»Illegale Ausplünderung der Westsahara«

Sahraui-Aktivist Sidahmed Jouly beschreibt, wie Marokko seinem Volk Fisch und Phosphat stiehlt und er dagegen anzukämpfen versucht

  • Claudia Altmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Eure Kampagne gibt es seit 2018. Warum habt ihr sie ins Leben gerufen?

Es geht uns vor allem darum, dass die Stimme des sahrauischen Volks bei der internationalen Gemeinschaft Gehör findet. Marokko verbreitet unheimlich viele Fake News und Manipulation im Internet und über die staatlich gelenkten Medien. Sie verbreiten ihre Propaganda und Lügen über den Konflikt, über unsere Befreiungsbewegung Polisario und die Situation in den Flüchtlingslagern. Wir versuchen, dem etwas entgegenzusetzen und die Weltöffentlichkeit über die Problematik und die tatsächliche Lage aufzuklären. Vor allem darüber, dass die Menschen hier zwar das Völkerrecht auf ihrer Seite haben, aber trotzdem immer noch ein Leben im Exil führen müssen. Dieser Zustand dauert jetzt schon über 40 Jahre. Das ist ungerecht.

Interview
Sidahmed Jouly lebt seit seiner Geburt im sahrauischen Flüchtlingscamp Smara im Südwesten Algeriens. Der 22-Jährige gehört zu den Mitbegründern der internationalen Kampagne »Die Westsahara steht nicht zum Verkauf«, die unter www.westernsaharaisnotforsale.org und in sozialen Medien über die ökonomische Ausplünderung des seit 46 Jahren völkerrechtswidrig von Marokko besetzten Territoriums aufklärt und Aktionen organisiert. Mit ihm sprach Claudia Altmann.

Wer gehört zu eurer Gruppe?

Die Idee entstand vor drei Jahren während einer Konferenz zum Thema »Gewaltloser Widerstand« im Camp Smara, die von spanischen Nichtregierungsorganisationen initiiert worden war. Eines der Ergebnisse war die Gründung unserer Gruppe, der junge Leute in den Camps, in den besetzten Gebieten und in der Diaspora angehören. Vor allem für unsere Mitstreiter in den besetzten Gebieten ist es schwer. Sie werden ständig drangsaliert, sichere Kommunikation mit ihnen ist daher ein ständiges Thema für uns. Einige von ihnen sind sehr bekannt. Wenn sie Opfer von Verfolgung werden, können wir das öffentlich machen. Das ist ein gewisser Schutz, aber andere arbeiten in der Illegalität. Sie riskieren tatsächlich, ins Gefängnis geworfen zu werden.

Mit eurer Kampagne legt ihr den Schwerpunkt auf eines der Kernprobleme des Westsaharakonfliktes.

Ja, absolut. Die illegale Ausplünderung der natürlichen Ressourcen in der Westsahara ist ja sozusagen der Treibstoff für die Okkupation. Marokko versucht auf vielfältige Weise, die Besatzung zu »normalisieren«. Das tut es vor allem, indem ausländische Investoren und Unternehmen an diesem Raubbau beteiligt werden. Außerdem wird der Bereich der erneuerbaren Energien benutzt, um der Besatzung einen grünen Anstrich zu geben und diese reinzuwaschen. Damit wollen sie die Welt glauben machen, dass es keine Besatzung ist, sondern dass dort Wohlstand herrscht und alles im Interesse der dort lebenden Menschen geschieht. Aber das ist völliger Unsinn. Die Hälfte der Sahrauis lebt im Exil, in den Lagern oder in der Diaspora. Niemals haben Firmen oder Investoren diese Menschen nach ihrer Meinung gefragt oder gar ihr Einverständnis eingeholt. Niemals wurde hinterfragt, ob ihnen die Bodenschätze und Reichtümer zugutekommen. Wir hier in den Lagern sind völlig von humanitärer Hilfe abhängig, während unsere Heimat extrem reich ist. Mit ein paar Schiffsladungen Phosphat könnte man für ein ganzes Jahr Hilfslieferungen in die Camps bezahlen.

