nd-aktuell.de / 04.01.2022 / Brandenburg / Seite 9

Arbeitszeiten wie im Westen

Über 30 Jahre nach der Wende ist auch bei Daimler in Ludwigsfelde die 35-Stunden-Woche greifbar

Jörg Meyer

Die 35-Stunden-Woche ist greifbar nahe.[1] Mit dem Jahreswechsel ist die wöchentliche Arbeitszeit der Beschäftigten bei Mercedes in Ludwigsfelde von 38 auf 36 Stunden gesunken. Ab dem 1. Januar 2027 soll die 35-Stunden-Woche gelten. Das teilten das Unternehmen und die zuständige Gewerkschaft IG Metall im Dezember mit.

In Ludwigsfelde arbeiten rund 2000 fest angestellte Beschäftigte. Dazu kommen rund 500 Leiharbeiter*innen und Werkvertragsarbeiter*innen. Für sie gilt die neue Regelung nicht, weil sie nicht unter den Tarifvertrag fallen, der die Arbeitszeitverkürzung möglich gemacht hat. Bei der Mercedes-Benz Ludwigsfelde GmbH werden seit 1991 Lieferwagen und Transporter gebaut.

»Die Beschäftigten freuen sich, dass sie das jetzt durchsetzen konnten - trotz aller Unkenrufe. Damit erfüllt sich ein langgehegter Wunsch, und vor allem geht eine lange Auseinandersetzung damit zu Ende«, sagt Tobias Kunzmann, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ludwigsfelde, zu »nd«. Das sei besonders wichtig, weil das Brandenburger Unternehmen eine eigenständige GmbH, also eine Tochter der Daimler AG ist. »Wir haben lange dafür gekämpft und das war überfällig«, sagte der stellvertretende Ludwigsfelder Betriebsratsvorsitzende Thomas Rackwitz.

Die Mehrkosten für die Wenigerarbeit teilt sich das Unternehmen in den kommenden Jahren mit seinen Beschäftigten. Die Personalkosten steigen nach IG-Metall-Angaben durch die Arbeitszeitverkürzung um 8,5 Prozent im Jahr. »Das Unternehmen kann das nicht auf einmal stemmen«, sagt Tobias Kunzmann. »Deshalb übernehmen die Beschäftigten zunächst einen Teil der Kosten. Ab Mitte 2027 zahlt Mercedes den Betrag aber alleine.«

In der Tarifrunde 2021, die im Sommer zu Ende gegangen war, konnte die IG Metall den flächendeckenden Einstieg in die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland nach mehreren Warnstreiks zunächst nicht durchsetzen. Die Beschäftigten in Ludwigsfelde hatten mehrfach die Arbeit für 24 Stunden niedergelegt.

Geeinigt hatten sich Unternehmen und Gewerkschaft auf das sogenannte Transformationsgeld. Dieses wird jeweils im Februar ausgezahlt und beträgt im neuen Jahr 18,4 Prozent und ab 2023 nach Gewerkschaftsangaben 27,6 Prozent eines Monatsgehaltes. Es ist neben Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie dem tariflichen Zusatzgeld die vierte jährliche Sonderzahlung.

Die IG Metall vereinbarte dann mit den Arbeitgebern im Herbst, dass Unternehmen per Vereinbarung mit dem Betriebsrat die Wochenarbeitszeit individuell absenken können. Mehrere Unternehmen im IG-Metall-Bezirk Berlin, Brandenburg, Sachsen haben davon bereits Gebrauch gemacht[2], darunter die Autowerke von VW, Porsche und BMW in Sachsen sowie die Automobilzulieferer ZF Getriebe in Brandenburg/Havel und Mahle, wobei die Arbeitszeitverkürzung bei Porsche in Leipzig bei vollem Lohnausgleich erfolgt.

IG Metall-Bezirksleiterin Birgit Dietze erwartet, dass Ende 2022 insgesamt 80 Prozent der Beschäftigten in den drei Bundesländern von Regelungen zur Arbeitszeitverkürzung profitieren können. Derzeit seien es rund 60 Prozent, sagte sie Ende Dezember zu dpa. Immer mehr Betriebe nutzten die Möglichkeit, gemäß dem Tarifabschluss im Sommer in die 35-Stunden-Woche einzusteigen. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sagte, die Einigung stärke die Planungs- und Zukunftsfähigkeit des Daimler-Werkes.

»Wir haben mit Mercedes in Ludwigsfelde jetzt einen wichtigen Leuchtturm im Land, und ich hoffe, das strahlt aus«, so Tobias Kunzmann von der IG Metall in Ludwigsfelde. Die Arbeitszeitverkürzung bei Mercedes sei auch »eine Ansage an Tesla« und überdies ein Beispiel für die Unternehmen der Luftfahrtindustrie wie MTU in Ludwigsfelde oder Rolls Royce, das in Dahlewitz Triebwerke baut.

Damit endet über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung für viele Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie die Ungleichbehandlung mit ihren Kolleg*innen in Westdeutschland - zumindest für diejenigen, die in einem tarifgebundenen Betrieb arbeiten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren das im Juli 2021 noch 43 Prozent der Beschäftigten bundesweit. In Brandenburg hatten Ende 2019 insgesamt rund zwei Drittel der Betriebe weder Tarifvertrag noch Betriebsrat. Das entspricht etwas über einem Drittel der Beschäftigten, weil in der Regel große Unternehmen eher tarifgebunden sind als kleinere.

Die IG Metall hatte mehrere Anläufe gebraucht, um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland umzusetzen. Im Jahr 2003 war ein vierwöchiger Streik in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie krachend gescheitert, was für die Gewerkschaft zur Zerreißprobe wurde. In den eineinhalb Jahrzehnten danach war die »35 im Osten« kein Thema mehr.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153812.stunden-woche-und-ig-metall-auf-zu-gleichen-arbeitsbedingungen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157311.arbeitszeit-ost-wie-west.html