde hin und klärt sie auf? Menschen, die Verschwörungsfantasien verfallen, können in Brandenburg Hilfe vom Demos-Institut für Gemeinwesenberatung bekommen[2].

Im Verfassungsschutzbericht des Bundeslandes ist für die Reichsbürger und Selbstverwalter die Zahl 570 angegeben. In der Szene bewegten sich Menschen mit teils hoher Gewaltbereitschaft, erklärt Pressesprecher Burmeister. »Einige davon sind auch Rechtsextremisten.« Zu seinen Erkenntnissen über konkrete Personen verrät der Verfassungsschutz prinzipiell nichts.

Lars Heyde sagt, er sei in seinem Leben nur einmal kurz bei den Freien Wählern gewesen und sonst in keiner anderen Partei. »Ich verhalte mich politisch absolut neutral.« Dass er als Querkopf gilt, kann er nicht ausschließen. Die Nachbarn grüßen ihn. Aber in der Kleinstadt Schlieben, zu der die Ortschaft Wehrhain gehört, geht ein Gerücht um: Heyde habe nur deshalb Stress mit der Versicherung, weil er die Auszahlung der Schadenssumme in Reichsmark gefordert habe. »Stimmt nicht«, sagt er. Aber so kann es ausgehen, wenn man der Justiz mit der Haager Landkriegsordnung kommt. Heyde sagt, dass er sich jetzt seinen Personalausweis holen werde, den die Behörden aufbewahrt haben und der noch bis 2023 gültig ist.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/966071.ein-bisschen-frieden-dank-der-landkriegsordnung.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158212.beratung-wie-umgehen-mit-verschwoerungsideologen.html