nd-aktuell.de / 25.03.2022 / Kultur / Seite 12

Allein machen sie dich ein

Plattenbau. Die CD der Woche: »Nur noch einer« von DAF

Jens Buchholz

Das neue DAF-Album »Nur noch einer« ist schlecht. Es ist nicht sexy. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, vor langer Zeit, zwischen 1980 und 1983 waren DAF die sexiest Band alive.

Brachiale schwule Ledererotik, Gabi Delgado-López[1]’ gestöhnte Provokationen, begleitet von disharmonischen Synthiesoundpads und Robert Görls Präzisionsschlagzeug. Man wollte in Ohnmacht fallen vor erotisch-politischer Überforderung beim Hören von Hits wie »Der Mussolini« oder »Der Räuber und der Prinz«. Schwüle Bohrungen in das finstere Herz der Popfans der frühen Achtziger. »Geh in die Knie, klatsch in die Hände, beweg deine Hüften und tanz den Mussolini«. Und den Adolf Hitler und den Jesus Christus und auch den Kommunismus.

Sie sangen von einem »schönen jungen Prinzen« , der sich im Wald verirrte und von den Räubern gepackt wird: »Ich liebe diesen Prinzen, ich liebe dich, mein Räuber«. Und dann die Parolen in ihren anderen Songs: Die Jugend verschwenden? Sei schön und jung und stark? Kinder sind grausam? Sex unter Wasser? Trägst du deinen Körper, steht die alles, was du trägst? DAF balancierten immer auf einem schmalen Grat zwischen einer machohaften faschistischen Ästhetik und ihrer Ironisierung. Ähnlich wie Rammstein es heute tun, nur besser.

DAF starteten 1979 mit zwei Alben, auf denen hauptsächlich Lärm oder seltsame Geräusche zu hören sind. Damals waren sie noch kein Duo, sondern eine Band, unter anderem mit Kurt »Pyrolator« Dahlke[2] und Chrislo Haas, der später mit der Band Liaisons Dangereuses Erfolg hatte. Erst als die Besetzung auf Görl und López eingeschrumpft war, kreierten die beiden mit dem damaligen Starproduzenten Conny Plank ihren Signatursound. Die 1981 veröffentlichten Alben »Alles ist gut« und »Gold und Liebe« sind mit dem 82er Album »Für immer« das Beste, was sie jemals gemacht haben.

Trotz Trennung 1982 taten sich die beiden 1986 noch einmal zusammen und nahmen das englischsprachige Album »1st Step to Heaven« auf, das damals keiner hören wollte. Dabei ist das eine auch noch aus heutiger Sicht sehr moderne Dance-Platte, die klingt wie ein DJ-Set und sich - wenig überraschend - hauptsächlich um Sex dreht. 1987 folgte mit der Single »The Gun« ein letztes Meisterwerk. Der dynamische Track wird heute oft als erste House-Platte bezeichnet. Görl war daran nicht beteiligt. Delgado hatte sich für die Aufnahme mit Klaus Jahnkun zusammengetan. Die DAF-Magie wirkte trotzdem. Danach nicht mehr.

Als 2001 Jürgen Teipel den DAF-Song »Verschwende deine Jugend« zum Titel seines sehr erfolgreichen »Dokuromans« über die frühe Neue Deutsche Welle machte, wollten Delgado und Görl auch ein Stück vom Kuchen haben. Sie ließen sich in dem miserablen Nostalgiefilm »Verschwende deine Jugend« feiern und veröffentlichten 2003 ein Album, das klang wie ihre Platten der frühen Achtziger. Aber es fühlte sich falsch an, dass DAF jetzt das machten, was eigentlich der Job von Leuten wie den Rolling Stones war: Immer gleiche Songs im immer gleichen Sound für die immer gleichen Fans. Der Hype um »Verschwende deine Jugend« trug die Platte trotzdem in die Charts.

Für 2019 hatten sie noch vorgehabt, ein weiteres DAF-Album zu veröffentlichen. Aber im März 2020 starb Gabi Delgado. Robert Görl stellte das Album alleine fertig. Das hätte er nicht tun sollen. Delgado fehlt überall. Görl verwendete alte Probeaufnahmen aus den Achtzigern und bastelte daraus fünfzehn schlechte neue Songs.

Die Grundlagen stimmen. Es gibt die typischen fiesen Synthiesounds und Görl spielt Schlagzeug, als ginge es um alles oder nichts. Aber er übernimmt auch die Texte und die Stimme. Doch er hat nicht die Präsenz von Delgado. Und die Texte sind einfach egal. Tiefpunkt ist »Ein Kind aus dem Ratinger Hof[3]«, der berühmten Kneipe in Düsseldorf. Aha, denkt man. Soso. Na dann. Und genau in diesem Tonfall spricht Görl das auch. Ich bin ein Kind aus dem Ratinger Hof, aber das braucht euch nicht weiter wichtig zu sein. »Wir sind wild« heißt ein Track. »Gewesen«, möchte man anfügen.

DAF: »Nur noch einer« (Grönland/Rough Trade)

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134773.gabi-delgado-polarisierung-als-beduerfnis.html?sstr=teipel
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/114684.wir-haben-keine-loesung-der-probleme.html?sstr=kurt|dahlke
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1105870.punkrock-die-wut-muss-raus.html?sstr=ratinger%20hof