Um welche Ressourcen geht es vor allem?

Phosphat ist der wichtigste Bodenschatz in der Westsahara. Allein in der Mine von Bou Craa befindet sich ein Viertel der gesamten Weltreserven. Marokko selbst hat auch eigene Vorkommen, aber es rührt diese nicht an, sondern bedient sich seit Jahren ungefragt am sahrauischen Phosphat. Aber durch Kampagnen und Protestaktionen ist die Zahl der Firmen, die da mitmachen, zurückgegangen: 2017 waren es elf Unternehmen und heute sind es noch drei. Eine Firma davon gehört dem marokkanischen Staat, hat aber ihren Sitz in Indien. Die beiden letzten Unternehmen, die hier noch mit Marokko zusammenarbeiten, sind Ravensdown und Ballance Agri-Nutrients in Neuseeland. Sie importieren die größte Menge an Phosphat aus der Westsahara. Dagegen richten sich unsere Aktionen in den Social Media und mit Aktivisten vor Ort. Unsere Protestaktionen haben die einlaufenden Schiffe begleitet, Werkstore wurden blockiert. Derzeit wächst die Bewegung und hat weiter Zulauf.

Auf welche anderen Länder, die derlei illegale Aktivitäten ihrer Firmen dulden, konzentrieren sich eure Aktionen noch?

In der Fischerei ist Spanien ganz oben dabei. Es gibt zahlreiche Unternehmen, die am Raub vieler Fischarten beteiligt sind. Im Abkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko geht es um Fisch, der zu 90 Prozent aus den Gewässern der Westsahara geholt wird. Die sahrauische Gemeinschaft in Spanien ist sehr groß, daher liegt hier auch unser Fokus. Hier können wir viele Leute mobilisieren. Unsere Informationen gelangen so zu Gruppen in der Zivilgesellschaft, die uns dann unterstützen. So informieren wir auch über das, was im Bereich grüner Energien passiert. Da hat auch die deutsche Firma Siemens Energy ihre Finger im Spiel. Deren spanische Tochterfirma Siemens Gamesa ist der größte Investor für Windparks und Solarenergie in der Westsahara. Marokko plant, ab dem Jahr 2030 die Hälfte seiner aus Sonnenkraft gewonnenen Energie aus den besetzten Gebieten zu holen. Was Siemens da tut, ist wirklich beschämend. Aber das ist nicht alles: Siemens Gamesa arbeitet auch mit der marokkanischen Staatsfirma OCP zusammen, die die Phosphatmine in Bou Craa betreibt. Damit unterstützt Siemens eindeutig die Ausplünderung. Das ist nicht gut fürs Image.

Wie reagieren die Firmen, wenn ihr sie mit ihrem Handeln konfrontiert?

Sie argumentieren, dass es den Leuten vor Ort zugutekäme, dass es sich nur um ein »umstrittenes« Gebiet handele. Aber das ist es nicht, es handelt sich um ein besetztes Territorium. Im Fall Siemens haben wir bisher gar keine Antwort bekommen. Es wäre gut, wenn wir unsere Aktionen auch auf Deutschland ausweiten würden, denn dort ist ja der Firmenhauptsitz von Siemens. Wenn sie wirklich Wert auf ihren guten Ruf legen, dann müssten sie sich aus der Westsahara zurückziehen. Aber stattdessen sind sie dabei, Millionen Summen zu investieren. Dabei unterstützen sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als auch das Völkerrecht die Position der Sahrauis und sagen ganz klar, dass wir gefragt werden müssen, anstatt uns einfach zu berauben. Es ist eine Schande, denn diese illegalen Aktivitäten stehlen den kommenden Generationen von Sahrauis die Zukunft. Die Sache ist ganz klar: Fragt uns, ob wir damit einverstanden sind! Wenn ihr das nicht tut, ist das, was ihr macht, einfach Diebstahl.

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