• Kultur
  • Hannes Wader und Ukraine-Krieg

Lasst uns in Frieden (6): Es ist an der Zeit

Hannes Waders Lied »Es ist an der Zeit« avancierte rasch zu einer zeitlosen Hymne der Friedensbewegung.

  • Alfons Huckebrink
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem Liedermacher Hannes Wader gelangen veritable Ohrwürmer. »Es ist an der Zeit«, 1980 auf dem gleichnamigen Album erschienen, avancierte rasch zu einer zeitlosen Hymne der Friedensbewegung.

Zu Beginn evoziert der Text eine idyllisch anmutende Landschaft im Norden Frankreichs. Es ist jedoch eine Friedhofsgegend, Ergebnis verheerender Massenschlachten im Ersten Weltkrieg: »Weit in der Champagne im Mittsommergrün, / dort, wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh’n.« Urlauber fahren daran vorbei. Die, die sich Zeit nehmen zum Gedenken, gehen wohl erschüttert, zudem sprachlos über weite, mit schmucklosen Holzkreuzen bestückte Flächen, in denen die Gebeine Zigtausender junger Männer liegen. Viele wurden direkt von der Schulbank ins Gemetzel geworfen.

Der 1. Juli 1916 ist der blutigste Tag der britischen Militärgeschichte: An der Somme verliert die Armee 54 470 Soldaten, davon werden 19 240 getötet. Mit »Remembrance Poppies«, roten Mohnblumen aus Papier, wird bis heute die Erinnerung an »the great fallen« wachgehalten.

Einem dieser Toten setzt Waders Lied ein Denkmal. Das Original heißt »No Man’s Land«, 1976 geschrieben und gesungen von Eric Bogle, nachdem der schottisch-australische Liedermacher die Militärfriedhöfe in Flandern und Nordfrankreich besucht hatte. Wader geht mit dem Original freizügig um. Singt Bogle vom Tod des 19-jährigen Soldaten Willie McBride, bleibt der tote Soldat bei Wader namenlos. Sein Text imaginiert ein Schicksal und legt dabei die Mechanismen bloß, die das Sterben befördern: »Soldat, gingst du gläubig und gern in den Tod? / Oder hast du, verzweifelt, verbittert, verroht, / deinen wirklichen Feind nicht erkannt bis zum Schluss?« Zum Höhepunkt treiben diese Fragen zu den bitteren Erkenntnissen des Refrains: »Ja, auch dich haben sie schon genauso belogen, / so wie sie es mit uns heute immer noch tun.« Ein Moment voller Klarheit und Wahrheit. Die Pronomina »dich« und »uns« sind die emotionale Brücke. Mir kommen beim Hören stets die Tränen. Es ist kaum auszuhalten. Diese entsetzliche Vergeudung von Leben, die nicht beendet ist.

Bis heute verdienen Menschen am Krieg. In Moskau wie in München. Ihnen müssen Menschenleben gleichgültig sein, weil der Tod ihr Geschäft ist. Der Erste Weltkrieg begann mit der Bewilligung von Kriegskrediten. An die aufgeheizte Situation von 1914 dachte ich, als am letzten Sonntag im Februar der Bundestag zusammentrat und wie nebenbei die Schaffung eines »Sondervermögens« für die Aufrüstung der Bundeswehr sowie die Waffenbelieferung der Ukraine auf den Weg brachte. Von der deutschen Sonderrolle zum Sondervermögen zum Sondereinsatz?

Die Militarisierung der Politik wurde in Angriff genommen. Nach einem fix aus 5000 Helmen gezauberten Plan. Ein echter Coup. Am Tag danach retteten Rüstungswerte den Dax. Was ist eine »wertebasierte Außenpolitik«? Mehr Waffen, mehr Blutvergießen, mehr Profit. »Ich hoffe, es traf dich ein sauberer Schuss. / Oder hat ein Geschoss dir die Glieder zerfetzt? / Hast du nach deiner Mutter geschrien bis zuletzt, / bist du auf deinen Beinstümpfen weitergerannt, / und dein Grab, birgt es mehr als ein Bein, eine Hand?«

2003 sangen Hannes Wader, Konstantin Wecker und Reinhard Mey zusammen »Es ist an der Zeit« gegen den Irak-Krieg. Ein Affront, dass gerade diese Hymne 2005 von einem rechtradikalen Lautenschläger gecovert wurde. »Ein Stiefeltritt ins Gesicht: Neonazis singen meine Lieder«, kommentiert Wader in der Autobiografie »Trotz alledem«. Sein Lied klingt aus in der Hoffnung, dass künftige Kriege zu verhindern sind. Bogles Original endet pessimistisch: »The killing and dying, were all done in vain / For young Willie McBride, it all happened again / And again, and again, and again, and again.«

Nach der Bundestagssitzung bejubelten die meisten Medien die von Kanzler Scholz verkündete »Zeitenwende« als das »Ende der Zurückhaltung«. Eine verstörende Diktion. Womit hat man sich bislang zurückgehalten? »Eine der besten Armeen Europas« soll es werden. Gehören Atomwaffen bald zum Mix? Für die wahre Zeitenwende müssen wir aufstehen. Warum nicht wieder singen?

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal