nd-aktuell.de / 20.01.2022 / Politik / Seite 2

Lockdowns werden zur Rarität

Von ganz hart bis ziemlich locker: Auch der Umgang mit der Omikron-Welle ist weltweit höchst unterschiedlich

Kurt Stenger

»Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass das Land den Scheitelpunkt der vierten Welle auf nationaler Ebene überschritten hat.« Das südafrikanische Präsidentenamt hatte zum Jahreswechsel diese frohe Kunde für die Bürger parat, nachdem die Wochenzahl der Corona-Neuinfektionen um rund 30 Prozent gefallen war. Der Trend setzte sich im neuen Jahr fort. Beschränkungen wie eine Ausgangssperre sind längst wieder aufgehoben.

Auch international blicken viele Augen gespannt nach Südafrika, wo im November zuerst die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 sequenziert wurde und eine Welle damit begann. Man erhofft sich Erkenntnisse für das eigene Land, denn Omikron hat ja vielerorts das Ruder übernommen, oft mit stark steigenden Zahlen. Der aktuelle Sieben-Tage-Mittelwert neuer Fälle lag am Mittwoch weltweit mit 2,9 Millionen knapp unter dem Pandemie-Höchststand vor ein paar Tagen. Ob der Scheitel auch weltweit überschritten ist, ist bisher bestenfalls eine vage Hoffnung.

In Südafrika verlief die Entwicklung so: Genauso steil, wie die Kurve ab Mitte November nach oben schoss, begann sie Mitte Dezember wieder abzustürzen. Omikron hat so viele Mutationen, dass diese Variante ganz anders aussieht als die sich allesamt ähnelnden, früher dominierenden Virusmutanten. Daher begann in der Fachwelt eine Debatte, ob sich damit die Lage komplett ändert. Mittlerweile gibt es klare Erkenntnisse: Omikron ist noch etwas ansteckender selbst als Delta und sorgt für deutlich mehr Durchbrüche bei Geimpften und Genesenen. Gleichzeitig gibt es deutlich weniger schwere Verläufe: Eine Studie aus der besonders betroffenen südafrikanischen Provinz Gauteng mit dem Großraum Johannesburg kam zu dem Ergebnis, dass Omikron-Infizierte ein um 73 Prozent vermindertes Risiko einer schweren Erkrankung haben als Delta-Infizierte. Das wurde auch andernorts festgestellt: Eine Studie aus den USA ergab ein um 91 Prozent vermindertes Risiko, auf der Intensivstation zu landen. Die Frage ist, ob dieser relative Vorteil durch die schiere Zahl an Infektionen verloren gehen kann. Für Südafrika gilt das nicht: Eine »deutliche oder alarmierende Veränderung bei der Zahl der Krankenhauseinweisungen« habe es nicht gegeben, sagte kürzlich Präsidentschaftsminister Mondli Gungubele.

In den USA, dem Land mit den erneut höchsten Fallzahlen, war Präsident Joe Biden angetreten, Corona anders als sein Vorgänger ernsthaft entgegenzuwirken. Doch in dem Land mit seinem speziellen Freiheitsbegriff gibt es das Problem, dass staatliche Maßnahmen generell auf Ablehnung stoßen. Die Einschränkungen sind schwächer als in Deutschland. In republikanisch dominierten Staaten ohnehin, aber auch in demokratischen Hochburgen. So gibt es nicht einmal einen Zwang zum Maskentragen in Geschäften, sondern nur Empfehlungen. Angesichts hoher Fallzahlen halten sich viele Menschen aber daran, wie berichtet wird. Etwa im besonders stark betroffenen New York, wo die Fallzahlen mittlerweile aber schon zurückgehen. Bidens Devise für Omikron lautet neben der Aufforderung, sich impfen zu lassen: Testen. Doch gerade bei Antigen-Schnelltests, die zu Beginn einer Welle eine wichtige Rolle bei der Infektionserkennung spielen, gibt es große Engpässe. Dies musste der Präsident einräumen und kündigte kürzlich die Bestellung von 500 Millionen kostenloser Selbsttests für die Bürger an. Covid als »neue Normalität« anerkennen, wie es einige seiner Fachberater kürzlich forderten, will Biden indes nicht. Zusätzliche Kontaktbeschränkungen im Alltag soll es aber auch nicht geben.

