Als Schwuler auf dem Marktplatz

Lars Bergmann kämpft an einer unsichtbaren Front mutig gegen Unkenntnis und Vorurteile

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Es ist leicht, Witze über schwule Männer zu machen, wenn man keinen kennt«, sagt Lars Bergmann vom Landesverband Andersartig. Darum stellt er sich in Brandenburg immer wieder auf Marktplätze, leistet »Graswurzelarbeit«, wie er sagt. »An der Front.« Denn da bekommt er einiges zu hören. »Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.«

Vorurteile gibt es, Anfeindungen, auch Unkenntnis. In Brandenburg habe es in der DDR im Grunde keine Schwulen- und Lesbenbewegung gegeben, nur ganz zuletzt ein bisschen, erinnert sich Bergmann. Darum habe er den Leuten in den 90er Jahren noch erklären müssen, »dass Homosexualität keine Krankheit ist«, erzählt er am Mittwochabend.

Der Verein Opferperspektive und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung laden zu einem »Crashkurs Antidiskriminierung in Brandenburg«. Zum Auftakt gibt es am Mittwochabend eine Podiumsdiskussion mit Bergmann und anderen Experten. Die Situation ist heute nicht die der 90er Jahre. Aber mit Ignoranz und mangelnder Toleranz haben Homosexuelle in Brandenburg heute noch zu kämpfen. 40 Prozent von ihnen erlebten einer Umfrage zufolge in den vergangenen Jahren Gewalt, Transpersonen sogar 50 Prozent. Diese Zahlen seien, wenn man sie mit den Statistiken beispielsweise für Berlin vergleiche, »ein Schandfleck für Brandenburg«, sagt Bergmann. Man sei gern gesehen, wenn im Innenhof des Landtages die Regenbogenfahne gehisst wird. Aber obwohl er eine »grundständige Menschenrechtsarbeit« leiste, die Verfassungsrang habe, werde manchmal so getan, als lasse er sich mit Steuermitteln ein persönliches Hobby finanzieren. Sprachlos ist der Aktivist mit der bunten Irokesenfrisur, wenn ihm vorgehalten wird: »Wissen sie, wie viel 40 000 Euro im Jahr für einen Arbeitslosen wären?«

Es gebe im Land Brandenburg für seinen Bereich keine zehn hauptamtlichen Posten und nur eine Beratungsstelle in Potsdam, aber die Politik verlange eine Arbeit wie mit 100 Stellen, beschwert sich Bergmann. Man könnte über einen individuellen Rechtsanspruch auf Beratung nachdenken, findet er. Dann sähe es anders aus, wenn das jemand einklagen könnte. Aber so? »Wir laufen ja als freiwillige Leistung, die auch gestrichen werden könnte.«

Mit dem Landeshaushalt 2022 drohte der Wegfall erheblicher Fördermittel für Projekte der Gleichstellung. Doch Mädchenvereine und Frauenverbände gingen gemeinsam mit dem Landesverband Andersartig auf die Straße, um das zu verhindern - und es gelang. »Wir brauchen übergreifende Bündnisse«, schlussfolgert Bergmann. Denn gemeinsam ist man stark.

Benachteiligt und bedrängt werden neben Frauen und Homosexuellen auch andere, beispielsweise Juden. Die Juden, die im Land Brandenburg leben, stammen zu 90 Prozent aus der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten. Sie sprechen Russisch und werden deswegen doppelt angefeindet - wegen ihrer slawischen Herkunft und wegen ihrer jüdischen Religion. Das berichtet Dorina Feldmann von der brandenburgischen Fachstelle Antisemitismus, die es seit Mai 2019 gibt. Wo keine Juden leben, trifft es alte jüdische Friedhöfe oder die Stolpersteine, die vor Häusern an ehemalige jüdische Bewohner erinnern, die von den Nazis deportiert und ermordet worden sind. Diese Orte und Zeichen werden immer wieder beschmiert und geschändet.

Eine »faschistische Diktatur« hat die Familie von Patricia Fuentealba in Chile erlebt. Eine »faschistische Diktatur«, so nennt sie das Militärregime von General Augusto Pinochet, der sich 1973 mit Hilfe der USA an die Macht putschte. Der Vater von Fuentealba wurde damals festgenommen und gefoltert. Doch die Familie konnte entkommen. »Die DDR hat uns aufgenommen«, erinnert sich Fuentealba dankbar. Viele ihrer Landsleute bekamen in Cottbus Wohnung und Arbeit. Hier gibt es immer noch eine beachtliche chilenische Gemeinde. Aber mit der Wende hat sich viel verändert. Die Menschen konnten ihre Meinung nun frei äußern - und es war nicht freundlich, was sie sagten, beklagt Fuentealba, die im Migrationsbeirat der Stadt sitzt. Sie hätte nicht gedacht, dass solche Gedanken in den Köpfen einiger Cottbuser herumspuken.

Es gebe zu wenige Beratungsstellen für Fälle von Diskriminierung, bedauert Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband, einer Dachorganisation solcher Beratungsstellen in 13 Bundesländern. »Die Opferperspektive hat Beratungsstellen in Potsdam und in Cottbus. Aber Brandenburg ist ein großes Land. Da ist viel Luft nach oben«, meint Andrades.

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