Gespaltenes Land

Ost- und Westlibyen finden nicht zueinander

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 5 Min.
Protest in Tripolis gegen die Kandidatur von Saif Al-Islam Al-Gaddafi und General Khalifa Haftar bei den Präsidentschaftswahlen
Protest in Tripolis gegen die Kandidatur von Saif Al-Islam Al-Gaddafi und General Khalifa Haftar bei den Präsidentschaftswahlen

Eigentlich schienen sich alle politischen Lager in Libyen einig zu sein. Am 24. Dezember soll in dem ehemaligen Bürgerkriegsland ein neuer Präsident gewählt werden. Der Fahrplan zu einer demokratisch legitimierten Regierung und Präsidenten war von libyschen Delegierten nach Vermittlung der Vereinten Nationen vor fast einem Jahr in Genf beschlossen worden. Die Neuordnung des polarisierten politischen Lebens schien tatsächlich dem Bürgerwillen zu entsprechen. Fast hundert Kandidaten bewarben sich um das Präsidentenamt, über 4000 Bürger haben bei der Wahlbehörde HNEC Kandidaturen für die 200 Sitze des Parlaments eingereicht. Doch obwohl zwei Tage vor der Wahl der 24. Dezember als Wahltermin nicht mehr einzuhalten ist, haben bisher weder HNEC noch das Parlament die Öffentlichkeit über die Verschiebung der Wahlen informiert.

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HNEC Chef Dr. Imed Saya bekräftigte am Montag vor libyschen Journalisten sogar, dass es technisch keine Probleme gäbe. Die rund 2,5 Millionen registrierten Wähler hätten ihre Wahlzettel erhalten, von Wahlurnen bis zur Registrierung der Wahlbeobachter stünde alles bereit. Nur das wichtigste Detail, die finale Kandidatenliste, steht noch aus, es gibt auch keine gedruckten Wahlzettel.

Dafür sind am frühen Dienstagmorgen Milizen an strategische Orte in Tripolis ausgerückt. Die Besatzungen der Panzer und Pick-ups unterstehen offiziell dem Innenministerium oder dem Präsidialrat, einer Art beratendes Parlament. Der dort einflussreiche Khaled Al-Mischri wettert schon seit Wochen gegen die geplante Abstimmung. Sie basiere auf einem Wahlgesetz, sagt der als Islamist geltende Politiker aus der Hafenstadt Zauwia, das von dem nach Ostlibyen geflohenen Parlament nur mit einem Ziel verabschiedet worden sei: Dem ostlibyschen General Haftar die Kandidatur zu ermöglichen.

Haftar gilt seit seinem Angriff auf Tripolis für die Milizen in Westlibyen als untragbar. Mit ihrer Demonstration der Stärke auf den Straßen von Tripolis wollen sie eine mögliche Wahl Haftars zum Präsidenten verhindern. Und das Hauptproblem der Wahlen ist, dass die drei bekanntesten Kandidaten nach den Kriegen der letzten zehn Jahre ihren festen Kreis von Anhängern haben, aber in anderen Landesteilen auch nach einem Wahlsieg nicht akzeptiert würden.

»Warum wählen wir einen einzigen Präsidenten für ein gespaltenes Land«, fragen sich Menschenrechtsaktivisten wie Hamza Al-Najh aus Gahrian. Die Menschen sind zunehmend enttäuscht vom sich dahinschleppenden Demokratieprozess und viele haben die Hoffnung verloren, dass sich grundlegend etwas ändern könnte. Die Libyer wollten die aktuelle politische Führung loswerden, sagt Yunis Issa, politischer Aktivist und ehemaliger Kulturminister. »Aber sie glauben nicht, dass wir die Milizen mit kurzfristig anberaumten Wahlen und ohne Wahlkampf los werden. Und solange sie wie gestern die Ölindustrie oder die Wasserversorgung der Hauptstadt im Handumdrehen blockieren können, zieht die Zivilgesellschaft immer den Kürzeren.«

