Das soziale Berlin wird gestärkt

Sozialträger und Verbände sehen im Koalitionsvertrag konkrete Ansätze für Verbesserung

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Lob, Kritik und Hoffnung - wird das »Soziale Berlin«, wie es die Koalitionsparteien immer wieder herausgestellt haben, mit den Festlegungen im Koalitionsvertrag der wahrscheinlich neuen rot-grün-roten Regierung tatsächlich gestärkt?

Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, sieht die Weiterentwicklung bisheriger sozialpolitischer Schwerpunkte als vordringlich an. Als Beispiel nennt sie die Eingliederungshilfe, die Menschen mit Behinderung Unterstützung anbietet. Zukünftig soll es eine Strategiekonferenz Eingliederungshilfe geben - für Schlimper eine gute und wichtige Neuerung, mit der »die Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen künftig berlinweit besser gesteuert werden«.

Genauso wichtig für ein soziales Berlin sei der Ausbau der Stadtteilzentren in den Bezirken, die gerade in Bezug auf Integration und Migration eine große Rolle spielen. Dies sei auch eine wichtige künftige Aufgabe der Sozialsenator*in. Am Montag hatte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales mitgeteilt, dass 36 Projekte der mobilen Stadtteilarbeit eine EU-Mittel-Förderung in Höhe von 9,3 Millionen Euro erhalten - dazu gehören auch Stadtteilzentren.

Beim Diakonischen Werk lobt man die geplanten Maßnahmen zur »Erleichterung der konkreten Lebenssituation von vulnerablen Personengruppen, unter anderem von wohnungslosen Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte«, so Ursula Schoen, Direktorin des regionalen Landesverbandes. Ein gutes Beispiel sei der Plan, die Einbürgerungsverfahren mit Hilfe eines Landeseinbürgerungszentrums zu beschleunigen. Auch, dass bedürftige Mieter*innen zukünftig nicht mehr so einfach zwangsgeräumt werden können, wie zum Beispiel Eltern mit Kindern oder Menschen mit Behinderungen, begrüße man.

Verbesserungen im Bereich Wohnen werden allerdings ebenfalls angemahnt: unter anderem bei der Planung der neuen Landesregierung, den Wohnberechtigungsschein (WBS) deutlich mehr Personengruppen auszuhändigen. »Den WBS einfach allen Bedürftigen auszustellen, wird das Problem nicht lösen«, warnt Schoen. Es bestehe die Gefahr, dass daraus ein zahnloser Tiger werde, denn: »Mit einem WBS allein finden die Menschen auch keine bezahlbare Wohnung.« Beim Thema Wohnen und Mieten zeigen sich Verbände bisher verhalten skeptisch, was die Regierungsvereinbarung betrifft. Denn ob es reicht, soziale Verwerfungen und auch Rassismus auf dem Wohnungsmarkt mit den festgeschriebenen Neubauzielen zu verringern, muss sich erst zeigen.

Es müsse deutlich an der Zahl der Neubauvorhaben geschraubt werden, hatte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, erklärt. Er hält den Anteil von 25 000 neuen Sozialwohnungen bei 100 000 Neubauwohnungen in der neuen Legislatur insgesamt für nicht hinreichend. »Wir empfehlen daher, die Neubauziele mit einem realistischen und klimapolitisch zu rechtfertigenden Maß zu versehen und dabei eine ›Gemeinwohlquote‹ inklusive Sozialwohnungen von 70 Prozent anzustreben«, so Wild.

»Wir haben das in der Hand«, hatte zuletzt Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert auf einem Sonderparteitag am Samstag betont.

Andrea Asch, Vorständin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg, erklärte, man freue sich, dass die Forderung nach Weiterführung der Unabhängigen Sozialberatung aufgenommen worden sei. »Allerdings vermissen wir eine finanzielle Aufstockung, um den wachsenden Bedarfen gerecht zu werden«. Asch beklagt, dass im Unterschied zum Koalitionsvertrag des Bundes in Berlin ein klares Bekenntnis zur freien Wohlfahrtspflege fehle. Berlin brauche Vielfalt in der Trägerlandschaft, so Asch. »Dazu gehört eine auskömmliche Finanzierung der unterschiedlichen Anbieter, wie zum Beispiel der sozialen und gesundheitlichen Angebote der diakonischen Träger, die eine so wichtige Arbeit für diese Stadt leisten.«

Die in Aussicht gestellte Bevorteilung kommunaler Träger sei eine Enttäuschung für diakonische Kitaträger. Freie Träger müssten gleichberechtigt auf die Ausbaumittel für Kitas zugreifen können. »Hier lässt man evangelische Träger im Regen stehen, die bereits für neue Kitaplätze in Vorleistung gegangen sind und immer noch auf Zusagen des Landes Berlin warten«, kritisiert die Vorstandsfrau.

Man freue sich jedoch, dass mit Katja Kipping, langjährige Sprecherin für Sozialpolitik im Deutschen Bundestag, eine versierte Fachfrau auf Elke Breitenbach folgen solle, heißt es auf Nachfrage. In der vergangenen Woche hatte die bisherige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) erklärt, in der kommenden Legislatur nicht mehr für diese Position zur Verfügung zu stehen. Landesvorsitzende Katina Schubert hatte daraufhin Katja Kipping als neue Personalie vorgeschlagen. Die 43-jährige Sozialpolitikerin und ehemalige Parteivorsitzende der Linken hatte daraufhin Zustimmung signalisiert, aber auch auf den bis zum 17. Dezember dauernden Mitgliederentscheid der Linke-Basis verwiesen.

Mit der prominenten Besetzung zeige Die Linke, dass ihr das Amt der Berliner Sozialsenatorin wichtig ist, so die Diakonie. Man hoffe auf »eine gute und konstruktive Zusammenarbeit«.

Martin Parlow vom Arbeitskreis Wohnungsnot, der 30 Initiativen im Bereich der Obdach- und Wohnungslosenhilfe in der Hauptstadt vertritt, verrät »nd«, dass man zwar nicht besonders glücklich gewesen sei über den Rücktritt Breitenbachs. »Trotz aller Ecken und Kanten« habe sie wirkliche Veränderungen erreichen wollen. Die Umsetzung des Masterplans zur Beendigung von Wohnungslosigkeit werde »kein Spaziergang«. »Wir hätten das gerne mit ihr gemacht«, bedauert Parlow. Ihre Kompetenz sei sehr geschätzt und von niemandem angezweifelt worden. Zugleich halte man den Vorschlag Katja Kipping »für eine sehr gute Lösung«. Sie bringe »sehr viel Erfahrung mit in der Moderation nicht leichter Organisationen«, sei darüber hinaus kompetent in sozialen Fragen, engagiert, beliebt und bringe auch »als Respektsperson viel Gewicht mit«. Leicht, so Parlow weiter, werde sie es wohl in Berlin nicht haben. Der Initiativenvertreter wird wissen, dass es dabei auch auf Leute wie ihn ankommt.

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