Indien beugt sich nicht

Washington gelingt es nicht, Moskau und Delhi auseinanderzubringen

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

Die seit Jahrzehnten bestehenden besonderen Beziehungen zu Russland, welche ihren Ursprung im Kalten Krieg hatten, als das blockfreie Indien eine Art Schulterschluss mit der Sowjetunion betrieb, gewinnen dieser Tage wieder an Bedeutung. Entstanden waren sie als Gegengewicht zu den engen Beziehungen der USA zu Pakistan und als Reaktion Moskaus auf den Bruch mit Peking.

Während der Westen zunächst fälschlicherweise davon ausging, seine Sanktionspolitik gegen Moskau würde weltweit Widerhall finden, scheint Indien unmittelbar vor dem Abschluss eines großen Deals mit Russland zu stehen. Nach bisherigem Stand geht es dabei um etwa 3,5 Millionen Barrel Erdöl aus Russland, welche Indien zu einem Vorzugspreis erhalten würde. Die Menge ist sicher ausbaufähig, denn der geschätzte tägliche Ölbedarf Indiens liegt bei 5,2 Millionen Tonnen. Auffällig sind besonders Zeitpunkt und Umstände des Geschäfts. Der Abschluss des Handelsabkommens kommt in einem Augenblick, in dem Washington versucht, Moskau den ökonomischen K. o. zu versetzen. Die Tatsache, dass sich weder China noch Indien daran beteiligen, wiegt schwer. Schließlich lebt in den Grenzen beider Staaten und Atommächte knapp ein Drittel der Menschheit, verbunden mit einem riesigen ökonomischen Potenzial.

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Die Zeiten, als die USA erfolgreich mit der Sanktionspeitsche drohen konnten, sind vorbei, was man inzwischen wohl auch in Washington erkannt hat. Die Reaktion in Richtung Delhi beschränkt sich entsprechend auf Worthülsen. Jen Psaki, die Sprecherin des Weißen Hauses, ließ im Rahmen einer Pressekonferenz verlautbaren: »Denken Sie darüber nach, auf welcher Seite Sie stehen wollen, wenn dieser Moment in die Geschichtsbücher eingeht!« Die Frage, was alles in den Geschichtsbüchern über die USA stehen könnte, wurde dabei nicht erörtert. Die indische Presse reagierte daher auch verschnupft auf die Äußerungen aus Washington und hielt dem Westen einen Spiegel vor. Die »Times of India« etwa, eine der größten in Englisch erscheinenden Tageszeitungen des Landes, verwies auf ökonomische Rahmenbedingungen sowie auf jene westlichen Staaten, die weiter russisches Öl beziehen.

Was die energiepolitischen Hintergründe angeht, so zählt Indien zusammen mit China zu den Wachstumslokomotiven der Weltwirtschaft. Der daraus resultierende steigende Energiebedarf wird von einer Verknappung inländischer Energiequellen flankiert. Aus dieser Problematik heraus wird Indiens Abhängigkeit von Energieeinfuhren dramatisch steigen. Indische Analysten gehen davon aus, dass Delhi etwa 90 Prozent seines Rohölbedarfs bis 2030 wird einführen müssen, einen Löwenanteil davon aus dem Nahen und Mittleren Osten. Der indischen Regierung kommt der Deal mit Moskau also gelegen.
Während die Volksrepublik China erfolgreich an einer Einflusssphäre zur Energieversorgung gearbeitet hat (wie auch die USA), ist Indien auf eine Diversifizierung seiner Energieimporte angewiesen. Was in den USA aber wirklich für Bauchschmerzen sorgt, ist die Tatsache, dass Indien eifrig daran arbeitet, eine Art bilaterales Zahlungssystem zu initiieren, welches auf Rubel und Rupie basiert. Ein solches würde die Bedeutung des US-Dollars und des Swift-Systems außer Kraft setzen, zumindest was den Handel zwischen Delhi und Moskau angeht.

Dabei greift man anscheinend auf Erfahrungen aus dem Kalten Krieg zurück, als es schon einmal ein indisch-sowjetisches Zahlungssystem gab, welches den Dollar umging. In der jüngeren Vergangenheit konnte Indien mit einer ähnlichen Einrichtung einen Teil seines Handels mit dem Iran abwickeln, trotz der Sanktionen Washingtons gegen Teheran. Hinzu kommt, dass Indien nicht daran denkt, seine Rüstungskäufe in Russland einzuschränken. Das führt dem Weißen Haus die begrenzte Wirkung seiner global angeleten Offensive gegen den Kreml drastisch vor Augen.

Hier wird der geopolitische Aspekt der Entwicklung deutlich. Washington sind diesbezüglich jedoch ziemlich die Hände gebunden, denn Indien wird wiederum im Rahmen der US-Frontstellung gegen Peking als Partner gebraucht. Daher will man es sich mit dem aufstrebenden Land, das schon in naher Zukunft das bevölkerungsreichste der Welt sein wird, auch nicht verscherzen. Indien ist sich dessen bewusst und vertritt demonstrativ seine Interessen. Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Resolution zur Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine enthielt sich Indien.
Hier zeigt sich, dass auch unter dem hindunationalistischen Premierminister Narendra Modi der Kurs einer unabhängigen Außenpolitik, der schon vor Jahrzehnten unter dem Schlagwort der Blockfreiheit verfolgt wurde, beibehalten wird

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