Die Parlamentsabgeordneten im ostlibyschen Tobruk wollen offenbar erst einmal die Resultate der Präsidentschaftswahl abwarten und sehen sich als Sicherheitsgarant gegen einen neuen Krieg. Sollten Khalifa Haftar oder der Sohn von Libyens ehemaligem Langzeitherrscher Al-Gaddafi, Saif Al-Islam, gewinnen, werden die Milizen in Tripolis wohl zu den Waffen greifen. Saif wird von dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag für den Angriff auf Zivilisten während des Aufstands gegen Muammar Al-Gaddafi gesucht. Er wurde von einem libyschen Gericht zum Tode verurteilt, aber im letzten Jahr freigelassen. Wegen Kriegsverbrechen während seines zurückgeschlagenen Angriffs auf Tripolis vor zwei Jahren ermittelt das ICC auch gegen Armeechef Khalifa Haftar.

Ebenfalls umstritten ist der in Genf für ein Jahr gewählte Übergangspremier Abdelhamid Dbaiba, dessen Mandat am 24. Dezember, Jahrestag der Unabhängigkeit Libyens, endet. Er hatte der damaligen stellvertretenden Leiterin der Libyen-Mission der Vereinten Nationen (Unsmil) versprochen, nicht bei den Wahlen anzutreten, die er mit seiner Regierung vorbereiten sollte. »Es ist eine Verpflichtung gegenüber der Nation, dass ich mich bewerbe«, sagte der Multimillionär, als er einen Tag vor Ablauf der Bewerbungsfrist überraschend im HNEC-Hauptquartier auftauchte und seine Unterlagen für eine Kandidatur abgab, darunter angeblich auch ein gefälschtes kanadisches Universitätsdiplom. Das behaupten zumindest Medien, die seinem Kontrahenten Fathi Baschaga nahe stehen.

Nach dem überraschenden Rücktritt des slowakischen Unsmil-Chefs Jan Kubis leitet nun die US-Amerikanerin Stephanie Williams die Mission und gibt zusammen mit dem US-Botschafter und Sondergesandten Noland den Ton an. Das wiedererweckte Interesse Washingtons an nur von einem Waffenstillstand gestoppten Stellvertreterkriegs liegt an der Präsenz russischer Söldner der Firma Wagner in Zentrallibyen. Die im Auftrag von Haftar kämpfenden Wagner-Söldner seien auch für die Sicherheit von Saif Al-Islam verantwortlich, behaupten Sicherheitsexperten aus Südlibyen.

Der Aktivist Yunis Issa, der zur nicht-arabischen Volksgruppe der Tobu gehört, sieht Libyen als »Spielplatz der Diplomatie«. Jetzt probiere man es mit Präsidentschaftswahlen. »Sollte dies scheitern, akzeptiert man vielleicht die illegale Machtteilung der derzeitigen Machthaber in Ost und Westlibyen. Sollte Europa so weitermachen und die Milizen gewähren lassen, könnten die Extremisten in der angrenzenden Sahel-Region das Machtvakuum in Südlibyen für sich nutzen.«

Anzeichen für eine verstärkte Militärpräsenz sind unübersehbar. Auch in der Hauptstadt der Sahara Provinzhauptstadt Sebha gehören brandneue Radpanzer der libyschen Armee nun wieder zum Alltag. Haftars Einheiten tauchten bereits im November vor dem Gericht auf, das über die Rechtmäßigkeit der Kandidatur von Saif Al-Islam entscheiden sollte.

Viele Libyer interpretieren das Schweigen der Wahlkommission als Zeichen, dass die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. In den Cafés werden zumindest die Parlamentswahlen euphorisch diskutiert. Viele haben Freunde, die sich als Kandidaten beworben haben, so Hamza Al-Naj. »Die Demokratie lebt«, sagt er. » Die Frage ist nur, wann wir einen Neustart wagen können.«

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