nd-aktuell.de / 31.01.2022 / Berlin / Seite 9

Bündnis für Neubau trifft sich

Vertreter der Wohnungswirtschaft und Mieterorganisationen folgten einer Senatseinladung ins Rote Rathaus

Martin Kröger

Bereits vor Beginn des Auftakttreffens des neuen »Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbaren Wohnraum« am Freitagmorgen in Berlin gibt es Proteste. Vor dem Roten Rathaus erklärten Aktivistinnen und Aktivisten des erfolgreichen Volksentscheides Deutsche Wohnen & Co enteignen bei einer Kundgebung ihren Unmut darüber, dass der Senat bislang nicht das Gespräch mit ihnen gesucht habe. Zur Erinnerung: Über eine Million Berlinerinnen und Berliner hatten am 26. September für die Vergesellschaftung[1] großer privater Wohnungskonzerne in Berlin gestimmt, die jeweils mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen. »Wir werden nicht zulassen, dass unser Volksentscheid in Geisel-Haft genommen wird«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative, mit Blick auf Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD). Die Initiative fordert, dass sie ein Mitspracherecht bei der zu gründende Expert*innenkommission für den Volksentscheid habe. Taheri erklärte: »Außerdem muss die Enteignungskommission im Sinne des Volksentscheids handeln, nicht als verlängerter Arm von Herrn Geisel und seinen Freunden aus der Baubranche.«

Während draußen protestiert wurde, traf sich am Freitag zum ersten Mal das »Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbaren Wohnraum«. Zu diesem Treffen hatte der Senat Vertreter*innen der öffentlichen und privaten Wohnungswirtschaft geladen, aber auch den Berliner Mieterverein sowie die Bauwirtschaft. Mit in der Runde vertreten waren unter anderem berüchtigte private Konzerne wie Heimstaden[2] und Vonovia, über die immer wieder kritisch berichtet wird.

»Ich habe versprochen, dass ich den Wohnungsbau zur Chefinnensache mache«, erklärte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Nach dem Vorbild Hamburgs[3] will Rot-Grün-Rot den Neubau von Wohnungen voranbringen. Ziel ist es, in dieser Legislatur 20 000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, davon sollen 5000 als sozialer Wohnungsbau gefördert werden. »Wir wollen die Berliner Mischung in der Stadt erhalten, wir wollen Bestandsmieten erhalten«, erklärte Giffey.

Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) zeigte sich im Anschluss an die Zusammenkunft zuversichtlich: »Es geht darum, bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu schaffen, und den vorhandenen bezahlbaren Wohnraum zu halten.« Der eigentliche »Lackmustest«, ob das Bündnis funktioniere, stehe noch aus, räumte der Stadtentwicklungssenator ein. Zumindest beim Problembewusstsein scheint es Einigkeit unter der sehr heterogenen Gesellschaft gegeben zu haben. »In der Analyse waren wir uns einig: Der Berliner Wohnungsmarkt ist außerordentlich angespannt«, erklärte Geisel. Zwar liegen die Durchschnittsmieten in Berlin mit 6,79 Euro pro Quadratmeter, aber die Angebotsmieten liegen im Schnitt erst bei 10,80 Euro. Heißt: »In dem Moment, wo sie eine Wohnung suchen, haben sie ein Problem«, weiß auch der SPD-Politiker.

Üblich sind sogar teure Angebotsmieten von 14 bis 18 Euro pro Quadratmeter. Und bei einer sehr geringen Leerstandsquote von nut 1,5 Prozent gibt es ohnehin kaum verfügbaren Wohnraum. Das wollen die neuen Bündnispartner nun unter anderem mit einer Beschleunigung des Neubaus ändern. Der Stadtentwicklungssenator schaut sich dafür die aktuell vorliegenden 66 000 Baugenehmigungen für Wohnungen an, von denen 38 000 planmäßig vorankommen. Es geht darum, die Gründe zu eruieren, die dazu führen, dass die weiteren 28 000 Wohnungen trotz Genehmigung nicht gebaut werden. Künftig will Rot-Grün-Rot – ebenfalls nach Hamburger Vorbild – eine Senatskommission einsetzen, die sich konkret Bauprojekte vornimmt, bei denen es Probleme gibt und die nicht schnell genug fertig werden.

Trotz einer gemeinsamen Problemanalyse konnte sich die Runde im Roten Rathaus am Freitag nicht auf eine gemeinsame Erklärung verständigen. Ein entsprechendes Papier war im Vorfeld verfasst worden, »nd« liegt ein entsprechender Entwurf mit fünf Punkten auf zwei Seiten zwar vor , aber gemeinsam beschlossen wurde dieser nicht. Auf Nachfrage spielte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey dies als normalen Vorgang herunter. »Wir haben zu einer Auftaktsitzung eingeladen, um uns zu vergewissern: Was ist der Sinn des Bündnisses und was wollen wir tun?« In der Sitzung habe sich dann Gesprächsbedarf gezeigt. »Es gab andere, die haben gesagt, sie wollen noch ein paar Punkte einbringen«, so Giffey. Bis zum nächsten Treffen des Bündnisses in drei Wochen soll eine kleine Redaktionsgruppe die Ergänzungen vornehmen. »Wenn schon alles fertig wäre, dann bräuchten wir uns ja nicht treffen«, zeigte sich die Regierende auf Nachfragen angefasst.

Die ganz große Bündnisabsprache über Zielzahlen und welchen Beitrag welche oder welcher Bündnispartnerin oder Bündnispartner leistet soll im Juni dieses Jahres stehen. Auf der Auftaktsitzung verständigte man sich zudem auf die Einsetzung von drei Arbeitsgruppen, die die Felder Wohnungsneubau/Modernisierung, Mieterschutz und Mietenentwicklung sowie, drittens, architektonische Qualität kümmern soll. Klar ist, Rot-Grün-Rot geht es nicht nur um eine mengenmäßige Steigerung der fertiggestellten Wohnungen, sondern auch um qualitatives Bauen.

Dass es grundsätzlich um die Schaffung bezahlbaren Wohnraumes geht, hätten die Privaten verstanden, behauptete Giffey am Freitag. Und: »Ich habe gerade diese Akteure als sehr konstruktiv erlebt«, sagte sie im Hinblick auf die Unternehmen, die selber vom Enteignungs-Volksentscheid betroffen wären. Für Giffey steht dann auch vor allem die »positive Nachricht« im Vordergrund: »Die Gründung des Wohnungsbündnisses, das wir versprochen haben, ist in den ersten fünf Wochen erfolgt.« Ob der neue Zusammenschluss am Ende tatsächlich hilft, wird sich erst noch zeigen müssen.

Transparenzhinweis: Rouzbeh Taheri ist Verlagsleiter der nd.Genossenschaft eG

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157008.deutsche-wohnen-co-enteignen-berlin-stimmt-fuer-vergesellschaftung.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160187.mietenwahnsinn-bei-heimstaden-wirdrs-kalt.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160810.mietenwahnsinn-in-berlin-hamburg-taugt-nur-bedingt-als-vorbild.html