nd-aktuell.de / 08.11.2021 / Kultur / Seite 13

Schau in den Spiegel

Viva la Defa (6): »Ich war neunzehn«

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Für Volker Schlöndorff ist »Ich war neunzehn« (1968) von Konrad Wolf der wichtigste deutsche Film seit 1945. Wie soll man mit dem Faschismus brechen? Das ist die Frage. Wolf hat seine eigene Geschichte verfilmt. Er war 19 Jahre alt, als er sich mit der Roten Armee in den letzten Kriegsmonaten Berlin näherte.

Wolf war Mitglied der Politabteilung der 47. Armee und zog vom Kaukasusvorland über die Ukraine und Polen bis nach Berlin. Er schrieb und übersetzte Flugblätter an deutsche Soldaten, die dazu aufgerufen wurden, sich zu ergeben. An der Front sprach er diese Appelle auch in eine Lautsprecheranlage auf einem Lastwagen. Zu Beginn von »Ich war neunzehn« knarzt es: »Achtung, Achtung, deutsche Soldaten! Wartet nicht, handelt!« über eine ruhige Seelandschaft, in der Ferne treibt irgend etwas im Wasser. »Schüsse sind meistens die Antwort. Überläufer sind selten«, sagt die Hauptfigur aus dem Off, während die Kamera zeigt, was da im See treibt: Es ist ein Floß mit einem Galgen, an dem ein deutscher Soldat hängt. Er hat ein Schild um, auf dem steht: »Ich bin ein Russenknecht.«

Jaecki Schwarz war 21 Jahre alt, als er die Hauptfigur Gregor Hecker spielte. Und Wolf war acht Jahre, als er Deutschland verließ. Sein Vater, der kommunistische Schriftsteller und Arzt Friedrich Wolf[1] war mit der Familie 1933 emigriert, erst nach Österreich, dann nach Frankreich und schließlich in die Sowjetunion.

Gregor Hecker kehrt nach Deutschland zurück, es ist das Land des Feindes, der noch nicht besiegt ist. »Goethe und Auschwitz, das sind zwei deutsche Namen«, sagt ein russischer Soldat. Die Russen sprechen hier ihre Sprache (deutsch untertitelt). Die überlebenden Antifaschisten, auf die sie treffen, sind fix und fertig. In einer der eindrucksvollsten Szenen wird eine Handvoll von ihnen am 1. Mai von russischen Offizieren bewirtet. Mit ihnen zu feiern, das wäre der falsche Ausdruck. Ein Antifaschist versucht einen Trinkspruch, bringt aber nur ein »Genossen...« heraus und sinkt auf seinen Stuhl. Später wird er auf einem Landgut abgesetzt. Er ist der neue Verwalter. Allein sitzt er unter einem Baum. Mit dem Lastwagen, auf dem Hecker sitzt, entfernt sich die Kamera von ihm, bis er kaum noch zu sehen ist. Dazu hört man ein Lied von Ernst Busch: »Wenn einmal die Stunde kommt und wir alle Gespenster verjagen«.

Das war der Anspruch der Kommunisten, die dann mit sowjetischer Hilfe die DDR gründeten. Allerdings litten die Kommunisten, die aus dem sowjetischen Exil heimkehrten, ebenfalls an Gespenstern[2]. Auch sie waren Überlebende, die sich den frohgemuten Utopismus, die Macht der Fantasie und ähnliche Formen der politischen Energiegewinnung abgewöhnt hatten. Wolfs Blick ist unheroisch. Ein Bürgermeister hisst die rote Fahne, aus der er das Hakenkreuz herausgeschnitten hat. Eine Frau sucht Schutz vor Vergewaltigung. Und ein Landschaftsarchitekt prophezeit den sowjetischen Offizieren: »Auch Sie werden mit diesem Land kein Glück haben«.

Das Drehbuch zu »Ich war neunzehn« schrieb Wolf zusammen mit Gerhard Wolf und Wolfgang Kohlhaase. Die Kamera führte Werner Bergmann, der für die Wehrmacht Kriegsberichterstatter war. Die Bilder sind lakonisch und streng komponiert. Auf die Frage von Jaecki Schwarz, wie er Hecker spielen sollte, sagte Wolf nur: »Schau in den Spiegel!«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1145614.friedrich-wolf-gedenkstaette-eine-halbe-stelle-fuer-literarisches-erbe.html?sstr=Friedrich|wolf
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1122993.die-davongekommenen.html?sstr=Hotel|lux