»In Russland hätte ich eine Grenze überschritten«

Oleg Denisov hat Moskau verlassen. In dem restriktiven Klima kann er als Comedian nicht mehr arbeiten

  • Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 9 Min.

Treffen im »Schwarzen Café« in der Kantstraße, Charlottenburg. Berliner nennen den Stadtteil wegen der vielen Russen, die seit der Oktoberrevolution vor über hundert Jahren hier eine neue Heimat finden, liebevoll Charlottengrad. »Ich finde das toll, eine Straße mit dem Namen dieses Philosophen.« Oleg Denisov ist Russe und Comedian, gerade ist er aus Moskau in Berlin angekommen. Im chinesischen Nanjing hat er politische Philosophie Ostasiens studiert und spricht akzentfrei Englisch. Der Anfang-Dreißigjährige mit hoher Denkerstirn und breitem Lächeln ist so was wie ein Philosophenkomiker.

Von Wladimir Putin wird lautes Denken bekanntlich immer weniger geschätzt. »In der akademischen Laufbahn arbeite ich nicht, das können sich heute nur Leute mit viel Geld leisten«, kratzt er sich die Nase. Mehr als Dreiviertel der Lehrer und viele Angestellte an den Universitäten in Russland würden Statistiken zufolge weniger als das Existenzminimum verdienen, berichtet er. Also hat er sich gegen einen Dozentenjob mit Hungerlohn, dafür aber für die vielleicht subversivste Form intelligenter, sprechender Gesellschaftskritik entschieden: den satirischen Bühnenhumor.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Vor dem Mann mit rundem, kurz geschorenem Kopf und müden Augen steht ein weißes Teeservice. Im lockeren Casual-Look, Dreitagebart und iPhone auf dem Tisch, könnte Oleg auch in London, New York oder Paris zu Hause sein. In seiner Geburtsstadt Moskau wird man ihn in den nächsten Wochen und Monaten jedenfalls so schnell nicht zu Gesicht bekommen. Ende Februar erwischt der Betreiber des »Steal the Show«, Russlands »ersten und einzigen mehrsprachigen Comedy-Club« in der Hauptstadt, eines der letzten Flugzeuge Richtung Berlin. Kurz danach sperren Deutschland und andere EU-Länder ihren Luftraum für alle russischen Airlines. Der Angriff auf die Ukraine ist da gerade ein paar Tage alt. Und die Welt in Aufruhr.

Im Café läuft chillige World-Music. Das Gespräch kommt langsam in Gang. Schnell stellt sich eine wichtige Frage, die vorab geklärt werden will: Warum sollte jetzt, während der größten Flüchtlingskrise Europas seit Ende des Zweiten Weltkrieges mit Millionen vertriebener Frauen, Kinder, nicht wehrpflichtiger Männer aus der Ukraine, warum sollte man ausgerechnet jetzt einem russischen Comedian seine Geschichte erzählen lassen? Oleg Denisov ist vorsichtig und redet mit Bedacht. Schließlich herrscht Krieg. Im Krieg ist die Wahrheit bekanntlich das erste Opfer und ohne Wahrheit kein Vertrauen.

Der Interviewte kennt den Interviewer nicht. Vielleicht steht die Zeitung auf Putins Seite? Will der Journalist in der Story den Täter-Opfer-Spieß umdrehen? So wie das der Kreml macht, die Russen als Getriebene des »heuchlerischen Westens« darzustellen, den Krieg als legitime Vorwärtsverteidigung eines durch die Nato in die Ecke gezwungenen Russlands zu zeichnen. Soll der Moskauer am anderen Ende des Café-Tisches als Kronzeuge herhalten für irgendeine Relativierung des Putin’schen Kriegsverbrechens? Gerade schwappen Berichte von der russischen Medienfront auch nach Deutschland, in denen Übergriffe auf Russen, die seit Kriegsbeginn tatsächlich stattfinden, als Beleg für die angebliche Russophobie des Westens propagandistisch ausschlachtet werden.

Wir sind uns schnell einig: Die Menschen in der Ukraine sind die Opfer irrationaler Gewalt. Putins Krieg ist so wie jeder Krieg: verrückt. Nein, die Russen sind nicht Putin. Auch die russische Bevölkerung, junge Künstler, die ganz normalen Leute wie er, sind Leidtragende des Putin’schen Machtsystems. Das zu zeigen, auch darum gehe es ihm. Und darum müssten in diesen Zeiten auch Russen zu Wort kommen.

