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Sexspielzeug für alle
Im Kreuzberger Sexshop Other Nature gibt es Sextoys für unterschiedlichste Bedürfnisse, ganz unabhängig für welches Geschlecht das Toy hergestellt wurde
Auf der linken Seite neben dem Eingang stehen Dildos in allen Farben und Analspielzeug in den verschiedensten Formen. Es ist für alle etwas dabei, bei Other Nature, einem sexpositiven, queerfeministischen und veganen Sexshop in Berlin-Kreuzberg. Hier herrscht ein anderer Vibe als in Mainstream-Sexshops, die in schmuddelig wirkenden, dunklen U-Bahnhöfen ihre Produkte verkaufen. Bei Other Nature ist es hell, einladend und ästhetisch. Der Anspruch des Sexshops ist es, für alle Menschen und ihre Bedürfnisse da zu sein.
Auch für die LGBTQ+ Community ist hier gesorgt, nicht nur die im Laden verteilte, queere Kunst macht das deutlich. An der rechten Wand neben dem Eingang ist sogenanntes gender expression gear zu finden, also Artikel, die Menschen nutzen, um ihre Geschlechtsidentität optisch auszudrücken. Auf einer der beiden Kleiderstangen hängen Binder, das sind Kleidungsstücke für Menschen, die ihre Brüste abbinden wollen. Daneben befinden sich Packer: realistisch aussehende Penisse aus Silikon, die in der Unterhose getragen werden, um diesen zu simulieren. Für Menschen, die das Gegenteil erreichen wollen, ist auf der zweiten Kleiderstange Kompressionsunterwäsche zu finden, die den Genitalbereich abflacht, BHs mit eingenähten Brusteinlagen und Unterwäsche mit Polstern am Hüftbereich für eine rundere Form.
Transidentität: »Onlinedating als trans Frau ist anstrengend«
Bei allen angebotenen Produkten ist es den Mitarbeiter*innen im Laden wichtig, wie sie hergestellt wurden. Einerseits sollen sie möglichst ökologisch und vegan sein. Einige Kondome beispielsweise enthalten das Milchprotein Kasein. Und auch die Arbeiter*innen in den Fabriken, wo die Toys hergestellt werden, sollten fair bezahlt werden.
Viele der Sexspielzeuge kommen aus China; und selbst die, die in Berlin oder Leipzig hergestellt werden, basieren auf Rohstoffe aus anderen Ländern. Gerade in Deutschland oder Europa produzierte gender expression gear zu finden sei schwierig, sagt die Other-Nature-Mitarbeiter*in Maja. Vor allem bei kleinen Herstellern würde die Produktion sehr lange dauern, weil diese die Artikel oft selber nähen oder herstellen. Und deshalb sind die Produkte dann auch oft sehr teuer und nicht für alle zugänglich. Das ökologischste Produkt, das man im Laden finden kann, sind die Holzdildos aus Brandenburg.
Der gesellschaftliche Diskurs zu Sex hat sich verändert
Der Laden auf dem Mehringdamm ist seit 2011 geöffnet. Seitdem hat sich gesellschaftlich deutlich was geändert, in der Art und Weise, wie über Sex gesprochen wird. Maja findet auf den sozialen Medien wesentlich mehr Aufklärung. Kolleg*in Geza erinnert sich noch an frühere Zeiten, »als es ausschließlich schlechte Informationen« gab. Mittlerweile gebe es einfach insgesamt mehr gute Informationen und ein größeres Angebot wie Blogs und Podcasts zu dem Thema. Doch noch immer falle es nicht allen Menschen leicht, über Sex zu sprechen, aber es gebe mehr Leute, die sich das trauen.
Die Menschen, die in ihren Laden kommen, um über Sex zu reden, seien offen und interessiert, erzählen Geza und Maja. Es ist offensichtlich, dass die beiden stolz auf das vertrauensvolle Verhältnis mit den Kund*innen sind. Diese bringen auch immer ganz unterschiedliche Themen mit. Auf die Frage, wie sie diese ganzen Bedürfnisse und Fragen abdecken können, antwortet Geza: »Wir wissen nicht immer die Antwort. Dann lesen wir nach, fragen unsere Kolleg*innen, versuchen zu recherchieren.« In der queeren Community habe es auch Tradition, Bedürfnisse zu haben, von denen man noch nicht so genau weiß, was man damit macht. Und versucht, es selber herauszufinden.
Ins Other Nature kommen nicht nur queere Menschen, sondern auch Hetero-cis-Pärchen, die an Sexpraktiken wie Pegging interessiert sind. Pegging ist passiver Analsex von Männern in heterosexuellen Beziehungen, bei dem die Frau ein Geschirr um die Hüfte trägt, an dem ein Dildo befestigt ist. Im Laden können sie dafür Spielzeuge wie Strap-ons oder Dildos kaufen. »Das ist eigentlich schon revolutionär«, freut sich Geza. Einige Kund*innen werden auch an den Laden verwiesen, von Beckenbodenspezialist*innen, Physiotherapeut*innen; es gibt sogar Eltern, die von ihren Kindern vorbei geschickt werden.
Sexspielzeuge in der Öffentlichkeit noch immer nicht normal
In Zeiten des Kapitalismus, in denen Sexspielzeuge völlig normale Produkte sind, ist es dann doch verwunderlich, was für eine Außenwirkung die Vermarktung von Toys haben. Als 2015 das Berliner Start-Up für Erotik-Lifestyle-Artikel Amorelie riesige Plakate für einen Paar-Vibrator (ein Vibrator, den während der Penetration beide Partner*innen spüren) in der Stadt aufhing, fühlten sich einige Menschen davon irritiert. Die öffentliche Werbung sei zu aufdringlich, lautete damals die Kritik. Das Internet schoss direkt zurück und wies auf die Ambivalenz zwischen der permanenten Sexualisierung von Frauen im Vergleich zur Thematisierung ihrer Lust hin. Geza von Other Nature sieht noch einen anderen Grund: Seit Frauen Eigenkapital haben, sind sie eine starke Kaufkraft und somit zu einem neuen Marketingziel geworden, weshalb Werbung auch öffentlich konkret an sie gerichtet wird. Außerdem haben sie Frauen unter dem Neoliberalismus in ein selbstbewusstes und vor allem sexuell selbstbestimmtes Subjekt verwandelt. Ein Bild, das Marketingfirmenversuchen, aufrechtzuerhalten. Dazu eignen sie auch die Sprache der Wellness und Selfcare-Diskurse an, allerdings entpolitisiert und individualisiert.
Sexuelle Bildung: Jugendliche fragen oft: »Ist das normal?«
Auf der Webseite von Other Nature werden die Artikel übrigens so wenig gegendert wie möglich. Deswegen berät Mitarbeiter*in Geza Kund*innen auch nicht nach dem Geschlecht, für welches das Sexspielzeug hergestellt wurde, sondern fragt nach den Bedürfnissen.
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Festung Europa
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Länge: 00:29:30 Stunden
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