nd-aktuell.de / 21.01.2022 / Berlin

Ein Drittel der Spandauer Schulen geht in Wechselunterricht

Erneut scharfe Kritik am Corona-Stufenplan der Berliner Bildungsverwaltung und den unterschiedlichen Entscheidungen in den Bezirken

Rainer Rutz

Omikron hin oder her: Augen zu und durch: So lautet offenbar die aktuelle Devise für Berlins Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher. Nach der am Freitag veröffentlichten Corona-Statistik der Senatsbildungsverwaltung wird auch in der letzten Unterrichtswoche vor den Winterferien in rund 95 Prozent der Schulen am Präsenzunterricht festgehalten. Nur für 34 der gut 690 öffentlichen Schulen haben die Gesundheitsämter und Schulaufsichten der Bezirke demnach am Donnerstag bei der allwöchentlichen Einstufungsrunde für kommenden Montag einen Übergang in den Wechselunterricht verordnet. Das sind zwar 19 mehr als in der Vorwoche. Gesamt gesehen bleibt es aber nur ein kleiner Teil.

Für alle anderen 657 öffentlichen Schulen heißt es unverändert: Stufe Grün, jeden Tag volles Lernerlebnis in vollen – oder bisweilen aufgrund der vielen Infektionen eben auch leerer werdenden – Klassen. Denn wenig verwunderlich, ist in den vergangenen Tagen auch die Zahl der in den Schulen positiv auf das Coronavirus getesteten Schülerinnen und Schüler noch einmal massiv gestiegen, von rund 7600 in der Vorwoche auf – Stand Donnerstag – 14.779. Analog dazu die Entwicklung beim Personal der öffentlichen Schulen, wo die Zahl von etwa 850 infizierten Beschäftigten auf nun 1570 hochgegangen ist. Erfasst sind hier allerdings jeweils nur durch PCR-Tests bestätigte Fälle.

Die im Bezirkselternausschuss Lichtenberg aktive Berliner Linke-Abgeordnete Claudia Engelmann sagt: »Das ist doch nur noch skurril.« Die Infektionszahlen erreichen jeden Tag neue Höchststände, die Sieben-Tage-Inzidenz knackt bei den 5- bis 14-Jährigen die 3000, und dann lasse man den Betrieb bei 95 Prozent der Schulen weiterlaufen, als wäre alles in bester Ordnung: »Ich bin einfach nur schockiert«, sagt Engelmann zu »nd«.

Wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Berliner Elternvertretungen fordert auch Die Linke, dass die Kriterien transparent gemacht werden, nach denen die Gesundheitsämter und Schulaufsichten einmal pro Woche entscheiden, ob eine bestimmte Schule nach dem Corona-Stufenplan der Bildungsverwaltung auf Stufe Grün (Präsenzunterricht) oder Stufe Gelb (Wechselunterricht) gesetzt wird. »Es sieht so aus, als würde das von Bezirk zu Bezirk völlig unterschiedlich gehandhabt«, sagt Engelmann.

In der Tat ist auffällig, dass etwa in Spandau nach nd-Informationen fast ein Drittel aller Schulen im Zuge der Abstimmungsrunde der Ämter am Donnerstag auf die Stufe Gelb gesetzt wurde. 19 der fast 60 Schulen im Bezirk werden somit ab Montag den Unterricht komplett umstellen müssen auf einen Wechsel zwischen Präsenz- und Daheimbeschulung in halbierten Klassen, so Spandaus Amtsärztin Gudrun Widders zu »nd«. In der Vorwoche standen erst vier Spandauer Schulen auf Stufe Gelb.

Schon in der vergangenen Woche hatte es nach der Veröffentlichung der berlinweiten Einstufungsrunden scharfe Kritik an den hierfür zuständigen Gesundheitsämtern und Schulaufsichten gegeben. Amtsärztin Widders wehrt sich dabei gegen Vorwürfe, die Gesundheitsämter würden mit ihrer Vorgehensweise eine eigene gesundheitspolitische Agenda verfolgen. »Das ist nicht der Fall. Es geht hier nicht um eine politische Zielsetzung«, sagt Widders.

