nd-aktuell.de / 22.02.2022 / Kommentare / Seite 8

Rettungsmission für biologische Vielfalt

Der Verlust der Biodiversität ist eins der größten Risiken für unseren Planeten, meint Jan-Niclas Gesenhues.

Jan-Niclas Gesenhues

Wir alle kennen diese Momente in der Politik, die sich einbrennen. Für mich war ein solcher Moment, als der französische Außenminister Laurent Fabius auf der UN-Klimakonferenz 2015 bekanntgab, dass das Pariser Klimaabkommen verabschiedet wurde. Auch wenn seitdem in der internationalen Klimapolitik nicht genug passiert ist, so war dieser Moment doch ein Wendepunkt in der klimapolitischen Diskussion. Die Klimakrise rückte nach oben auf der politischen Agenda.

Es ist nun wieder an der Zeit für einen Paris-Moment. Für einen Paris-Moment für die biologische Vielfalt weltweit. Für Artenvielfalt, den Schutz der Ökosysteme und der genetischen Vielfalt in der Natur. Denn Naturschützer*innen von der lokalen bis zur globalen Ebene beschreiben ihre Arbeit immer öfter mit Aussagen wie: »Mit Blick auf die Artenvielfalt verwalten wir eigentlich nur noch den Niedergang.« Ein Satz, der bei mir Druck auf der Brust auslöst. Denn beim Verlust der biologischen Vielfalt überschreiten wir die planetaren Belastungsgrenzen massiv, wahrscheinlich sogar noch stärker als bei der Klimakrise. Und so nennen nicht nur Umweltverbände, sondern sogar das Weltwirtschaftsforum den Verlust der Biodiversität als eins der größten Risiken für unseren Planeten.

Es geht um nichts weniger als um das sensible, weltumspannende Netz der Arten und Ökosysteme. Es ist dieses ökologische »Netz des Lebens«, das jeden Tag auch uns - Milliarden Menschen - mit sauberer Luft, sauberem Wasser, Lebensmitteln, Arznei, Baustoffen und vielem mehr versorgt. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes unsere Lebensgrundlage. Dieses Netz ist durch die Einwirkungen des Menschen akut bedroht und wird immer brüchiger. Mindestens 150 Arten sterben pro Tag aus, eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Ökosysteme werden durch Versiegelung, Rodung, Schadstoffe, Pestizide, Übernutzung oder Klimawandel zerstört. Das Schlimme dabei: Dies ist kein kontinuierlicher Prozess, sondern er verläuft in Sprüngen. Viele kennen das Konzept der Kipppunkte von der Klimakrise. Auch bei der Biodiversität ist es so: Der Zustand eines Ökosystems wird langsam immer schlechter und dann, auf einen Schlag, kippt das ganze System - Regenwald wird zu Savanne, Grünland zu Wüste und die biologische Vielfalt bricht zusammen.

Doch es gibt Hoffnung: Wir haben die Chance auf einen Paris-Moment für die Biodiversität. Denn dieses Jahr findet im chinesischen Kunming die UN-Biodiversitätskonferenz[1] statt. Dort soll ein neues globales Rahmenabkommen für den Schutz der weltweiten biologischen Vielfalt verabschiedet werden. Dabei geht es um viele verschiedene Zielformulierungen für Landnutzung, den Abbau umweltschädlicher Subventionen, weniger Pestizideinsatz und ökosystemspezifische Entwicklungsziele. Heraus sticht das Ziel im Entwurf des Abkommenstextes, bis zum Ende dieses Jahrzehnts 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Dies bedeutet nicht, dass diese Flächen gar nicht mehr genutzt werden sollen; die Nutzung muss aber naturangepasst ablaufen. Zudem geht es um die Finanzierung des globalen Naturschutzes - Wissenschaftler*innen sprechen von einem Bedarf von 700 Milliarden Euro pro Jahr. Es braucht zudem klare Verpflichtungen für die Beteiligung und die Wahrung der Rechte indigener Gemeinschaften und der Bevölkerung vor Ort in den Schutzgebieten. Natürlich muss ein solches Abkommen nicht zuletzt wirksame Regelungen für die Überprüfung und Umsetzung durch die Vertragsstaaten beinhalten.

Für das globale Netz des Lebens ist es entscheidend, dass wir diese Chance in Kunming nutzen. Ich werde dafür aus dem Bundestag heraus meinen Beitrag leisten und unsere Bundesregierung ist fest entschlossen, einen ambitionierten Beitrag zum globalen Biodiversitätsschutz zu leisten. So will sie für ein wirksames globales Rahmenabkommen eintreten und den globalen Naturschutz finanziell besser ausstatten. Auch an der Ausweisung weiterer Schutzgebiete in enger Zusammenarbeit mit den Partnerländern weltweit wird sie sich beteiligen. Es braucht mehr internationale Zusammenarbeit für den Schutz unserer Lebensgrundlagen, auch im Interesse unserer eigenen Sicherheit - für eine intakte Natur und ein freies, sicheres Leben nachfolgender Generationen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161255.naturschutzgebiete-hunger-durch-naturschutz.html