nd-aktuell.de / 25.11.2021 / Brandenburg / Seite 11

Stroh zu Betongold spinnen

In Wustermark wurzelt und wirkt ein sozial-ökologisches Wohnprojekt

Wilfried Neiße, Wustermark
Man sieht es dem Haus nicht an, aber es ist aus Stroh gebaut.
Man sieht es dem Haus nicht an, aber es ist aus Stroh gebaut.

Man kann wirklich in ein Strohhaus ziehen. 20 erwachsene Berlinerinnen und Berliner, mit ihnen elf Kinder, sind diesen Schritt gegangen. In Wustermark (Havelland) stehen zwei mehrstöckige Häuser aus Holz und insgesamt 20 Tonnen Stroh. Einst besiedelte die Gruppe Altbauten in Berlin, seit einigen Jahren verwirklichen sie das sozial-ökologische Wohnprojekt »wurzeln & wirken«. Astrid Goltz ist eine von ihnen. Sie lebt gern hier im Brandenburgischen, zurück in die Berliner lärmende Enge möchte sie nicht mehr.

»Unter uns tanzen einige gern Tango, manche klettern, andere lesen viel und lieben Spieleabende, sind draußen in der Natur, fahren gern Fahrrad, machen Yoga, wandern und kochen«, heißt es in einer Selbstbeschreibung der Gruppe. Studierende und Wissenschaftler leben hier beispielsweise, auch Tierärzte und Hebammen. In ein altes Wohnhaus auf dem knapp 10 000 Quadratmeter großen Gelände sind im Sommer 2015 die ersten Mitstreiter eingezogen. Zunächst wurde der moderne Neubau aus Stroh errichtet, der 600 Quadratmeter Platz bietet, und danach das alte Haus saniert. Ebenfalls saniert wurde eine der zwei Scheunen auf dem Areal. Die andere wurde abgerissen.

»Die Bauherren sind Überzeugungstäter«, sagt Architektin Friederike Fuchs vom Planungsbüro Stroh unlimited, die den Bau geleitet hat. Sie ist auf die Errichtung von »Strohballenhäusern« spezialisiert. Stroh ist aus ihrer Sicht ideal, weil es für seinen Einsatz gleich mehrere gute Gründe gibt: Es wächst in der Nachbarschaft, besitzt hervorragende Dämmeigenschaften und lässt sich später bei Bedarf leicht entsorgen. Im Bauwesen eingesetztes Stroh speichert außerdem Kohlendioxid, kommt ohne chemische Zusätze aus und ist feuchtigkeitsregulierend. Das habe ein angenehmes Raumklima zur Folge, erläutert Fuchs. So entstand, was bei Finanzfachleuten »Betongold« genannt wird. Aber es ist Stroh.

So wirklich durchgedrungen ist der Gedanke, Stroh beim Bauen einzusetzen, aber noch nicht, muss die Architektin einräumen. Es fehle eine starke Lobby und »die kritische Masse dafür«. Sie warte noch auf jemanden, »der richtig Werbung dafür macht«. Das verdichtete Stroh ist für Nägel oder Dübel geeignet und hält geringe Lasten wie Bilder. Anders dort, wo die Küchen geplant sind, dort müssen extra Traghölzer eingesetzt werden, damit die Hängeschränke an der Wand bleiben.

Auch wenn es sich noch nicht um eine Massenbewegung handelt - es gibt tatsächlich immer mehr neue Holzhäuser in Brandenburg. Die Volkssolidarität hat in Luckenwalde ihr neues Sozialzentrum völlig aus Holz errichten und eine Kühlung durch Grundwasser einbauen lassen. Vor einigen Tagen war Grundsteinlegung für ein neues Sozialzentrum der Volkssolidarität in Brandenburg/Havel[1]. Dort sollen als Baustoffe Holz und Stroh zum Einsatz kommen.

Ist der kompostierbare Baustoff nicht ein gefundenes Fressen für Mäuse oder Insekten? In dieser Hinsicht besteht keine Gefahr, versichert Architektin Fuchs und verweist auf eine Putzschicht von fünf Zentimetern. Hier könne das stark zusammengepresste Stroh eine weitere gute Eigenschaft ausspielen: Stroh ist ein guter Putzträger. In den Tropen beziehungsweise in Ländern mit beständiger Hitze gebe es Termiten, die sich über Holzhäuser hermachen, berichtet sie. In Deutschland sei das allerdings kein Problem. Der Brandschutz stellt in diesem Fall hohe Anforderungen, die zu erfüllen sind. Billig ist das alles nicht. Es steckten »viele Handwerkerstunden darin«. Gezimmert wird ein Gerüst, das gepresste Stroh wird dann in Form von Ballen eingesetzt. Die Teilnehmer des Wohnprojekts teilen sich auch verschiedene Sanitäreinrichtungen, es handelt sich neben dem ökologischen auch um ein soziales Vorhaben. Eine Art Kommune, hätte man früher gesagt.

Das Dach der alten Scheune nebenan ist komplett mit Solarpaneelen belegt. »Wir produzieren damit dreimal mehr Strom als wir verbrauchen«, sagt Bewohnerin Astrid Goltz. Hinter dem Haus liegen weite grüne Flächen, die irgendwo in Wiesen auslaufen. Wäre hier Platz für weitere Häuser aus Stroh? »Wir sind jetzt etwas baumüde«, winkt Goltz ab. »Aber in einigen Jahren - wer weiß?«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/admin/article.php?action=show&id=1158524