nd-aktuell.de / 25.03.2022 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

»Das passt nicht zusammen«

Bund und Ost-Länder sind weiter uneins über schnelleren Kohleausstieg

Hendrik Lasch

Im Haus von Robert Habeck beginnt man zu prüfen, ob Ideal und Möglichkeit in Übereinstimmung zu bringen sind. »Idealerweise« bis 2030 und damit acht Jahre früher als bislang geplant solle Deutschland aus der Braunkohle aussteigen - so steht es im Koalitionsvertrag des Berliner Ampel-Bündnisses. Im Bundeswirtschaftsministerium starte man jetzt mit der wissenschaftlich-technischen Prüfung der Machbarkeit und erarbeite eine entsprechende Studie, sagte Ressortchef Habeck. Es gelte zu klären, wie trotz dieser Beschleunigung die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt, welche Reservekapazitäten vorzuhalten seien und ob der Ausbau der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen im nötigen Tempo erfolgen kann, erläuterte der Grünen-Politiker nach einem Treffen mit den Regierungschefs der drei ostdeutschen Kohleländer Brandenburg[1], Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Diese haben weiter große Vorbehalte gegen den vorgezogenen Ausstieg. »Wir sehen das kritisch«, sagte Reiner Haseloff, der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Er warnte, dass die abrupte Revision des erst vor drei Jahren nach schwierigen Verhandlungen in einer Kohlekommission besiegelten Ausstiegsdatums zu großen gesellschaftlichen Konflikten führen könne. Sein sächsischer Amtskollege und Parteifreund Michael Kretschmer warf der Berliner Koalition vor, sie habe den auf Konsens gerichteten Kurs der Vorgängerregierung aus Union und SPD bei Atom- und Kohleausstieg »ein Stück weit aufgekündigt«.

Habeck stellte freilich klar, dass es zu einem vorgezogenen Ausstieg keine Alternative gebe - auch aufgrund weiterer Entscheidungen der Großen Koalition. Die habe nicht nur geregelt, dass die Braunkohlekraftwerke bis 2038 laufen sollten, sondern auch ein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht, das strikte Minderungsziele bei Treibhausgasen schon bis 2030 vorsehe. »Beide Gesetze passen nicht zusammen«, sagte er. Es sei seine Aufgabe als Minister, das Dilemma zu lösen.

Einigkeit besteht zwischen dem Bund und den drei Ländern darin, dass eine Beschleunigung des Kohleausstiegs auch erheblich mehr Tempo beim Strukturwandel[2] bedeutet. Dabei gehe es vor allem um die Schaffung von Jobs in der Industrie. Neue Arbeitsplätze seien »das A und O«, sagte Kretschmer. Auch Habeck betonte, man sei »schlau beraten, wenn die neuen Arbeitsplätze da sind, bevor die alten verschwinden«.

Dazu müssen nach Ansicht der Länder freilich drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es braucht mehr Geld, eine Überarbeitung der Regularien für den Strukturwandel sowie gesetzliche Rahmenbedingungen, um etwa Infrastruktur oder Windräder schneller als bisher bauen zu können. Brandenburgs SPD-Regierungschef Dietmar Woidtke pochte auf »weitere Mittel für die Strukturstärkung«, immerhin sorge die Entscheidung der Berliner Koalition dafür, dass sich der Zeitraum für den Ausstieg von 16 auf acht Jahre halbiere. Bisher hat der Bund 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel im Lausitzer, dem Mitteldeutschen und dem Rheinischen Revier bereitgestellt. Den größten Teil investiert er selbst, zudem werden Projekte durch Länder und Kommunen finanziert.

Wie das bisher geschieht, hatte freilich für viel Kritik gesorgt. Gefördert werden Vorhaben wie Radwege oder Kitasanierungen, die kaum für neue Jobs sorgen. Das liegt vor allem an den Förderregeln. Sie seien teils »nicht geeignet«, um eine wirtschaftliche Transformation zu ermöglichen, kritisierte Kretschmer und forderte ein »Nachsteuern«. Er betonte, er sehe in Habeck dabei einen »Verbündeten«. Auch Sachsens stellvertretende DGB-Vorsitzende Daniela Kolbe, die schon länger einen »Neustart« beim Strukturwandel fordert, betonte am Mittwoch erneut, die dafür vorgesehenen Gelder müssten »strategischer, zielorientierter und flexibler für die Schaffung von gut bezahlten, tarifgebundenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden«.

Einig sind sich Habeck und die Regierungschefs auch darin, dass Regularien für Genehmigung und Bau von Großprojekten in Deutschland verändert werden müssen. In Brandenburg dauere etwa die Errichtung eines Windrades fünf bis sieben Jahre. Wenn es dabei bleibe, werde es »nicht möglich sein«, das Ziel eines Kohleausstiegs 2030 zu erreichen, sagte Woidtke. Dieser sei, wie Habeck zuvor betont hatte, »daran gebunden, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien hinkriegen«. Die drei Ostländer müsse er dazu nicht ermahnen, entgegnete Haseloff: »Wir sind die Länder der Erneuerbaren. Andere im Westen und im Süden müssen aufwachen.«

Tatsächlich sind in Sachsen-Anhalt schon 78 Prozent der Stromproduktion grün. In Sachsen liegt der Wert freilich erst bei 39 Prozent. Dort wurde 2021 nur ein Windrad errichtet. Für 61 Prozent der Stromproduktion wurde Braunkohle verfeuert.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162238.energiewende-als-schwarze-pumpe-ein-gasthof-war.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160891.daniela-kolbe-und-kohlereviere-in-sachsen-dgb-landesvize-es-fehlt-der-blick-fuer-das-grosse-ganze.html