Die rund zehn Mitarbeiter des Spandauer Gesundheitsamtes, die für die Bildungseinrichtungen des Bezirks zuständig sind, würden die Infektionslage in den Schulen auch nicht einfach so nebenbei abhandeln. Widders sagt: »Da wird sehr genau geschaut und abgewogen: Kann in dieser Schule noch normal Unterricht gemacht werden oder nicht? Und wenn ich dann nicht die ganze Schule auf Gelb setzen muss, weil es nur in einzelnen Klassen Ausbrüche gibt, dann ist das für alle Schülerinnen und Schüler doch ein Gewinn.«

Linke-Politikerin Claudia Engelmann bezweifelt, dass in jedem Bezirk in dieser Form abgewogen wird. Das zeige nicht nur der Umstand, dass über die Hälfte aller in das Wechselmodell geschickten Schulen Berlins auf nur einen Bezirk entfallen, nämlich Spandau. Auch beim Blick auf die ab Montag geschlossenen Lerngruppen würden die enormen Diskrepanzen ins Auge springen: Während in Marzahn-Hellersdorf 123 Gruppen zu Hause bleiben müssen, sind es in den Hoch-Inzidenz-Bezirken Mitte und Neukölln nur 26 beziehungsweise 15.

Engelmann fordert, dass endlich eine Notbremse gezogen wird und wenigstens die Präsenzpflicht ausgesetzt wird: »Wenn nicht jetzt, wann dann? Und es gilt nicht nur, die Präsenzpflicht auszusetzen. Wir brauchen auch endlich mehr Flexibilität bei den Einstufungsprozessen. Wir sollten die Schulen selbst entscheiden lassen, ob sie im Präsenz- oder im Wechselmodell unterrichten wollen.« Angesichts der dynamischen Entwicklung sollte, so Engelmann weiter, zudem »rechtlich geprüft werden, ob die Winterferien um eine Woche verlängert werden können«. Hier sei auch der Bund gefragt.

Klar scheint zugleich, dass das Haus von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zumindest aktuell nicht von seiner Linie abzubringen ist. So gab es dann auch auf einen am Donnerstag von elf der zwölf Bezirkselternausschüsse unterzeichneten Offenen Brief an Busse und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bislang keinerlei adäquate Reaktionen, berichtet Claudia Engelmann.

Die Kommunikation der Bildungsverwaltung zu den aktuellen Infektionszahlen sei darauf ausgelegt, die Situation an den Schulen zu verharmlosen, heißt es in dem Schreiben. Zu den Einstufungen der Schulen nach dem Corona-Stufenplan stellen die Elternvertretungen zudem fest: »Das ist für niemanden mehr nachvollziehbar.« Ein Sprecher der Bildungsverwaltung teilt zu dem Brief mit: »Wir nehmen die Sorgen der Eltern ernst. Doch mit den regemäßigen Testungen, mit dem Stufenplan und mit Hilfe unbürokratischer Absprachen mit der Schulaufsicht können wir den wichtigen Präsenzunterricht absichern.«

Der Corona-Stufenplan für die Schulen ist zum Anfang des Schuljahres in Kraft getreten. Neben den Stufen Grün und Gelb sieht er theoretisch auch noch die Stufe Rot vor, bei der die Schulen komplett in den Distanzunterricht gehen, also de facto »geschlossen« werden. Ein Wechsel der Schulen in die Stufe Rot kann aber nur vom Land Berlin oder dem Bund beschlossen werden. Sowohl Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse als auch die Regierende Franziska Giffey haben in dieser Frage jedoch wiederholt deutlich gemacht, dass mit ihnen »Schulschließungen«, also ebenjene Stufe Rot, nicht zu machen sind.

Gleiches gilt für die geforderte Aussetzung der Präsenzpflicht. Die Linke steht hier im Abgeordnetenhaus und im rot-grün-roten Senat auch allein auf weiter Flur. So sieht neben der SPD auch der zweite Koalitionspartner »momentan« keinen Grund, »dass man an die Präsenzpflicht ran muss«, wie die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Marianne Burkert-Eulitz, erklärt. Auch bei der Kritik am Stufenplan gehen die Grünen nicht mit. Berlin sei durch das Ampelsystem des von der Bildungsverwaltung vorgelegten Stufenplans gut aufgestellt, um die Situation an den einzelnen Schulen einschätzen zu können, so Burkert-Eulitz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.