nd-aktuell.de / 20.11.2021 / Politik / Seite 5

Widerspruch im Detail

Homeoffice, 3G am Arbeitsplatz und der Klassencharakter der Pandemie-Bekämpfung

Simon Poelchau

Es kommt nicht häufig vor, dass sich der Arbeitgeberverband BDA und der Deutsche Gewerkschaftsverband (DGB) gemeinsam zu etwas äußern. Schließlich vertreten die beiden zwei sich prinzipiell widersprechende Seiten im Kapitalismus. Es muss also etwas sehr Wichtiges anstehen, damit der Klassenwiderspruch überwunden wird. In letzter Zeit war dies jedoch häufiger der Fall. So auch am späten Mittwochnachmittag: »Die aktuelle Lage ist sehr ernst - die Inzidenzzahlen steigen von Tag zu Tag rapide und eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Die aktuelle Lage erfordert daher Mut und Klarheit im Handeln, Besonnenheit und vor allem Solidarität«, schrieben Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und DGB-Chef Reiner Hoffmann in einem gemeinsamen Appell.

Der Zeitpunkt für diesen Auftritt im Duett war wohl überlegt. Keine 24 Stunden später verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition in spe aus SPD, Grünen und FDP das neue Infektionsschutzgesetz. Und dieses sieht weitgehende Änderungen im Arbeitsleben vor. Künftig soll der Zutritt zum Büro nur noch unter der 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet) erlaubt sein, wenn physische Kontakte »untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können«. Auch wird wieder eine Pflicht zum Homeoffice eingeführt, wie es sie im Frühjahr bereits gab. Arbeitgeber müssen ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten, »wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen«. Gleichzeitig müssen die Beschäftigten dieses Angebot annehmen, wenn ihrerseits keine triftigen Gründe dagegensprechen. Am Freitag segnete auch der Bundesrat das neue Gesetz ab.

Wenn nun DGB-Chef Hoffmann und Arbeitgeberpräsident Dulger vorher verlautbarten, dass sie sich als Sozialpartner »unserer Verantwortung gegenüber unseren Betrieben und Beschäftigten bewusst« seien, dann ist die Botschaft eindeutig: Die Pandemiebekämpfung ist eine so dringende Sache, dass man sie gemeinsam anpacken muss. Da darf nicht gegeneinander, sondern da muss miteinander gekämpft werden.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Bei der Pandemiebekämpfung steckt der Klassenwiderspruch im Detail. Es geht um die Frage, auf wessen Kosten sie organisiert wird: Tragen nun die Beschäftigten oder die Chefs die Hauptlast? Und da fordern Arbeitgeber und Gewerkschaften im Einzelnen durchaus sich widersprechende Sachen.

Dies fängt mit der Frage an, ob die Chefs ein Auskunftsrecht über den Impfstatus der Beschäftigten bekommen, wenn sie die Einhaltung der 3G-Regel überprüfen sollen. Für Arbeitgeberchef Dulger war die Sache klar: »Wir brauchen einen Anspruch auf Auskunft und Speicherung über den Impfstatus der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«, sagte er Anfang der Woche im Interview mit der »FAZ«. Dagegen äußerten die Gewerkschaften datenschutzrechtliche Bedenken: »Eine Auskunftspflicht von Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber über den eigenen Impf- und Genesungsstatus greift in erheblichem Maße in die schutzwürdigen Interessen der Beschäftigten ein«, schrieb der DGB in seiner Stellungnahme zum neuen Infektionsschutzgesetz. Die nun von der Ampel-Koalition gefundene Regel: Wer seinen Impf- beziehungsweise Genesenenstatus nicht offenlegen will, muss sich täglich testen lassen.

Das aber wirft eine weitere strittige Frage auf: Wer soll für die Tests aufkommen? Die Arbeitgeber wollen die Kosten auf jeden Fall nicht übernehmen. »Testen ist keine Arbeitszeit und hat vor Arbeitsantritt zu erfolgen«, sagte Dulgers rechte Hand, BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter, kurz vor der Bundestagsabstimmung der »Welt«. Die Kosten der Tests dürften die Betriebe zudem nicht vor neue Belastungen stellen und nicht über die ohnehin schon bestehenden Verpflichtungen, Testangebote zu machen, hinausgehen. Der DGB hingegen schrieb in seiner Stellungnahme, dass die Kosten für die Tests unter »keinen Umständen« den Arbeitnehmern angelastet werden dürften. »Die Zeit, die zur Durchführung eines Tests benötigt wird, inklusive der Wegzeiten zur Stelle der Testung, muss Teil der vergütungspflichtigen Arbeitszeit sein«, so der DGB weiter.

Dabei gilt derzeit die Regel, dass die Arbeitgeber pro Woche mindestens zwei Tests anbieten müssen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, sich einmal pro Woche kostenlos testen zu lassen. Es bleiben also zwei Tests, die die Beschäftigten notfalls selbst zahlen müssten.

Und auch beim Thema Homeoffice können die Interessen der Angestellten und Arbeitgeber aufeinanderprallen. Bereits Anfang des Jahres, als das erste Mal eine zeitweilige Homeoffice-Pflicht eingeführt wurde, wehrten sich die Arbeitgeber dagegen. So sprach Dulger auch jetzt wieder in der »FAZ« von einer »Homeoffice-Bürokratie«, mit der sich die Probleme nicht lösen ließen.

»Generell wollen die Arbeitgeber keine Pflicht zum Homeoffice, weil das ihre Freiheit zu entscheiden einengt«, sagt Homeoffice-Expertin Yvonne Lott vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung gegenüber dem »nd«. Sie glaubt jedoch, dass sich die Arbeitgeber ähnlich wie im Frühjahr verhalten und bald wieder mehr Beschäftigte ins Homeoffice schicken werden. So arbeitete Anfang des Jahres rund ein Viertel der Beschäftigten von zu Hause aus, im Juni waren es laut WSI nur noch 15 Prozent.

Das liegt aber nicht immer nur am Chef. Auch die Angestellten müssen wollen. »Es ist eine total schwierige Situation«, sagt Lott. Derzeit sei zwar die Gesundheit maßgeblich, Homeoffice als Mittel der Pandemiebekämpfung und der Solidarität angezeigt. Aber es gebe nicht nur Beschäftigte, die gerne von zu Hause aus arbeiten, einige litten auch unter dem Zustand der Isolation. Psychische Belastungen hätten zugenommen.