Auch die sozialdemokratische Regierung Spaniens denkt etwa mit Blick auf die sehr hohe Impfquote nicht an eine Verschärfung von Maßnahmen. Zudem hat man sich von der - wegen der hohen Zahlen nicht mehr möglichen - Komplettüberwachung mit ständigen Tests und Nachverfolgung verabschiedet und setzt auf Hochrechnungen mit Stichproben einzelner Gesundheitszentren. Ministerpräsident Pedro Sánchez sorgte international für Aufsehen mit seiner Aussage, man müsse Covid-19 jetzt wie Grippe behandeln, da sich die Pandemie mit Omikron hin zur Endemie entwickle. Der Kurs von Sánchez, den vielleicht noch Großbritannien mit beschreitet, ist selbst in Spanien umstritten. Virologin Margarita del Val hält die Idee der »Grippalisierung« von Covid-19 für verfrüht. Die Omikron-Welle sei noch lange nicht vorbei.

Gleichwohl gehen auch Länder wie Dänemark, die für ihr striktes und stringentes Vorgehen bisher viel Beifall erhielten, eher entspannt durch die Omikron-Welle. Öffentlichen Alarmismus wie etwa in Deutschland sucht man vergebens. Zwar wurden zunächst einige Maßnahmen verschärft, doch ab Sonntag dürfen Zoos, Vergnügungsparks, Kinos und Theater wieder öffnen. Dabei gilt lediglich die 3G-Regel. Testen, genaue Daten und schneller Boostern ist jetzt die Devise. Der Mediziner Henrik Nielsen meint: »Wir haben hier wahrscheinlich Mitte Januar einen Höhepunkt, zumindest was die Krankenhausbelastung angeht.«

Aus der dänischen Gelassenheit spricht wohl auch Erfahrung. Australien, das lange Zeit eine rigide No-Covid-Strategie fuhr, hat es hingegen zum ersten Mal mit einer großen Covid-Welle zu tun. Premierminister Scott Morrison verkündete mit Blick auf Omikron kürzlich eine Neuausrichtung. Auch wenn manches bei Einreisen noch streng gehandhabt wird, wie der Fall Novak Djokovic zeigte, greift man nicht mehr zu den harten Komplett-Lockdowns, die teils über Monate andauerten. Selbst den recht geduldigen Aus-traliern ist das wohl nicht länger zuzumuten.

Vor diesem Problem steht auch China, das als letztes Land durch hartes Durchgreifen jeden Ausbruch zu ersticken versucht. Selbst bei wenigen Fällen werden Millionenstädte mit wochenlangen Ausgangssperren lahmgelegt und abgeschottet. Das Problem: Bislang hat die Führung in Peking noch keine Exit-Strategie erkennen lassen. Ohne diese müsste es angesichts der zunehmend schlecht wirksamen Impfstoffe lokale Lockdowns über viele Jahre hinweg geben.

Von ganz hart bis ziemlich locker ist beim weltweiten Umgang mit Omikron alles dabei, wobei Deutschland unter dem neuen Gesundheitsminister aktuell zu der Gruppe gehört, die besonders streng reagiert. Der globale Trend geht allerdings derzeit in die andere Richtung. Die entscheidende Frage lautet: Ist das verfrüht? Einzelne Mahner verweisen darauf, dass in Südafrika die Todeszahlen in den vergangenen Tagen wieder angestiegen sind. Wenngleich die Zahlen in den beiden vorherigen Wellen vier- bis fünfmal so hoch lagen - auch bei Omikron ist Covid-19 oft mehr als nur ein Schnupfen.