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Die dritte Ölkrise droht

Steigende Preise für Benzin, Heizöl und Erdgas führten in der Vergangenheit zu einem Wandel im Kapitalismus

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Öl, Gas und Kohle sollen nach dem Willen der russischen Regierung bald mit Rubel bezahlt werden, bestätigte ein Regierungssprecher am Mittwoch frühere Ankündigungen. Die EU lehnt dies ab. Sollten weder Brüssel noch Moskau ihre Position ändern, könnte Wladimir Putin einige Lieferungen in den Westen in der kommenden Woche stoppen. Dann droht eine dritte »Ölkrise«.

Die erste Ölkrise war eine Folge des Angriffs Ägyptens und Syriens auf Israel im Oktober 1973. Diesen vierten arabisch-israelischen Krieg nahmen die Erdöl exportierenden, meist arabischen Länder in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) zum Anlass, die Liefermengen zu verringern und den Preis für Rohöl drastisch zu erhöhen. Im Ergebnis sprangen in den Industriestaaten die Preise für Benzin, Heizöl und Erdgas, die bis dahin niedrig waren, in ungeahnte Höhen. In der Folgezeit verteuerten sich auch weitere Rohstoffe erheblich.

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Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Das war ein grundlegender Wandel der kapitalistischen Weltwirtschaft, auf den die Regierung von Willy Brandt (SPD) zunächst mit energiesparenden Maßnahmen wie vier Sonntagsfahrverboten und einem Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen reagierte. Später folgten staatliche Bauprogramme und Investitionszulagen für Unternehmen. Diese Wirtschaftspolitik erhöhte erstmals nennenswert die Staatsverschuldung, konnte aber den Abschwung nicht stoppen.

Die Zahl der Arbeitslosen - bis dahin hatte nahezu Vollbeschäftigung geherrscht - stieg auf über eine Million. Die zweite Ölkrise von 1979/1980 - der ohnehin hohe Ölpreis stieg auf das Zweieinhalbfache - bremste den kurzen konjunkturellen Wiederaufschwung. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über zwei Millionen. Seither ist die Massenarbeitslosigkeit nie wieder verschwunden.

»Dagegen war kein keynesianisches Kraut gewachsen«, resigniert der DGB im Rückblick. Die Wirtschaftsleistung sank erstmals in der Bundesrepublik gegenüber dem Vorjahr. Gleichzeitig begann die Inflation zu galoppieren. In der Spitze betrug die Inflationsrate damals 7,8 Prozent.

Die Bundesbank reagierte darauf und erhöhte ihren Leitzins bis auf 9,5 Prozent. Das würgte die Konjunktur endgültig ab und blieb ansonsten wirkungslos. »Aufgrund steigender Inflationserwartungen und hoher Lohnforderungen der Gewerkschaften führten die einzelnen Schocks zu einer anhaltenden Inflation«, analysiert später die Bundesbank. Wie die BRD litten die meisten westlichen Industrieländern unter dieser »Stagflation«.

»Wir in der Bundesrepublik haben Mühe, die seit 1978 eingetretene abermalige Verdoppelung unserer jährlichen Ölrechnungen auf 60 Milliarden DM zu verkraften«, klagte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1981 in seinem »Bericht zur Lage der Nation«. Schmidt kosteten die Ölkrisen die Kanzlerschaft. Ähnliche Sorgen könnten bald seinen Nachfolger Olaf Scholz plagen.

»Parallelen gibt es durchaus, Unterschiede ebenfalls«, schreibt Cyrus de la Rubia, Volkswirt der Hamburg Commercial Bank (HCOB). Der Ölpreisschock war - nach jetzigem Stand - damals wesentlich stärker als heutzutage. Gleichzeitig war die globale Ölabhängigkeit im Vergleich zu heute mehr als doppelt so hoch. Allerdings hatte die Krise in den 1970er Jahren die Hausse an den Nicht-Öl-Rohstoffmärkten schnell gestoppt. Die Preise für Eisenerz, Kupfer oder Holz fielen bald wieder. Die aktuelle Krise ist wenigstens zunächst anders gelagert, da sich die Knappheit von einer ganzen Palette von Rohstoffen verschärft. Immerhin liegt der Exportanteil Russlands zusammen mit der Ukraine bei Rohstoffen wie Nickel, Aluminium oder Weizen zwischen 20 und 26 Prozent.

Während die Industrie heute zwar weniger rohstoffintensiv produziert als damals, ist sie andererseits deutlich verzahnter als damals, was sie empfindlicher für Störungen der Wertschöpfungsketten macht. »Für die Weltwirtschaft besteht in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Risiken«, zeigt sich de la Rubia überzeugt. Lieferketten werden unterbrochen, hohe Preise für Vorprodukte beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und hohe Treibstoff- und Lebensmittelkosten können politische Turbulenzen auslösen. Ohnehin stiegen die Energie- und Rohstoffpreise bereits seit dem Frühjahr 2020 und näherten sich schon vor Beginn des Ukraine-Krieges ihrem Allzeithoch.

Allerdings hatte der Kapitalismus schon in den 1970er Jahren seine Anpassungsfähigkeit gezeigt. Viele Unternehmen modernisierten sich, teure Rohstoffe und Arbeitskräfte wurden durch Technik ersetzt, neue Energiequellen wie die Atomkraft erschlossen - was der Umweltbewegung viel Zulauf verschaffte -, und die Verbindungen zum Nicht-OPEC-Mitglied Sowjetunion wurden ausgebaut. Bis auf letzteres ist dies, wenngleich in einem geringeren Maße, auch nach der dritten Ölkrise zu erwarten.

Kurzfristig könnte der private Konsum wegen der hohen Ersparnissen in der Coronakrise die Konjunktur stützen. Zudem hat die Geldpolitik gelernt, auf Krisen angemessener zu reagieren. Und das politische Instrument des Kurzarbeitergeldes ist in vielen Ländern seit Pandemiebeginn erprobt. Auch darum dürfte der Arbeitsmarkt dieses Mal durch einen Lieferstopp weniger in Mitleidenschaft gezogen werden als in den 1970er Jahren.

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