Sie machte sich die Welt verfügbar

Hannah Höch war mehr als die Grande Dame des Dadaismus - eine Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Abermillionen Anschauungen« lautet der Titel der Hannah-Höch-Ausstellung im Bröhan-Museum. Er ist einem Gedicht der Künstlerin entnommen, in dem sie für die Vielfalt - auch künstlerischer - Meinungen plädiert. Ihr Werk selbst weist eine Ungezwungenheit und Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen und Stile auf. Sie war die Grande Dame des Dadaismus und hat mit ihren Montagen in der Tat ein bedeutendes kritisches, fantastisches, groteskes und ironisches Spektrum an Themen und Stilen geschaffen, das sie auch auf andere Medien - etwa die Ölmalerei - übertrug. Sie war die einzige Frau unter den rebellierenden Berliner Dadaisten, die nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1918, ihre Umwelt mit Bildern und Aktionen provozierten. Das künstlerische Prinzip der Collagistin und Fotomonteurin war der Schnitt, ihr Handwerkszeug die Schere. Sie zerschnitt, zerstörte und ordnete die Teile neu. Beim Betrachten ihrer Werke hat man oft den Eindruck, es handle sich um gemalte Fotomontagen.

Seit 1916 fertigte Hannah Höch Puppen in grotesk-abstrakter Kostümierung an. In fotografischen Selbstdarstellungen sieht man sie Auge in Auge mit ihren Puppen. In der Puppe verkörperte sie ein schwereloses, heiteres und zerbrechliches Abbild ihrer selbst. Zugleich allegorisierte sie diese für die verdinglichte Existenz des Menschen, im Speziellen der Frau. Beispielsweise in »Die Braut« (1924/27): eine Kindsbraut mit aufgesetztem, ängstlich blickendem Puppenkopf an der Seite eines geschniegelten Lackaffen. Das Mädchen wird in eine konventionelle Ehe gezwungen, die sie umwirbelnden Symbole verheißen wenig Gutes. Das Paar steht auf einem Sockel, zu einem Denkmal erstarrt.

Die Realität war für Hannah Höch das Dickicht der Dingwelt, deren Entfesselung sie in ihren Montagen vergegenwärtigte. Nicht Dämonisierung, sondern Bannung durch Ironie war ihr Darstellungsziel. Einige Meisterwerke der Dada-Zeit wie die »Dada-Rundschau« (1919), die wie eine in sich verschachtelte Polit-Groteske anmutet, »Mechanischer Garten« (1920) oder »Die Journalisten« (1925) konnten wegen ihrer Fragilität nicht den Weg ins Bröhan-Museum antreten.

Auch nicht die berühmte Fotomontage »Schnitt mit dem Küchenmesser durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« (1919/20). Hier hatte Hannah Höch das Chaos der Zeit als ein dadaistisches Kaleidoskop der Prominenz aus kriegslüsternem Militär, Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft und Sport montiert. Rund 50 Personen erscheinen im Bild - als Kopf oder kopflos, die Köpfe versetzt, die Körper vertauscht; jede Person verzerrt, entstellt, karikiert, verfremdet, verwandelt.

Dafür sind in der Berliner Ausstellung viele andere, weniger bekannte Arbeiten zu sehen - bitterböse Visionen, Bildwelten, die ein magisches Eigenleben entfalten. Mal in konstruktiver Abstraktion, mal dem Surrealismus verhaftet. »Symbolische Landschaften« beschwören eine fantastische Welt mit Hintersinn. Im Stillleben »Kubus (oder: vom Menschen aus)« aus dem Jahr 1926 ist ein prismatisch gebrochenes Gesicht zwischen eine funktionslos gewordene, wucherndes Eigenleben führende Technik-Welt und deren unheimliches Gegenwelt in der organischen Natur. Dagegen scheint »Der Zaun« (1927/28) eine friedliche, geschützte Familienidylle wiederzugeben. Alle Teile der Szenerie sind auf stereometrischen Elementen wie aus einem Baukasten errichtet - eine künstliche Sterilität erzeugend.

Die spannungsreichen Kontraste zwischen Natur und Technik, organischer und mechanischer Form, Pflanze und Maschine, Mann und Frau, realer Außenwelt und Bewusstseinslandschaft bestimmen in den unterschiedlichsten Varianten die Bildsymbolik bei Hannah Höch. »Flucht« (1931) zeigt eine maskierte Gestalt, in ihrem Lauf von der Erde weg irgendwohin wie gelähmt, verfolgt von einem vogelartigen Wesen, das die Gesichtszüge Hitlers trägt. Hat sich Höch mit Emigrationsplänen getragen?

In der NS-Zeit lebte die Künstlerin in tiefer Abgeschlossenheit. Die Diffamierung als »Kulturbolschewistin« kam einem Berufsverbot gleich. Bilder wie »Wilder Aufbruch« (1933), »Der Sturm« (1935), »Angst« (1936), »Resignation« (1938), »Weltbrand« (um 1942) und »Trauernde Frauen« (1945) vermitteln schon im Titel Überzeugungen.

Ist in ihrem Spätwerk dann vieles nur noch Reprise, ob collagiert oder gemalt? Wie die Eule die geschundene Erde durch ein Vergrößerungsglas betrachtet (»Eule mit Lupe«, 1945), so beobachtet Höch fasziniert die Welt im Kleinen wie im Großen, den vielfach vergrößerten Wassertropfen ebenso wie die Erschließung des Weltraums oder die gleißende, Leben spendende, aber auch Tod bringende »Sonne« (1968). Ihre Arbeiten in der unmittelbaren Nachkriegszeit gleichen lyrischen Abstraktionen. In den 60er Jahren, als ihre Wiederentdeckung durch die Kunstwelt weltweit einsetzte, ließ sich Hannah in Klebebildern von der Pop Art inspirieren. An ihre Arbeit »New York« aus der Dada-Zeit knüpfte sie in »Impression. Stadt« (1959) an: Die Menschen sind nur Schatten inmitten frontal aufragender Hochhäuser. In filigraner Kleinteiligkeit erscheint dann wieder die konstruktive, informell anmutende »Industrielandschaft« (1967). Den »Maschinengewächsen« der 1920er Jahre schließen sich »Garten« (1948) oder »Synthetische Blumen (Propellerdisteln)« (1952) an, keine Naturidyllen, sondern Horrorvisionen einer bedrohten Welt. »Einblicke ins Nichts« (1948) oder »Angst« (1970) geben ihrer Sorge Ausdruck, wohin die Menschheit denn wohl steuern werde.

Fantasie, gepaart mit Intelligenz, Witz und Ironie - hierin liegt die Faszination dieser großen Künstlerin der klassischen Moderne, deren Dada-Zeit heute wieder in aller Munde ist, während ihr späteres Werk weithin unbekannt blieb oder vergessen wurde. Hier Abhilfe zu leisten, bietet die Ausstellung mit der Betonung des Gesamtschaffens von Hannah Höch einen wesentlichen Beitrag.

Hannah Höch - Abermillionen Anschauungen. Bröhan-Museum, 14059 Berlin, Schloßstr. 1a, Di - So 10 - 18 Uhr, bis 15. Mai 2022. Katalog (Wienand Verlag, 28 €).

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