nd-aktuell.de / 16.01.2022 / OXI

Luxus-Steak aus dem Reaktor

In die Entwicklung von Laborfleisch wird viel Geld investiert – aber noch ist es schlicht zu teuer

Stephan Kaufmann
Das Reagenzglas ist die neue Kuh.
Das Reagenzglas ist die neue Kuh.

Die Fleischproduktion ist bekannt für die Schäden, die sie an Tier und Umwelt anrichtet. Was liegt da näher, als diese Produktion auszulagern – aus der Natur ins Labor, aus dem Tier in den Bioreaktor. Synthetisches Fleisch – »cultured meat« – hat das »Potenzial, die Fleischindustrie zu revolutionieren, mit weitreichenden Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit und Tierwohl«, so Nicolas Treich, Ökonom von der Universität Toulouse. Investoren wittern ein Riesengeschäft, Start-ups schießen weltweit aus dem Boden. Doch ein Problem bleibt: Das Labor-Steak ist schlicht zu teuer. An der Kapitalrendite gemessen ist das Tier dem Bioreaktor überlegen. Noch.

Ökonomisch erfolgreich am Markt sind bereits Firmen, die pflanzliche Fleischersatzprodukte anbieten. So ging das US-Unternehmen Beyond Meat vor zwei Jahren an die Börse, der Aktienkurs verzehnfachte sich in kurzer Zeit und katapultierte die Branche in die Investmentwelt. Als Konkurrenz treten nun Unternehmen auf, die auf eine andere Technologie setzen: Zur Herstellung von In-vitro-Fleisch wird Tieren Muskelgewebe entnommen, aus dem wiederum Stammzellen gewonnen werden. Funktion dieser Zellen ist die Regeneration des Muskelgewebes, »und das können sie innerhalb des Körpers oder außerhalb«, erklärt Mark Post von der Universität Maastricht, der 2013 den ersten Hamburger aus Labor-Zellen herstellte.

Anschließend werden die Stammzellen mit Hilfe eines Nährmediums in einem Bioreaktor vermehrt, wo sie zu einer größeren Masse zusammenwachsen, die Hackfleisch ähnelt. Etwa 20.000 dieser Zellen sind nötig für eine Hamburger-Boulette, die gegenüber konventionellem Fleisch viele Vorteile bietet: Mit künstlichem Fleisch »kann die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser[1] durch die Landwirtschaft vermindert werden«, wirbt Ökonom Treich. Zudem reduziere es drastisch das Auftreten ansteckender Krankheiten, die mit Lagerung, Produktion und Konsum von Tierfleisch zusammenhängen. Da In-vitro-Fleisch im Labor und nicht in der freien Natur hergestellt werde, sei seine Produktion wetterunabhängig, was die Versorgungssicherheit verbessere. Und schließlich sei es ein »moralischer Fortschritt«, da ihm keine Tiere zum Opfer fallen.

Zu den möglichen Vorteilen in der wirklichen Welt gesellen sich jene in der betriebswirtschaftlichen Bilanz. Denn die Produktion im Labor spart teure Ressourcen, es braucht keine Bauern mehr, keine Herden, Ställe, Fütterungen, keine Schlachthäuser – das Produkt geht von der Fabrik direkt zum Verpacker. Zudem wird die Herstellung beschleunigt durch die »Verkürzung der Fleischproduktionszyklen«, so eine Studie der Universität Jiangnan vom März dieses Jahres. Die Auslagerung des Stoffwechsels aus dem Tier heraus erleichtert die Kontrolle über den Fleischproduktionsprozess, womit sich Potenzial für die Optimierung des Input-Output-Verhältnisses ergibt – »die Kuh ist schließlich ein schlechter Futterverwerter«, erklärt Post. Kostensenkung versprechen zum Beispiel die Verbilligung des Nährstoff-Inputs und die Auswahl besonders agiler Stammzellen.

Und schließlich könnte das Laborfleisch nicht nur zur Rettung des Planeten beitragen, sondern auch zur Rettung des Wachstums der Fleischindustrie, deren Produktion bereits heute den Planeten überfordert. Laborfleisch ist quasi das Elektroauto der Fleischindustrie – es soll nachhaltiges Wachstum ermöglichen, ohne geschäftsschädigenden Verzicht der Konsument:innen. »Das ist meine Vision: Wir können weitergrillen«, verspricht Post.

