Joe Biden stolpert über Joe Manchin

Konservativer Demokraten-Senator kündigt »Nein« zu Agenda des US-Präsidenten an

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wer ist eigentlich der Präsident dieses Landes, Joe Manchin oder Joe Biden?« Mit dieser Frage brachte der Schwarze progressive Podcastautor Charlemagne Tha God US-Vizepräsidentin Kamala Harris aus der Fassung. Die sichtbar wütende Topdemokratin, die selbst in den letzten Monaten vor allem durch Chaos in ihrem Team aufgefallen war, maßregelte den Podcaster umgehend und wenig souverän (»Komm schon, du weißt es genau«) und konterte mit einem schwachen politischen Argument (»Du redest wie ein Republikaner«) – es war ein PR-Fauxpas und symptomatisch für die Probleme des Weißen Hauses. Die Frage beschäftigt besonders seit dem Wochenende erneut und mit neuer Dringlichkeit das politische Washington und viele Menschen in den USA. Und die vorläufige Antwort scheint zu sein: Joe Manchin ist der mächtigste Mann im Land.

Der Demokaten-Senator aus West Virginia hat am Wochenende verkündet, das Gesetzespaket zu sozialer Infrastruktur scheitern zu lassen – und damit viele Biden-Wahlkampfversprechen wie eine günstigere Krankenversicherung und bezahlbarere Medikamentenpreise sowie Maßnahmen gegen die Klimakrise. Er habe »alles Menschenmögliche« getan, werde mit »Nein« Stimmen, erzählte Joe Manchin im rechten Fernsehsender Fox News am Sonntag. Seine Begründung ist dieselbe, mit der er vorher seine Zweifel begründet hatte: Die vermeintlich hohen neuen Staatsausgaben könnten die Inflation befeuern, außerdem würden die Staatsschulden wachsen.

Schon in den letzten Tagen hatten Joe Biden und führende Demokraten im US-Senat kleinlaut zugegeben, das Gesetzespaket vielleicht doch erst im neuen Jahr verabschieden zu können – trotz der Tatsache, dass man bereits seit Monaten vor allem mit den konservativen Demokraten-Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema als entscheidenden Stimmen angesichts der knappen Demokratenmehrheit von 51 zu 49 Stimmen verhandelt. Monatelang bestand der Politjournalismus rund um das Parlamentsgebäude am Capitol Hill vor allem aus der Berichterstattung über jede Bemerkung von Manchin und seinen immer neuen Zweifeln und Kritiken.

Das Weiße Haus hatte wochenlang direkt mit dem Senator gesprochen, auch Joe Biden selbst telefonierte immer wieder mit Manchin. Entsprechend ungewöhnlich wütend und deutlich war nun die Reaktion aus dem Weißen Haus auf die Ankündigung Manchins. Die sei ein Vertrauens- und »Wortbruch« und »unerklärbar«. Man werde »weiterhin auf ihn einwirken und vielleicht ändert er seine Position ja erneut und steht zu seinem Wort«, so Sprecherin Jen Psaki. Biden selber hatte in der Vergangenheit die Linie vertreten, man dürfe nicht zu viel Druck auf Manchin ausüben oder ihn direkt kritisieren.

Es scheint so, als hätte die linke »Squad« um Alexandria Ocasio-Cortez recht behalten und die Führung der linksliberalen Parlamentariervereinigung Congressional Progressive Caucus (CPC) nicht. Wochenlang hatte der CPC die Zustimmung seiner fast 100 Mitglieder zum von konservativen Demokraten um Manchin und Sinema ausgehandelten Gesetzespaket zu baulicher Infrastruktur zurückgehalten, weil sie wollten, dass es zusammen mit Bidens zweitem Gesetzespaket zur sozialen Infrastruktur verabschiedet wird. Die Logik: Würde man zuerst über Erstes abstimmen, hätten konservative Demokraten wie Manchin das, was sie wollen, und kein Interesse mehr, anschließend auch für das zweite Paket zu stimmen.

Ende November stimmten die meisten CPC-Mitglieder doch für das bauliche Infrastrukturpaket, weil CPC-Führerin Pramila Jayapal ein Versprechen von Biden und von konservativen Abgeordneten erhalten hatte. Sechs linke Demokraten um Ocasio-Cortez verweigerten trotzdem die Zustimmung, weil das zweite Paket nicht zuvor im Senat verabschiedet worden war, da Manchin nicht zugestimmt habe. Ende November verabschiedete das Repräsentantenhaus das soziale Infrastrukturpaket.

Amerikas führender linker Demokrat reagierte erbost auf Manchins Nein-Ankündigung. Wenn Manchin mit Nein stimmen werde, müsse man bei den Zwischenwahlen halt mit der Botschaft antreten, man sei bereit gewesen, das Nötige zu tun, »mit der Ausnahme von ein bis zwei Menschen«, so Bernie Sanders auf CNN. Manchin müsse nun als Vertreter eines der ärmsten Bundesstaaten »seinen Wählern erklären, warum Anfang Januar das in der Coronakrise erhöhte Kindergeld, das die Kinderarmut im Land deutlich reduziert habe, auslaufen wird«.

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Der Senator aus Vermont will trotzdem im Senat über das bereits vom Repräsentantenhaus verabschiedete Gesetzespaket abstimmen lassen, damit Manchin auf großer Bühne gegen seine Partei stimmen muss. Manchin sagt, dass er dazu bereit wäre. Einige pragmatisch gesinnte Demokraten in den USA denken schon laut über einen Alternativplan nach, um zumindest Teile von Bidens Agenda zu retten, und wollen mit Manchin das Gesetz weiter überarbeiten.

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