nd-aktuell.de / 06.04.2022 / Berlin / Seite 10

Dicke Luft macht sich an der Charité bemerkbar

Forscher weisen direkten Zusammenhang zwischen Stickstoffdioxidanteil und Krankenhauseinweisungen nach

Nicolas Šustr

Steigt der Anteil von Stickstoffdioxid in der Luft werden am Universitätsklinikum Charité spürbar mehr Patienten mit Atemwegserkrankungen eingewiesen. Das konnten Forschende des Potsdamer IASS-Instituts und des Berliner Klinikums in einer gemeinsamen Studie nachweisen, die am Montag veröffentlicht worden ist. Ein Anstieg der Stickstoffdioxidbelastung um zehn Mikrogramm je Kubikmeter Luft[1] hatte demnach zur Folge, dass zehn Prozent mehr Asthmatikerinnen und Asthmatiker und sogar zwölf Prozent mehr COPD-Patientinnen und -Patienten in der Charité registriert wurden. Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD ist ein Krankheitsbild der Lunge mit einer dauerhaften Verengung der Atemwege, die insbesondere die Ausatmung erschwert.

»Wir haben diese Studie durchgeführt, weil es bisher vor allem Studien zum Zusammenhang von Feinstaubkonzentrationen und Mortalität gab«, sagt Erika von Schneidemesser zu »nd«. Sie ist Forschungsgruppenleiterin am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, das unter dem Kürzel IASS der englischen Bezeichnung firmiert. »Unser Ausgangspunkt war angesichts der hohen Stickstoffdioxidwerte in Deutschland und Europa, die Morbidität zu untersuchen«, so von Schneidemesser. Also nicht Todesfälle wegen Feinstaubs zu untersuchen, sondern Erkrankungen aufgrund von Stickstoffdioxidkonzentrationen (NO2)

»Die schädlichen Wirkungen, die wir in unserer Studie beobachtet haben, könnten nicht allein auf die NO2-Konzentration zurückzuführen sein, sondern auch auf andere Substanzen des Schadstoffgemischs, die mit NO2 korrelieren«, sagt IASS-Gastforscherin Mariam Maglakelidze, federführende Autorin der Studie. Häufig auch nur niedrigen NO2-Werten ausgesetzt zu sein, wirke sich »ungünstig auf den Stoffwechsel, die Funktion und die Struktur der Lunge und auch auf die Anfälligkeit der Patienten für Lungeninfektionen aus«, so Maglakelidze weiter. Ein erhöhtes Risiko für eine Krankenhauseinweisung durch hohe Ozon- und Feinstaubkonzentrationen ergab die Studie übrigens nicht.

Die Forschenden nutzten für ihre Untersuchung Daten der Charité und des Luftgüte-Messnetzes der Stadt Berlin aus den Jahren 2005 bis 2015. Die Tages-NO2-Konzentration im sogenannten städtischen Hintergrund in Berlin, also in einiger Entfernung von Verkehrsknotenpunkten, lag im Untersuchungszeitraum im Mittel bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, die Höchstwerte lagen bei 87 Mikrogramm.

»All diese Studien weisen nach, dass schlechte Luftqualität deutliche Gesundheitsschäden nach sich zieht. Je genauer wir das untersuchen, desto klarer wird, dass die Grenzwerte für Luftschadstoffe sehr niedrig sein müssen«, sagt Erika von Schneidemesser. »Es gibt keine unbedenklichen Werte«, wird sie noch einmal deutlicher.

Die Weltgesundheitsorganisation hat auf solche Erkenntnisse bereits im September 2021 reagiert und ihre Empfehlungen für Grenzwerte massiv nach unten gesetzt[2]. Der nun empfohlene maximale Jahresmittelwert bei Stickstoffdioxid liegt bei zehn Mikrogramm je Kubikmeter Luft, das ist nur noch ein Viertel des früheren Grenzwerts von 2005. Noch orientiert sich die EU am alten Wert von 40 Mikrogramm.

Abseits von Hauptstraßen in dicht bebauten Gebieten lagen die vorläufigen Jahresmittelwerte 2021 laut Umweltbundesamt bei 15 bis 21 Mikrogramm NO2 je Kubikmeter Luft, Richtung Stadtrand bei 9 bis 11 Mikrogramm. An Verkehrsschneisen werden deutlich höhere Werte gemessen. Spitzenreiter war der Spandauer Damm in Charlottenburg mit 38 Mikrogramm, gefolgt von Hermannplatz (36), Silbersteinstraße (35), Sonnenallee (34), Landsberger Allee und Mariendorfer Damm (je 33). Seite 9

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1114761.diesel-fahrverbote-freie-fahrt-mit-anliegen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1157505.luftschadstoffe-zu-viele-autos-machen-krank.html