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  • Paul Beattys »Tuff«

Die Ismen rauchen

Eine Abrechnung mit Antisemitismus und Rassismus: Paul Beattys endlich auf Deutsch übersetzter Roman »Tuff«

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Er begann als Dichter. Anfang der 1990er Jahre wurde Paul Beatty im New Yorker »Nuyorican Poets Café« zum Slam-Sieger gekrönt. Das Café veröffentlichte auch Beattys ersten Gedichtband »Big Bank Take Little Bank«. Bei dessen Lektüre gerieten die Kritiker - von Beattys Creative Writing-Lehrer Allen Ginsberg bis hin zur »Village Voice« - aus dem Häuschen, und »Newsweek« erklärte Beatty gar zum »besten Barden des Hip Hop«.

Beattys extrem kurze, nur einige Dutzend Seiten füllende Poeme waren geschrieben, um vorgetragen zu werden: »... beatin muthafuckas over the head with sound / bangin tuning forks on minds...Know whut um sayin? Ricka Rocka! / Sis Boom Ba! Malcolm X! Malcolm X! Rah! Rah! Rah!« Nach einem zweiten Gedichtband, »Joker, Joker, Deuce«, in dem Beatty die Geschichte der schwarzen Communities in den USA vor uns ebenso ausbreitete wie etwa Sprachfetzen aus Cartoons und Fernsehen sowie Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in Los Angeles, wandte er sich der Prosa zu.

Sein Roman »The White Boy Shuffle« erschien 1996. Für die deutsche Übersetzung des in Los Angeles angesiedelten Werkes dachte der Verlag sich den unpassenden Titel »Der Sklavenmessias« aus, und für das Buchcover eine New Yorker Skyline von anno Tobak. Der Übersetzer hatte die von Beatty vollführten sprachlichen Gratwanderungen gegen den »Gestank der Ismen« nicht begriffen, wartete mit rassistischen, sexistischen und neunmalgescheiten Begriffen und Formulierungen auf und konterkarierte so Beattys Absichten. Der Übersetzer trimmte den Roman auf das, was er unter »Jugendsprache« verstand. So wurde etwa aus der von der chinesischen Kulturrevolution bekannten Viererbande eine Gang von Homeboys aus einer schwarzen US-amerikanischen Neighborhood. Beatty fragte verwundert: »Wuddup Muthafucka?«

»Der Sklavenmessias« landete wegen der genannten Defizite bald auf dem Grabbeltisch, und Beattys Literaturagentin konnte dessen zweiten Roman mit dem Titel »Tuff« nicht bei einem deutschsprachigen Verlag unterbringen. Der erscheint nun 22 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in deutscher Sprache, befördert durch die Verleihung des englischen Man-Booker-Preises an Beatty 2016 für seinen Roman »The Sellout«.

Das sieben seltsame Cover der deutschen »Tuff«-Ausgabe zeigt einen stilisierten Grundriss von New York City, über den etwas Weißes huscht, das wie eine Mischung aus Blume, Delfin und Penis anmutet. Der Hauptprotagonist dieses Episoden-Romans ist der 19-jährige Schwarze Winston »Tuffy« Foshay »mit der Statur und dem Gesicht eines Ochsenfroschs (...) ein fetter, arbeitsloser Gewohnheitsverbrecher (... ) Mitglied einer Handtaschenräuber-Bande (...) mit Narben aus hundert Schlachten«.

Winston wird ein wenig nachdenklich, nachdem er in einer Brooklyner Drogenküche eine Schießerei überlebt. Zu seinem näheren Umfeld gehören seine Frau Yolanda und ihr gemeinsamer einjähriger Sohn Jordy, zudem sein bester Kumpel, der behinderte, antisemitische, homophobe Fariq sowie die ältere japanisch-amerikanische Nachbarin Inez Nomura. Seinem Vater, der sich als Dichter geriert und bei Lesungen zum Auftakt Löcher in die Decke ballert, bescheinigt Winston, er verzapfe »Black-Panther-Up-with-People-Bullshit«. Polizisten mit einem puerto-ricanischen Migrationshintergrund erläutert Tuffy, er werde einen Underground-Film drehen, »mit maskierten Niggern, die Anschläge auf Cops verüben, Praxistest für die schusssicheren Westen. Der Scheiß heißt Officer down.«

In Spencer Throckmorton, einem zum Judentum konvertierten Schwarzen, der als hipper Rabbi bekannt wird, findet Winston einen Mentor. Spencer hatte einen Job in einem Schlachthaus in Ames, Iowa, ausgeschlagen - er sollte Stiere koscher machen. Er zog lieber nach New York City und hielt Vorträge. Sein beliebtester trug den Titel: »Die vergessene Bedeutung jüdischer Unterstützung für afroamerikanische Politik und Künste: Ohne die Schabbatfrommen gäbe es keinen Bebop, Hip-Hop und keine schlechten Shakespeare-Inszenierungen.« Teenager auf der Straße konfrontiert Spencer mit dem Begriff »essenzielle Niggerität«.

Spencer, Fariq, Yolanda und Inez ermutigen Tuffy, der deren Empfehlung beherzigen und sich seiner Verantwortung im Leben stellen will, für den Stadtrat zu kandidieren. Mit Inez entwirft er bei ein paar Gläsern Gin Tonic ein Wahlplakat, deren wichtigste Botschaft lautet: »DIE REVOLUTION MAG TOT SEIN, ABER IRGENDWO BRENNT NOCH EIN LICHT.«

Winston interessiert sich für den weißen Sozialisten Eugene Victor Debs, der ab 1875 in der US-amerikanischen Arbeiterbewegung aktiv war. Seinen Homeboys erläutert er, was er machen wird, wenn er in den Stadtrat einzieht: »Ich würde zu den Sitzungen gehen, mir die Schuhe ausziehen, meine Stinkefüße auf den Tisch legen und sagen: ›Ich weiß nicht, was ihr behämmerten Motherfucker hier für Gesetze macht, aber ihr dürft nie die umgewaschenen armen Motherfucker wie mich vergessen.‹«

Bei einer öffentlichen Diskussion der Kandidaten für den Stadtrat erklärt Tuffy auf die Frage, was er gegen die Jugendkriminalität unternehmen werde: »Ich würde das Erwachsenenalter für Nigger auf fünf Jahre runtersetzen. Dann wäre es mit einem Schlag mit der Jugendkriminalität vorbei.« Winston fragt Rabbi Spencer nach dem Unterschied zwischen Weißen und Schwarzen und liefert die Antwort gleich mit: »Weiße können das ganze Jahr Eis essen, auch im Winter. Und wenn sie dich nach Hause fahren, geben sie Gas, sobald du aus dem Auto bist. Schwarze warten, bis du sicher im Haus bist.«

Der Verlag preist Tuff als »messerscharfe Satire« an. Bleiben wir bei dieser Klassifizierung stehen, gerät aus dem Blick, dass Paul Beatty, der sich keineswegs als Satiriker sieht, es ernst meint mit seiner Abrechnung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Ismen. Nicht umsost heißt es an einer Stelle: »Die Ismen rauchen!« Wie schon bei seinem Erstlingsroman White Boy Shuffle ist die Auseinandersetzung mit dem Topos schwarze Identität und - wie Beatty in einem Interview mit der »Paris Review« erklärte - mit »individueller Verantwortung und Schuld« zentral. Und die darf bei Paul Beatty hier und da durchaus lustig ausfallen.

Paul Beatty: Tuff. A. d. Engl. v. Robin Detje. btb, 448 S., br., 12 €.

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