nd-aktuell.de / 09.12.2021 / Politik / Seite 2

Impfverweigerer oder bisher nur ohne Angebot?

Einfach zugängliche Impftermine sind oft noch die Ausnahme – besonders für Benachteiligte

Ulrike Henning

Ungeimpfte stellen aktuell den größeren Teil der Krankenhaus- und Intensivpatienten mit Covid-19. Ungeimpft sind sie, weil sie bestimmten esoterischen Denkschulen folgen, Alternativmedizin bevorzugen oder sich im rechten Widerstand gegen staatliche Strukturen befinden – oder wähnen. So scheint es bei oberflächlicher Betrachtung. Die Lage ist aber nicht so übersichtlich, wie sie scheint.

Die Verbreitung von Impfablehnung oder -skepsis wird für diese Pandemie unter anderem in der Cosmo-Studie[1] erforscht. Dafür werden seit April 2020 in bestimmten Abständen etwa 1000 Personen zu Corona-relevanten Themen befragt. Die letzte Auswertung von Anfang Dezember zeigt, dass die Gruppe der Impfverweigerer inzwischen auf 6,7 Prozent der Befragten geschrumpft ist. Noch viel kleiner sind inzwischen die Gruppen der Unsicheren und Zögerer, mit insgesamt unter zwei Prozent der Befragten – besonders auf diese hatte man in früheren Phasen der Pandemie gesetzt. Hier ist aber nun für das Erreichen eines hohen Impfgrades nicht mehr viel zu holen. Einschränkend muss dazu gesagt werden, dass die Teilnehmer dieser Studie vermutlich dem Impfen positiver gegenüberstehen als die Allgemeinbevölkerung.

Auch wenn davon ausgegangen wird, dass ein Teil der Impfverweigerer die eigene Position mit großer Reichweite und lautstark vertritt, könnte es gut sein, dass das gar nicht mehr so relevant ist. Sprich: der eher mediale, aber durchaus auch reale und gerade anschwellende Krawall der Impfgegner verliert an Einfluss auf den Fortschritt der Impfkampagne.

Dabei gibt es jedoch weiter blinde Flecken, die bereits früh in der Pandemie benannt, aber noch immer nicht beseitigt wurden. So ist eine prinzipielle Impfbereitschaft nicht damit gleichzusetzen, dass jemand überhaupt Zugang zur Immunisierung hat. Die Schlangen vor Impfzentren aktuell, Wartzeiten und Komplikationen bei der Terminvergabe in Praxen – das alles gab es schon in dieser Pandemie. Daran zeigt sich, dass selbst die Impfbereiten einiges auf sich nehmen müssen, um an das Vakzin zu kommen. Wie geht es aber erst jenen, die nicht gut oder gar nicht Deutsch sprechen, die sozioökonomisch so weit abgehängt sind, dass sie keinen Zugang zu Medien, Internet und eben auch nicht zur Gesundheitsversorgung haben?

Auch aus der Cosmo-Studie gibt es schon länger Empfehlungen zu niederschwelligen und aufsuchenden Impfangeboten[2]. Außerdem zu einer »wertschätzenden« Beratung. In Berlin zum Beispiel existieren als Projekt ein interkulturelles Aufklärungsteam oder eine mehrsprachige Corona-Hotline der Gesundheitsämter. Dazu merken Shao-Xi Lu und Franziska Paul vom Gesundheitskollektiv Berlin e.V. auf »nd«-Anfrage an: »Die mehrsprachigen Hotlines sind bei den Zielgruppen nicht ausreichend bekannt. Vertrauensarbeit und Aufklärungsarbeit vor der tatsächlichen Impfung durch Gesundheitsfachkräfte (Ärzt*innen, Pflege) fehlen. Das interkulturelle Aufklärungsteam kann dies nicht gänzlich auffangen.«

In der lokalen Politik wird darauf verwiesen, dass Impfangebote etwa in Moscheen gut angenommen werden. Auch hier halten sich mit einer dezidierten Impfverweigerung nur kleine Minderheiten abseits, ebenso wie in anderen migrantischen Gemeinschaften.

Für die Vertreter des Gesundheitskollektivs geht es insgesamt um ein größeres Problem: »Beim Impfen zeigen sich strukturelle Probleme des Gesundheitssystems: sozial benachteiligte Menschen haben prinzipiell einen erschwerten Zugang, rassistische und/oder klassistische Diskriminierung führt zu fehlendem Vertrauen und Abwehrhaltung gegenüber paternalistisch formulierten Aufforderungen. Das kann nicht ohne Weiteres durch kurzfristige Projekte und Aktionen aufgefangen werden.« Auch die weitere Begleitung bei Nebenwirkungen, in Bezug auf zweite und dritte Impfungen wird durch die kurzfristigen Angebote nicht abgedeckt. Für einen niedrigschwelligen Zugang zum Impfen seien persönliche Kontakte und Beziehungen elementar: »Die Menschen müssen den Gesundheitsfachkräften vertrauen (können). Dazu gehört ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe, Anerkennung und Mitbestimmungsmöglichkeiten.«

Offensichtlich ist man in diesen Fragen in Bremen schon etwas weiter[3]. Was jedenfalls die Ergebnisse der Impfkampagne betrifft, bleibt der Stadtstaat bundesweit unangefochtener Spitzenreiter: 80,8 Prozent war, Stand Mittwoch, der Anteil der vollständig Geimpften an der Gesamtbevölkerung – unter anderem durch direkte Ansprache der Menschen in ärmeren Vierteln.

Links:

  1. https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158813.corona-massnahmen-in-berlin-die-impfangebote-staerker-verbreiten.html?sstr=Impfzentren
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155315.impfdebatte-wie-bremen-zum-spitzenreiter-wurde.html?sstr=Impfen|Bremen