nd-aktuell.de / 25.01.2022 / Kommentare / Seite 9

Schluss mit der Obdachlosigkeit

Das ambitionierte Ziel der Beendigung der Wohnungslosigkeit, kann nur erreicht werden, wenn alle an einem Strang ziehen - ein Kommentar

Martin Kröger

Obdachlosigkeit ist in Berlin[1] nicht zu übersehen. Jüngst sind mir zwei, drei Menschen aufgefallen, die ihre Betten auf dem »Prachtboulevard« Unter den Linden in Hauseingängen aufgeschlagen hatten. Notdürftige, unwürdige Schlafplätze bei dieser Kälte gibt es unter Brücken, in Hauseingängen oder in Ruinen. Im Hinterhof meines Hauses lebte in einer Art Schuppen einige Jahre ein Mann, der sein Geld mit eifrigem Flaschensammeln verdiente. Horst, wie ich ihn hier nennen möchte, war meistens bereits vor Sonnenaufgang unterwegs, um die Hinterlassenschaften der Nachtschwärmerinnen und Nachtschwärmer in unserem Kiez aufzulesen. Sein klappernder und klirrender Einkaufswagen war gegen 8 Uhr morgens, wenn andere zur Arbeit gingen, bereits randvoll mit Bier- und Pet-Flaschen gefüllt. Dass Horst im Hinterhof wohnte, wurde von den Nachbarinnen und Nachbarn unterstützt, auch die Hausverwaltung tolerierte es und wusste Bescheid. Ebenfalls durch deren solidarische Unterstützung hat Horst nun endlich eine Wohnung erhalten, er muss nicht mehr im Schuppen schlafen.

Eine Wohnung zu bekommen ist der Schlüssel, um aus der Obdachlosigkeit, aber auch aus der noch verbreiteten Wohnungslosigkeit zu gelangen. Denn in Berlin leben ja nicht nur einige Tausend Menschen auf der Straße, sondern auch Zehntausende in Heimen und Gemeinschaftsunterkünften. Eigentlich hätten sie wie viele Geflüchtete beispielsweise nach Abschluss ihrer Asylverfahren Anspruch auf eine Wohnung. Nur finden die zuständigen Bezirke keine, weil der Markt so angespannt ist. Die immer weiter steigenden Mieten für neue Wohnungen dürften dieses Problem verschärfen.

Das hatte bereits der letzte Senat erkannt, der einiges an Maßnahmen in die Wege leitete, um diese sozialen Missstände abzustellen. Nicht zuletzt mit dem Pilotprojekt »Housing First« wurde gezeigt, wie sinnvoll es ist, Menschen ohne Vorbedingungen erst mal ein Zuhause zur Verfügung zu stellen. Das Ziel, Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden[2], wird nur zu erreichen sein, wenn wie bei Horst Behörden und solidarische Nachbarinnen und Nachbarn zusammen an einem Strang ziehen. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die es anzupacken gilt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160714.obdachlosenhilfe-in-berlin-warmes-gegen-die-kaelte.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160216.berliner-sozialsenatorin-katja-kipping-ich-bin-wild-entschlossen.html