In der Heimat sei es für Russen immer schwerer, das Lachen nicht zu verlieren, erzählt Oleg Denisov über die zunehmende Härte unter Putin. »Ich mag es eigentlich nicht, als der Kerl bezeichnet zu werden, der sich über Putin lustig macht«, auch wenn das im Westen immer von ihm erwartet werde. Seit seiner Ankunft in Berlin bekommt er ständig Anfragen als politischer Kommentator, »das bin ich aber nicht«. Natürlich verwende er den Ex-KGB-Mann aus Dresden in seinen Auftritten, oft aber nur kurz: »In dieser ganzen Show habe ich nur dreieinhalb Witze über Putin, einen für jede abgeschlossene Präsidentschaftszeit.«

Im Gegensatz zu amerikanischen Comedians kommt in Russland nur wenig politischer Inhalt auf die Bühne. Selbst die Comedians, die sich explizit als politisch verstehen, machten höchstens zehn Minuten Politik, weiß Oleg Denisov. Der Grund, erklärt er, sei nicht allein die Gefahr, vom Staat willkürlich bestraft zu werden. Regelmäßig und erratisch würden Comedians für alle sichtbar bestraft. So wie der aserbaidschanisch-stämmige Komiker Idrak Mirzalizade. Nach einer Show, in der er Diskriminierung von Nicht-Russen auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Moskau angesprochen hatte, wurde er wegen »Anstiftung zu Hass und Feindschaft gegenüber ethnischen Russen« verhaftet und saß für zehn Tage hinter Gittern. Der Putin-Propagandist Vladimir Solovyov hatte den Künstler im Staatsfernsehen an den öffentlichen Pranger gestellt. Auf Instagram berichtet Mirzalisade, wie ihm Unbekannte nach einer Show aufgelauert und bedroht hätten. Am Ende wurde er nach Weißrussland, dessen Staatsbürger er ist, abgeschoben und mit einem Einreiseverbot auf Lebenszeit belegt.

Die roten Linien des Sagbaren seien von der Zensur nicht klar gezogen, was die Selbstzensur wegen ihrer Unbestimmtheit am Ende umso effektiver macht, erklärt er das perfide Spiel von Unsicherheit und Bedrohung. Diese Stimmung schlägt sich natürlich auch im Abendprogramm nieder. Für einen Comedy-Club ist eine solche politische Realität schlicht ein Stimmungskiller und unerträglich. Oleg Denisov hat sich entschieden, seine Karriere als Stand-up-Comedian will er in Deutschland und Europa weiter vorantreiben. Vor der Corona-Pandemie hatte er eine Europa-Tournee russischer Comedians, die auf Englisch auftreten, organisiert. Ausverkaufte Häuser in Skandinavien, Berlin, Edinburgh. Russland wollte mit neuen E-Visa die Einreise erleichtern, »das haben wir als Zeichen der Öffnung verstanden, wir wollten auch Comdedy-Stars aus den USA nach Russland bringen«. Das war vor Kriegsbeginn.

Wenige Tage vor unserem Treffen ist Oleg Denisov in der Polit-Satire-Sendung »Die Anstalt« zu Gast, vergleicht Putin vor einem Millionenpublikum mit dem tödlichen Coronavirus. Liefert einen absurd-kafkaesken Text, der fragt, wie die russische Opposition einen Krieg kritisieren könne, der gegen Strafe nicht als Krieg bezeichnet werden darf. In der ersten Märzwoche sendet das ZDF ihn und eine Reihe anderer Comedians russischer Herkunft in die deutschen Wohnzimmer. Die ukrainischstämmige Comedienne Lena Liebkind beendet die Sendung am Weltfrauentag mit einem ergreifenden Anti-Kriegs-Plädoyer.

Unter normalen Umständen könnte sich Oleg Denisov über diesen TV-Auftritt freuen. Wer es in »Die Anstalt« schafft, dem stehen die Türen als Comedian sperrangelweit offen. Doch der Anlass ist zu schrecklich, um sich darüber zu freuen. »In gewalttätigen Zeiten brauchen wir den Humor so sehr wie nie zum Überleben«, will er sich nicht unterkriegen lassen. Und tatsächlich gibt es in diesem »Anstalt«-Abend von den Berufskomikern eine wohltuende Nachdenklichkeit. Tiefe Ohnmacht und ehrliche Hilflosigkeit, keinen humoristischen Zweckoptimismus, keine einfachen Freund-Feind-Parolen. Ausgerechnet den Spaßexperten gelingt an diesem Fernsehabend, was dieser Tage nur wenige Stimmen schaffen, nämlich der sich breitmachenden Kriegsrhetorik einen pazifistischen Zweifel der Vernunft entgegenzusetzen. Putins als »militärische Sonderoperation« verbrämter Krieg gegen die Selbstbestimmung der Ukraine ist da gerade zwei Wochen im Gange.