In den vergangenen zwei Jahren sind daher Dutzende von Unternehmen entstanden, die Abermillionen Dollar in Fleischersatz investieren. Sie heißen Mosa Meat, Meatable, Higher Steaks, SuperMeat, Future Meat Technologies oder Redefine Meat. Mit dabei sind auch die großen Konzerne der Branche wie der größte deutsche Geflügelzüchter und -verarbeiter PHW, der Agrar-Multi Cargill oder das größte US-Fleischunternehmen Tyson, die auf diese Weise ihr Produktportfolio erweitern. Laut den Wissenschaftlern der Universität Jiangnan konzentrieren sich rund 30 Prozent der neuen Unternehmen auf die Herstellung von Schweinefleisch, 12 Prozent auf Meeresfrüchte, 10 Prozent auf Geflügel, der Rest forscht an Komponenten für die gesamte Produktionskette. Dabei existieren regionale Unterschiede: In Australien wird an Känguru-Fleisch laboriert, in Europa und Japan an Gänseleber und in China an Fisch.

Ob die Spekulation auf glänzende Gewinne aufgeht, steht allerdings noch in den Sternen. Eine Hürde ist die Zulassung durch die Behörden. So hatte die US-Firma Upside Foods angekündigt, Ende 2021 ihr erstes zellkultiviertes hähnchenartiges Fleischersatzprodukt auf den Markt zu bringen. In den USA ist aber erst der Zulassungsprozess angelaufen. Während die Behörden die Freigabe des »cultured meat« prüfen, hat die Firma schon einmal eine Änderung der Bezeichnung angemahnt: Sie bevorzugt den Begriff »cultivated meat«, da das Label »von entscheidender Bedeutung dafür ist, wie die Branche die Eigenarten und den Wert ihrer Produkte den Konsumenten vermittelt«, teilte das Unternehmen Ende November mit.

Vor der Zulassung stehen die Produzenten jedoch zumeist noch vor einem größeren Problem: dem Preis. »Die Entwicklung von Muskeln im Tierkörper war ein Prozess über Millionen Jahre«, erklärt Treich, »und ihre Produktion auf anderem Wege kann kostspielig und ineffizient [2]sein.«

Als der Niederländer Mark Post 2013 seinen ersten Laborfleisch-Hamburger präsentierte, beliefen sich die Kosten auf 250.000 Euro. Zudem, so Post, »soll er ein bisschen trocken geschmeckt haben, denn es fehlte Fettgewebe«. Inzwischen sind die Produktionskosten drastisch gesunken. Dennoch kalkuliert eine Marktanalyse der niederländischen Beratungsfirma CE Delft vom März 2021, dass synthetisches Fleisch im Durchschnitt noch immer mindestens hundert Mal teurer ist als Tierfleisch. Um konkurrenzfähig zu werden, brauche es eine erhebliche Verbilligung der Input- und Wachstumsfaktoren. Mit der heute verfügbaren Technik sei bestenfalls ein Preis von 15 Dollar pro Kilo Schweinefleisch zu erreichen, was dem Zehnfachen der Produktionskosten für herkömmliches Schweinefleisch entspricht.

Bis zum Jahr 2030, so CE Delft, könnte das Laborfleisch jedoch preismäßig zur echten Konkurrenz werden – entsprechende technologische Fortschritte vorausgesetzt. Eines der großen Probleme der Branche bleibt die Produktion großer Einheiten. »Einen Prototyp zu bauen ist relativ einfach«, zitiert die Internetseite Sifted Mark Kotter, Mit-Begründer von Meatable. »Aber das Hochfahren der Produktion auf industrielle Maßstäbe ist extrem schwierig. Ein Zwei-Liter-Bioreaktor ist eine ganze andere Sache als ein 20.000-Liter-Bioreaktor.«

Eine weitere Hoffnung der Branche ist die Verteuerung konventionellen Fleisches. Eine Studie der Universitäten Oxford und Göteborg von Anfang 2021 kommt zu dem Schluss, Fleisch sei gegenwärtig weit zu billig, wenn man die gesamten gesellschaftlichen Kosten mit einrechnet. Bei Rindfleisch betrügen diese Kosten 35 bis 56 Prozent des Preises, bei Schwein rund 20 und bei Geflügel 25 Prozent. »Addiert man dazu den Verlust an Biodiversität und den Aufwand für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten, liegen diese Kosten noch weit höher«, so die Autoren, die eine Fleisch-Steuer[3] vorschlagen. In Großbritannien wird so eine Steuer bereits diskutiert. Früher oder später werde insbesondere Rindfleisch ohnehin zum Luxusgut, prognostiziert Jais Valeur, Chef von Europas größtem Fleischverarbeiter Danish Crown. »Wir werden es essen, wenn wir uns mal etwas Gutes tun wollen.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159541.tierhaltung-in-der-klimakrise-schlechte-klimabilanz-fuer-steak-und-joghurt.html?sstr=fleisch
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1150325.fleischersatz-mit-einem-hauch-seide.html?sstr=fleischersatz
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1132575.fleischsteuer-falscher-weg-zu-mehr-qualitaet.html?sstr=fleischsteuer