Auch die Fernsehredaktion habe sich die Frage gestellt, warum Russen kurz nach Beginn eines russischen Krieges zu Wort kommen sollten, erinnert er sich. Doch es war so: Die Einladung der russischsprachigen Komiker ins deutsche Fernsehen war schon seit Wochen in Planung. Da hatte die ganze Welt noch gehofft, dass der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze nur eine Drohgebärde bleibt. »Wir haben aufs Beste gehofft, bis zum letzten Moment, bis zum letzten Tag war ich überzeugt, dass es genug rationale Menschen und keinen Krieg gibt«, erinnert er sich an die Stimmung in Moskau. Auch die deutschen Fernsehmacher wurden von Putins Raketen, Bomben und Panzern überrascht. So wie er. So wie alle.

Jetzt ist er in Berlin gestrandet. »Ich mag den Begriff Emigrant für mich nicht, das klingt nach 1915, nicht 2022«. Er fühlt sich nicht als jemand, der die Flucht ergriffen hat, der nicht in seinem Land leben will. »Ich bin nicht jemand, der das sinkende Schiff verlässt«, auch schon vor dem Krieg war er ein globaler Nomade. Die Sanktionen des Westens gegen Russland haben auch für ihn Folgen. An sein Erspartes in der Heimat komme er nur über komplizierte Umwege heran. Fast alle seine Freunde, junge Künstler, Freelancer, Angestellte, haben Russland kurzfristig verlassen, schlagen sich in Tblissi oder Istanbul durch, sitzen auf gepackten Koffern und warten in sicherer Entfernung ab. Für diese jungen Russen ist diese neue Unsicherheit die größte Belastung, »keiner macht mehr längerfristige Pläne«, was dann irgendwie doch nach Emigrantenschicksal klingt. Diese Lage sei stressig und unangenehm, sagt er. Auch Hilfe, ein wenig Geld nach Hause schicken, sei wegen der Finanzsanktionen fast unmöglich geworden. Sein Visum für Selbstständige hat er bei der deutschen Botschaft in Moskau beantragt, »eigentlich muss das zu 100 Prozent bewilligt werden, aber wer weiß, was noch passiert«. In Berlin wohnt er vorübergehend bei Freunden, bis er sein Visum in Russland abgeholt hat. Dafür muss er nach Finnland fliegen und dann mit der Bahn über die Grenze.

Der Krieg, der Schrecken, die Scham sind dem Satiriker ins Gesicht geschrieben. Nur langsam lösen sich seine Sorgenfalten. Auch ihm hat der Krieg einen Strich durchs Leben gemacht. Ob er weiter als Comedian und als Comedy-Manager arbeiten kann, steht angesichts der russischen Aggression in den Sternen. Geplante Comedy-Shows, etwa beim weltweit größten Kulturfestival Edinburgh Fringe in Schottland, hängen am seidenen Faden. Er muss jetzt zurückstehen und kann das auch verstehen. Wer will schon von einem Comedian aus Russland zum Lachen gebracht werden, während Soldaten in russischer Uniform ukrainische Krankenhäuser, Theater und Kulturzentren wegbomben?

Dass Oleg Denisov bei einer Rückkehr nach Moskau staatlicher Repression ausgesetzt sei, darüber will er sich keine Sorgen machen. Auch wenn er Putin von Deutschland aus öffentlich angegriffen, in Russland »hätte ich damit eine Grenze überschritten«. Aber deutsches Fernsehen kann man in Russland wegen Geolocation nicht sehen, auch nicht im Internet. Also sei sein Auftritt dann wohl nicht justiziabel, gibt er sich ganz offensichtlich Mühe, dunkle Gedanken möglichst nicht an sich heranzulassen. Ganz sicher fühlt er sich aber doch nicht. Als ich nach unserem Gespräch persönliche Daten und Lebenslauf erfrage, schreibt er zurück: »Bist Du sicher, dass Du kein Agent von unserem Geheimdienst bist? Die würden das nämlich auch nicht wissen!« Die Anspielung auf das offensichtliche Versagen des russischen Geheimdienstes im Ukrainekrieg hin oder her, auch der Zwinkersmiley hinter Olegs Scherzfrage. Der Schrecken, den der russische Staat gegen Andersdenkende in der Welt verbreitet, ist so groß, dass mir das Lachen trocken im Hals stecken bleibt.

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